Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Saxfest 2024: Rituals – Zürich, Johanneskirche – 10.04.2024

Prélude mit MKZ Musikschüler*innen
Saxophonquartett der MKZ Waidberg

Johann Pachelbel (1653–1706): Ricercare fis-Moll (arr. B. Fiebig)
Robert Watson (*1953): Lafiya / The Curious Child

zürich saxophone collective
Lars Mlekusch
Leitung
Tobias Willi Orgel

GEORG FRIEDRICH HÄNDEL (1685–1759): Orgelkonzert op. 4/2 in Bb-Dur HWV 290
PHILIPPE RACINE (*1958): Cinq Rituels (Uraufführung)
FABIEN LÉVY (*1968): Durch, in memoriam Gérard Grisey (1998)
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL (1685–1759): Orgelkonzert op. 4/6 in Bb-Dur HWV 294

Das erste der fünf Konzerte, um die es hier geht, fand im Rahmen des Saxfestes statt, zu dem ich es bisher noch nie geschafft hatte Gerne hätte ich auch am Vorabend Valentine Michaud gehört – vielleicht noch lieber als das Konzert, zu dem ich dann hin ging. Da gab es nach einem hübschen Einstieg (drei Schüler*innen mit ihrem Lehrer am Barisax) zwei für Saxophonesemble arrangierte Orgelkonzerte von Händel sowie zwei zeitgenössische Stücke für kleinere Besetzung. Die Konzerte von Händel finde ich auch in der klassischen Version gerne etwas langweilig, das war nicht anders, auch wenn der Klang des Saxophonensembles schon ganz schön war (jeweils drei pro Stimmlage: Sopran, Alt, Tenor, Bariton, wobei bei letzteren noch ein Bass-Sax dabei war, glaube ich?). Ganz toll fand ich das Stück von Fabien Lévy, gewidmet seinem Lehrer Gérard Grisey. Dieses wie auch die Uraufführung von Philippe Racine wurde unten gespielt – vor der Orgelempore, die quasi auf der falschen Seite ist … ich habe keine Ahnung, wie der Raum architektonisch verändert wurde, ist immer noch als reformierte Kirche in Betrieb, wird aber oft für Konzerte genutzt und Tobias Willi ist der Hausorganist. Die Stücke von Racine fand ich auch sehr ansprechend, aber Lévy war das klare Highlight.

Electric Fields – Zürich, Tonhalle – 13.04.2024

Barbara Hannigan Sopran
Katia Labèque Klavier
Marielle Labèque Klavier
David Chalmin live electronics
Bernd Purkrabek light designer
Guillaume Loubère sound engineer

„Electric Fields“ Werke von Hildegard von Bingen, Barbara Strozzi, Francesca Caccini, Bryce Dessner und David Chalmin.

Eine Stunde dauerte das Spektakel, das keines war, das „immersive Konzerterlebnis“, wie es angepriesen wurde. Beginn war schon um 18:30, da war es noch hell draussen, der Saal hingegen abgedunkelt, auf der Bühne verschiedene zusätzliche Lichtquellen, die während des Konzerts gesteuert wurden. Bryce Dessner und David Chalmin haben zwischen Stücke von Hildegard von Bingen welche von Barbara Strozzi und Francesca Caccini eingefügt und das ganze zu einem fliessenden Werk verwoben. Sehr beeindruckend. Hanningan stand zwischen den beiden Flügeln und dem Tischchen, an dem Chalmin seine Synthesizer verkabelt hatte. Sie spielte gekonnt mit dem Mikrophon, die Elektronik sorgte für Irritationen und eine ständige variable Begleitspur – der Raum brummte schon, als das Publikum hereinströmte. Hannigan zeigte sich einmal mehr als charismatische Sängerin, der Wechsel von den relativ einfachen Stücken von Bingen und der Spätrenaissance war effektvoll, affektvoll ebenfalls – ein beeindruckendes und sehr bewegendes Konzert, bei dem es mir vorkam, als würde der Saal gemeinsam die Luft anhalten, so atemberaubend war das.

6. Philharmonisches Konzert: Strauss – Zürich, Opernhaus – 14.04.2024

Philharmonia Zürich
Gianandrea Noseda
Musikalische Leitung
Diana Damrau Sopran

RICHARD STRAUSS
Macbeth op. 23
Mondscheinszene & Schlussszene aus der Oper «Capriccio»

Ständchen op. 17/2 (Bearbeitung: Felix Mottl)
Wiegenlied op. 41/1
Morgen! op. 27/4
Vier Zwischenspiele aus der Oper «Intermezzo»

