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Ich möchte noch was über die Duke Ellington-Biografie von Wolfram Knauer schreiben. Es ist jetzt schon ein bisschen her, dass ich sie gelesen habe und ich kann nicht mehr genau unterscheiden, was ich wirklich darin gelesen habe und was sich in meinem Kopf daraus zusammensetzt. Aber ist ja gut, dass sich in meinem Kopf was zusammensetzt.
Mit gut 300 Seiten ist die Bio recht knapp. Das hat Vor- und Nachteile. Vielleicht würde im deutschsprachigen Raum auch kaum jemand ein dickeres Buch über Ellington lesen wollen. Knauer klappert nicht alle Lebensdaten des Duke ab. Er stellt die Musik Duke Ellingtons in den Mittelpunkt und setzt in einem „Intro“, zwölf „Chorus 1“ bis „Chorus 12“ betitelten Kapiteln und einer „Coda“ verschiedene Schwerpunkte. Daraus ergibt sich ein Gesamtbild mit Lücken – die sich aber umso schöner mit eigenen Gedankenketten, Spekulationen und Fantasien füllen lassen.
Ellingtons Herkunft aus Washington, einer Stadt mit schon um die Jahrhundertwende sehr hohen Anteil Afro-Amerikaner mit starkem Selbstbewusstsein, Sohn eines Oberkellners, der in kultivierter Umgebung aufwuchs. Die Harlem Renaissance, deren Teil Duke Ellington in den 20ern war, sein Engagement im Cotton Club von 1927-31, wo er Gelegenheit hatte, seine Musik im Spannungsfeld von Unterhaltung, Kunst und Kommerz zu entwickeln, die geschliffenen Aufnahmen der 40er Jahre, die enge Freundschaft mit Billy Strayhorn, das Comeback in den 50ern, die Experimente mit Coltrane, Mingus und Roach und die musikalischen Suiten, Ellingtons besonderes Verhältnis zu „seinen“ Musikern, die er als Charaktere in seinen Kompositionen und Arrangements auftreten ließ, sind einige der Themen.
Das anstrengende Leben als Geschäftsführer des mittelständischen Unternehmens „The Duke Ellington Orchestra“, das oft wochenlang auf Achse war, teils täglich in einer anderen Stadt, mit hohen Personal- und Reisekosten. Der damit verbundene Druck, das alles wieder einzuspielen und dabei den Spagat zwischen Kunst und Kommerz zu schaffen.
It Don’t Mean A Thing If It Ain’t Got That Swing, das mag heute etwas banal erscheinen, aber 1932 war es das keineswegs. Knauer schreibt, dass Jazz – zumindest in Form von Aufnahmen – damals ja gerade erst 15 Jahre alt war und sich als Kunstform noch herausbildete. Der Umstieg von Tuba auf gezupften Kontrabass war dabei entscheidend für ein neues rhythmisches Gefühl. Und da beschreibt Knauer sogar detailliert den Klang des Basses, mit „Einschwingprozess“, „volltönenenden Akzent des Schlags“ und das „Ausklingen“, also eines in sich schon komplexen und dynamischen Klangs. Das bildete fortan die Basis der Musik. Im gleichen „Chorus“ beschreibt Knauer Ellington als Künstler, dessen erklärtes Ziel es ist, „meine eigene Vorstellung von Negermusik zu entwickeln.“ (Zitat Ellington), also Musik als etwas Identität und Gemeinschaft stiftendes zu schaffen. Swing als die verbindende gemeinsame Grundlage der Musik, auf die sich Musiker und Publikum gleichermaßen beziehen? Von der sie ein gemeinsames Wissens und für die sie ein Gespür haben, das aber eben auch nicht jeder hat? Woanders im Forum wurde Diedrich Diederichsen zitiert, wie er über Funk als identitätsstiftendes Stilmittel philosophierte …
Knauer beschreibt vor allem einige Aufnahmen der Ära Blanton-Webster-Strayhorn detailliert, insbesondere Ko-Ko von 1940. „Das Thema hat kaum melodische Gestalt“ (Knauer), aber die Schichtung und Reihung von Klängen und Riffs, das Spiel von Ruf und Antwort, die gezielt gesetzten Akzente, der Wechsel von Transparenz und Verdichtung, die Verzahnung von all dem ergeben eine Dramaturgie, die in nicht mal 3 Minuten eine irre Spannung erzeugen. Das Arrangement der Klänge ist hier die Komposition. Man muss das parallel hören und lesen! In meinen Ohren ist Ko-Ko die schönste Verbindung von Dampflokomotive, schwarzem Panther und Josephine Baker.
Knauer beschreibt Ellington als selbstbewussten Genussmenschen (und auch eitlen Hypochonder), der das Leben in allen Facetten auskostete, mit 2 Ehen und zahlreichen Geliebten, die wohl auch Inspiration für einige seiner Kompositionen waren. Zuletzt war er mit einer Fernanda de Castro Monte liiert. Allein der Name ist ja schon Musik! Überhaupt, die Erotik: Knauer widmet der Erotik eine längere Passage. Gibt es da nicht auch ein erotisches Verhältnis von Ellington zu seiner Musik und zu seinen Musikern? Hat Duke Ellington vielleicht nicht sogar was mit Billy Strayhorn gehabt? Völlig unabhängig davon, was da wirklich dran ist: Der Gedanke an sich ist anregend – und irgendwie stimmt das ja so oder so! Knauer zitiert einen anderen Autor: „Billy Strayhorn war die Liebe seines Lebens.“
Was braucht der Mensch? 1.) diese Duke Ellington-Biografie von Wolfram Knauer, 2.) die beiden oben genannten 3 CD-Compilations und 3.) eine weitere Compilation, auf der Ko-Ko in der Aufnahme von 1940 enthalten ist, z.B. diese hier. Unerklärlicherweise fehlt die auf den anderen Compis! Darauf kann man bei Bedarf weiter aufbauen.
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)