Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Danke @yaiza, das klingt nach einem exquisiten Konzert!

Bei mir gab’s die letzten Wochen, ohne dass ich noch viel dazu schreiben könnte:

Faust Heroisch – Basel, Stadtcasino – 16.03.2024

Kammerorchester Basel
Giovanni Antonini
Leitung
Isabelle Faust Violine

LUDWIG VAN BEETHOVEN
Konzert für Violine und Orchester in D-Dur

Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur «Eroica»

Isabelle Faust hat mich bei der Gelegenheit wieder einmal enorm beeindruckt. Die neun oder zehn Stühle auf der Bühne (dasselbe auf der linken Seite) zeigen, wie gut das Stadtcasino stets ausgelastet ist. Vielleicht sollten sie sich allmählich auch überlegen, manche Konzerte zweimal aufzuführen.

Ensemble Opera Nova – Studiobühne, Opernhaus Zürich – 21.03.2024

The Unanswered Question:
Das Amerika der Moderne – ein Abend mit verrückten Komponistenpersönlichkeiten des amerikanischen Kontinents

Ensemble Opera Nova
Hans-Peter Achberger
Musikalische Leitung

Charles Ives (1874 – 1954): The Unanswered Question / Trompete Evgeny Ruzin
Conlon Nancarrow (1912 – 1997): Study for Player Piano Nr. 7*
Elliott Carter (1908 – 2012): Concertino for Bass Clarinet and Chamber Orchestra / Bass-Klarinette Filipa Margarida Sacramento Nunes
Conlon Nancarrow: Study for Player Piano Nr. 21*
George Crumb (1929 – 2022): Night of the Four Moons / Alt Dominika Stefanska, Flöte Etni Molletones Mendoza, Banjo Gunter Schneider, Elektrisches Cello Claudius Herrman

John Cage (1912 – 1992): Third Construction für 4 Schlagzeuger / Schlagzeug Didier Chevalier, Dominic Herrmann, Dessislava Kepenerova, Hans-Peter Achberger
Conlon Nancarrow (1912 – 1997): Study for Player Piano Nr. 3a*
John Adams (geb. 1947): Chamber Symphony (1993)

*Schweizerische Erstaufführung

Dazu fällt es mir leichter, im Rückblich ein paar Zeilen zu schreiben, denn das war ein wirklich besonderes Konzert. Die Probebühne ist ein charmfreier schwarzer Kubus tief im Keller neben dem Opernhaus, hoffentlich gut gegen das Grund- und das nur wenige Meter entfernte Seewasser gesichert. Achberger ist Schlagzeuger im Orchester und leitet einmal pro Saison seine eigenes Ensemble, mit dem er gerne interessante Musik aus dem 20. Jahrhundert aufführt. Dieses Mal habe ich es endlich hin geschafft. Die Produktion von „Amerika“ war nur oberflächlicher Bezugspunkt, aus den USA stammten halt die Werke bzw. Komponisten (Nancarrow lebte in Mexico, weil er nach der Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg in den USA nicht mehr Fuss fassen konnte).

Nach dem stimmungsvollen Einstieg mit Ives (die Bläser spielten von hinterm Vorhang) – der recht anders war als die gross besetzte Version neulich in der Tonhalle mit Kent Nagano – gab es schon die erste Einlage des Player Pianos. Ein funktionstüchtiges Instrument konnte von einem Mäzen/Sammler, die Rollen aus der Paul Sacher Stiftung in Basel geliehen werden. Dort lagern auch Nancarrows Instrumente, doch die waren schon bei ihrer Übernahme kaum noch nutzbar – die ganze Antriebstechnik scheint diffizil zu sein und der stetigen Pflege zu bedürfen. Das Player Piano stand vorn am Rand, ich hatte einen Blick auf die Tastatur, dank einer Kamera und der Übertragung auf eine grosse Leinwand hinter der Bühne war aber das ganze Instrument gut zu sehen. Aufgeführt wurden die Stücke in der Schweiz gemäss den Recherchen der Sacher-Stiftung tatsächlich nie, Achberger meinte, man habe bloss kurze Ausschnitte nach der Übernahme des Nachlasses in kleiner Runde auf den alten Instrumenten abgespielt.

Die Musik von Nancarrow erklang ja später nochmal und diese Stücke sind schon völlig irre. Manchmal klingt das nach quasi klassisch verwurstetem Ragtime, Boogie oder Blues, erinnerte mich in der Linienführung auch mal an den Jazzpianisten Lennie Tristano. Aber in den krassesten Momenten der Verdichtung werden so viele Tasten aufs Mal gespielt, wie es ein oder auch zwei Menschen nicht hinkriegen würden. Da werden auch Versuchsanordnungen durchgespielt, z.B. eine Art „X“, in der eine Stimme aus der Tiefe hochgeht, die andere im Diskant anfängt, und in der Mitte kreuzen sie sich dann, es kommt quasi zum Clash … toll, das mal hören zu können!

Die grossen Highlights kamen aber von Elliott Carter – die Solostimme spielte souverän die Bassklarinettistin des Orchesters der Oper, also der Philharmonia Zürich, Filipa Margarida Sacramento Nunes – , von Robert Crumb – wunderbar gesungen von der Mezzo-Sopranistin Dominika Stefanska, die neulich auch bei „Sweeney Todd“ mitwirkte; die Texte stammen von García Lorca – und von John Cage – ein völlig irres, komplett durchkomponiertes Stück für vier Schlagzeuger*innen, aus deren oft gegenläufigen Rhythmen sich Schichtungen ergeben, die nicht mehr zu verstehen sind, so dicht wird das – und klingt, wie Achberger im Gespräch (mit Claus Spahn, dem Chefdramaturgen der Oper) meinte, manchmal wie Chaos, aber nur, weil eine solche Verdichtung stattfindet. Irre!

Den Ausklang machte dann Adams‘ Chamber Symphony, die eine Art Trickfilm-Big Band-Adaption für klassisches Kammererensemble ist, rasant, witzig, süffig, mit viel Arbeit für die Bläser.

Als Zugabe, während die Musiker*innen zusammenpackten und von Freund*innen belagert wurden, das Publikum langsam den Keller verliess, spielte das Player Piano noch Gershwins eigene Piano Roll der „Rhapsody in Blue“ – da konnte man das Ding dann noch etwas aus der Nähe betrachten … aber nach zweieinhalb Stunden mochte ich nicht mehr allzu lange bleiben und zuschauen. Ein tolles Konzert!

Als nächstes steht nach einem Ausflug an die Stanser Musiktage für zwei Jazzkonzerte dann ein „immersives Konzert“ von Barbara Hannigan und den Labèque Schwestern in der Tonhalle an: „Electric Fields“ Werke von Hildegard von Bingen, Barbara Strozzi, Francesca Caccini, Bryce Dessner und David Chalmin.
https://www.tonhalle-orchester.ch/konzerte/kalender/electric-fields-mit-barbara-hannigan-1747620/

Und am Sonntag dann eine Matinée mit Strauss im Opernhaus – Orchesterlieder mit Diana Damrau und etwas Orchestermusik, am Pult Chefdirigent Gianandrea Noseda:
https://www.opernhaus.ch/spielplan/kalendarium/strauss/2023-2024/

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