Am Tag darauf ging es in die Matinée im Opernhaus. Ich mag diese Sonntagsmatinées inzwischen sehr – ob Kammermusik in der kleinen Tonhalle oder ein Konzert im Opernhaus (im kleinen Spiegelsaal oder wie hier im grossen Saal). So richtig an mich ging das dieses Mal nicht – ich bin wegen Diana Damrau hin, und sie war vor allem in den drei Liedern wahnsinnig toll. Aber das frühe Tongedicht „Macbeth“ (mit richtig grosse Besetzung inklusive Basstrompete, Tuba und was weiss ich) und auch die launigen Zwischenspiele (kleinere Besetzung inkl. Klavier) gehen weniger an mich. Die lange Szene aus „Capriccio“ was leider akustisch schwierig, Damraus Stimme ging zu oft im Orchester unter (immer noch gross besetzt) – vorgesehen wäre hier ja, dass dieses im Graben sitzt und sie darüber hinweg singen kann. Bei der Anordnung mit dem Orchester im Bühnenraum und auf dem hochgefahrenen Graben wäre im relativ kleinen Opernhaus Zürich vermutlich etwas mehr Zurückhaltung vom Orchester angesagt gewesen. In den Liedern war die Besetzung dann merklich kleiner und es gab keinerlei solcher Probleme – im Gegenteil, es gab atemberaubendes Pianissimo … wenn „Morgen!“ zu hören ist, gehe ich wohl auch künftig wieder in Strauss-Konzerte, erst recht wenn eine so fabelhafte Sängerin es darbeitet wie die Damrau es ist.

Messiaen: Saint François d’Assise – Grand Théâtre de Genève – 16.04.2024

Saint François d’Assise
Opéra d’Olivier Messiaen
Livret du compositeur

Direction musicale Jonathan Nott
Mise en scène, scénographie, costumes et vidéo Adel Abdessemed
Lumières Jean Kalman
Co-éclairagiste Simon Trottet
Dramaturgie Stephan Müller
Direction des chœurs Mark Biggins
Assistant à la mise en scène Jeff Kessler
Assistant à la scénographie Manuel La Casta
Assistante costumes Laura Garnier

Saint François Robin Adams
L’Ange Claire de Sévigné
Le Lépreux Aleš Briscein
Frère Léon Kartal Karagedik
Frère Massé Jason Bridges
Frère Élie Omar Mancini
Frère Bernard William Meinert
Frère Sylvestre Joé Bertili
Frère Rufin Anas Séguin

Chœur du Grand Théâtre de Genève
Le Motet de Genève
Orchestre de la Suisse Romande

Das Ereignis der Saison, titelte die Oper Genf nicht gerade kleinlaut auf der Website – und das war bestimmt keine Übertreibung. Absolut nicht! Um 18 Uhr ging es los, um halb zwölf torkelten die Menschen aus der Oper in die nieselnde Nacht hinaus. Es gab zwei Pausen, in der zweiten sind ein paar Leute gegangen – verständlich aber bedauerlich, denn jede der acht Stationen (Szenen) aus dieser Oper ist ein Wunderwerk für sich. Im hinteren Bühnenraum, meist hinter einem Gaze-Vorhang, dass das riesig besetzte OSR (von den Holzbläsern gab es z.B. jeweils 5-7, auch das Schlagwerk mit den ganzen Marimbas, Vibra- und Xylophonen war besonders üppig, dazu drei Ondes Martenot … und dahinter ein wohl ähnlich grosser (ca. 100köpfiger) Chor, der auf- und wieder abtauchte (sitzend quasi unsichtbar wurde). Natürlich hielt sich Adel Abdessemed (geboren 1971 in Algerien und vornehmlich als Installations- und Videokünstler tätig) sich nicht an die exakten Vorgaben Messiaens, was die zu verwenden Bühnenbilder und Kostüme anbelangt. Er fand einen eigenen Weg, sehr stimmig in jeder Hinsicht. In dieser in die Gegenwart geholten Darbietung des Stückes kam es auch zu prägnanten Momenten, wenn etwa das „j’ai peur“ von Frère Léon, mit dem es los geht und das immer wieder kommt, mit der Zeit auch eine Art Slapstick-Charakter annimmt, wie es auf Tonträger allein nicht geschieht. Dass manche Buchstabenfolgen bei Robin Adams etwas gar amerikanisch klangen, war nicht tragisch, er lieferte eine beeindruckende Performance ab. Claire de Sévigné wieder zu hören, war toll – auch sie überzeugte in ihrer Rolle als Engel. Aber es bringt eigentlich nichts, hier einzelne Faktoren herauszustreichen, denn das Ding ist so monumental, dass es eh nur funktioniert, wenn das Gesamtpaket passt. Und das war wirklich auf beeindruckende Weise der Fall. Das Orchester unter Jonathan Nott – je nach Szene unterschiedlich verdeckt durch grosse „Medaillons“, die vor den erwähnten Gazevorhang gehängt waren – leistete ebenso Hervorragendes wie der Chor, wie die Technik und das beeindruckende Ensemble der Solisten (ausser dem Engel ist keine Frauenstimme dabei). Die Musik von Messiaen ist dabei vollkommen irre, es gibt unglaubliche Dinge zu hören, eine ständige Neu-Kombinierung von Instrumenten(gruppen), eine unfassbare Palette an Farben und Nuancen, die hier aufgefächert wird. Auch rhythmisch ist die Oper immens beeindruckend, z.B. im Konzert, das die Vogelpredigt umgibt. Da spielen diverse Instrumente sich überlagernd in je eigenen Tempi, was sich natürlich der klaren Wahrnehmung völlig entzieht, aber unendlich faszinierend anzuhören ist.

Ich hätte den Ausflug nach Genf so legen müssen, dass ich von den nur gerade vier Aufführungen (die Bühne konnte wohl nicht rasch für anderes umgebaut werden und so gab es vier Aufführungen am 11., 14., 16. und 18. April) noch eine zweite hätte sehen können. Denn natürlich schlug auch irgendwann die Müdigkeit zu (ich war am Vormittag des 16. angereist, am 18. ging es auch schon wieder heim).

Nikolai Lugansky – Genf, Victoria Hall – 17.04.2024

Nikolai Lugansky Klavier

FRÉDÉRIC CHOPIN: Nocturne op. 27 no 2 en ré bémol majeur / Ballade no 4 en fa mineur, op. 52
SERGUEÏ RACHMANINOFF: Études-tableaux op. 39 no 4, 5, 6, 8, 9

RICHARD WAGNER/NIKOLAÏ LUGANSKY: 4 Scènes de „Götterdämmerung“
RICHARD WAGNER/FRANZ LISTZ: Mort d’Isolde, extrait de „Tristan et Isolde“, transcription pour piano, S 447

Am 17. hatte ich noch einen anderen Termin in Genf, und da ich trotz mehrerer Ausflüge die Stadt noch kaum kenne, beschloss ich, noch eine Nacht anzuhängen und suchte dann auch noch nach einem passenden zweiten Abendprogramm. Dieses bot Nikolai Lugansky in der Victoria Hall, die nochmal um einiges mehr Bling-Bling zu bieten hat als die renovierte Tonhalle (gerade so wie die Prunkräume der Genfer Oper alles in den Schatten stellen, was die Oper Zürich zu bieten hat … der Saal in Genf ist allerdings modern). Das Programm sprach mich zwar nicht so wirklich an, aber doch genug, als dass ich die Gelegenheit nutzen wollte. Und es lohnte sich am Ende doch sehr. Überaus kultivierte Darbietungen von Chopin machten den Einstieg, die Stücke von Rachmaninoff sind mir nicht wirklich vertraut und ich fand sie spannend. Am besten gefielen mir dann die eigenen Wagner-Transkriptionen unterschiedlicher Szenen aus der „Götterdämmerung“, nach denen mit Liszts „Tod Isoldens“ ein passender Abschluss folgte. Fertig war es da aber noch nicht, Lugansky spielte grosszügige vier Zugaben – und bevor ich schreibe „Bach und dreimal Romantik“ google ich sehe, dass es neben einer Bach-Transkription noch drei Stücke von Rachmaninoff waren, die Lugansky spielte. Ein beeindruckendes Rezital, das mein Interesse zu fesseln vermochte, auch wenn kein geschätztes Repertoire dabei war, von den beiden Chopin-Stücken am Anfang mal abgesehen.

3. La Scintilla Konzert: Mozart – Zürich, Opernhaus – 21.04.2024

Orchestra La Scintilla
Kristian Bezuidenhout
Dirigent und Hammerklavier

WOLFGANG AMADEUS MOZART
Sinfonie Nr. 33 B-Dur KV 319
Klavierkonzert Nr. 14 Es-Dur KV 449

Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466

Das letzten klassische Konzert gab es dann letzten Sonntagabend. Ein reines Mozartprogramm, geleitet von Kristian Bezuidenhout, den ich seit längerem für einen der besten Mozartianer unserer Zeit halte. Der Eindruck hat sich bei diesem Konzert mit dem Alte-Musik-Ensemble der Zürcher Oper noch einmal verfestigt. KV 466 war das unbestrittene Highlight, auch die Gelegenheit, die Klapperkiste (leider gibt es keine Angaben zum Instrument im Programmheft) singen zu hören, wie das in KV 449 noch nicht ganz gelang. Die Sinfonie bot einen schönen aber – so geht es mir bei Mozarts Symphonien mit Ausnahme der letzten, v.a. 40 und 41, immer wieder – etwas langfädigen Einstieg in das Konzert. Ich war an dem Abend leider aber auch etwas müde und erst nach der Pause fürs Highlight so richtig aufmerksam dabei (ich hätte mir hier auch eher eine Matinée gewünscht, Sonntag 20 Uhr finde ich eine seltsame Zeit, wenn sonst fast alle klassischen Veranstaltungen sonntags spätesten um 17 oder 17:30 Uhr beginnen). Eine Zugabe wurde trotz grossen Applauses nicht gegeben – ein Solo-Stück zu spielen wäre zwar schön, nach diesem Konzert aber auch ein kleiner Affront fürs Orchester gewesen, einen Satz zu wiederholen finde ich stets befremdlich … völlig okay also.

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