Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Nächste Runde – die andere letzten Herbst in Lyon gekaufte Fresh Sound-CD … Vibraphonist Julius Wechter. Der gehörte wohl später zur Wrecking Crew und hatte davor, nachdem er mit Tijuana Brass gespielt hatte, auf Anregen von Herb Alpert seine Baja Marimba Band gegründet. Zeitgeist galore … aber hier gibt es sehr hörenswerte Musik zu entdecken und ein Booklet von James Harrod, das sehr informativ ist. Für Jazz:West machte Julius Wechter im Mai 1956 eine LP im Quartett mit Cy Colley Jr (as), Jim Bates (b) und Frank DeVito (d). Für die Fresh Sound-CD grub man noch eine unveröffentlichte Session für das Label Intro aus, sieben etwas kürzere Stücke zu den acht von der auch relativ kurzen LP. Wechter und Colley besuchten das L.A. City College und waren in der Zeit recht aktiv in Tanzbands usw., was Harrod alles aufbereitet. 1954 spielten sie mit dem Collegian Sextet bei einem Wettbewerb in Howard Rumseys Lighthouse (Al Marlowe-p, Hal Brown-g, Ken Greig-b, Sam Goldstein-d) und gewannen den Wettbewerb „on the basis of ‚originality and versatility'“, wie auf der Titelseite der Studentenzeitung des Los Angeles City College zu lesen war (50$ Preisgeld). Die Jury bestand aus Bud Shank, Bob Cooper, Claude Williamson, Rumsey und Stan Levey, sie konnte aus acht Bands von Unis und junior colleges auswählen.

Frank DeVito (*1930) spielte noch bevor er 20 war in wichtigen New Yorker Clubs (Famous Door, Three Dueces, Birdland, Onyx), zu seinen Freunden aus seiner Heimatstadt Utica gehörten J. R. Monterose und Sammy Mancuso, gehörte um 1950 herum zur Band von Buddy DeFranco, spielte mit Billie Holiday, Lee Konitz, Horace Silver, Stan Getz usw. und sprang für Roy Haynes bei Charlie Parker und Dizzy Gillespie ein. Ab 1953 gehörte er dann für zwei Jahre zur Combo von Terry Gibbs.

Herb Kimmel, der Produzent von Aladdin Records bzw. Jazz:West erinnerte sich 2002 im Gespräch mit Harrod an die Sessions, die er mit dem Quartett von Wechter/Colley aufgenommen hatte. Er sei unsicher gewesen, ob es sich lohnte, aus dem Material Masters für eine LP zu erstellen: „I felt the the quality was uneven“. Er hat sich mit Dave Brubeck verabredet, der gerade unterwegs nach Hause war und in Brubecks Motelzimmer hätten die beiden die Aufnahmen angehört: „He strongly supported the decision to produce the records, which helped me to decide.“

Harrod grub die verbleibenden Unterlagen der betreffenden Musikergewerksachft (AFM Local 47) aus, es gab wohl zwei Sessions, eine am 5. Mai 1956 in den Master Recordes Studios, die zweite ist nicht mehr datierbar. Es handelt sich um zwei dreistündige Sessions für je vier Stücke. Die Einträge bei Local 47 stammen vom 21. und 25. Mai 1956, es gibt einen Vertrag zwischen Aladdin Records und Wechter, in dem die Bezahlung geregelt wird, und einen Anhang mit den Namen der Sidemen.

Nat Hentoff gab der Platte in Down Beat (23. Januar 1957) dreieinhalb Sterne: „There is no piano, says Wechter, because ‚we found that a much more liberated feeling can be attained by not being held down to chords. Not that chords aren’t there, but it’s a matter of feeling or suggesting them rather than actually hearing them, the use of contrapuntal lines and basic chordal notes become a major part of our accompaniment.‘ […] The texture of the quartet is light without being brittle. The interplay between Wechter and Colley is flowing and sensitive.“

Lustigerweise findet Hentoff Wechter den überzeugendsten Solisten, während Kimmel im Gespräch 2002 für Colley votiert. Ich finde den Klang der Gruppe sehr attraktiv – und das damalige LP-Cover ebenso:

Für die Bonus-Session, die für das Label Intro (gehörte ebenfalls zu Aladdin) hat Harrod ebenfalls ordentlich recherchiert. Sie fand am 27. März 1957 im Audio Arts Recording Studio statt und neben Wechter (vib) waren dabei: John Bambridge Jr. (cl), Dennis Budimir (g), Bates (b) und Jerry Williams (d). Im Innern der Traycard der Fresh Sound-CD gibt es nicht nur die beiden Jazz:West-Label sondern auch die der Testpressung, darauf insgesamt zehn Stücke von denen drei (Greensleeves, Mambo, Devil & The Deep Blue Sea) auf der CD weggelassen wurden (Grund laut Harrods Liner notes „deemed unsuitable for release due to excessive surface noise“). Budimir war damals erst 18, hatte in seiner Highschool-Zeit aber schon mit einer Gruppe gespielt, zu der Billy Higgins, Eric Dolphy, Lester Robinson und H.B. Barnum gehörten. Bambridge sammelte später einige Credits (inkl. grosser Namen: Kenton, Manne, Goodman), Williams gehörte zur Combo von John T. Williams (also *dem* John Williams, der damals als John Towner oder John Towner Williams Jazz spielte) – Discogs sagt, die zwei seien Brüder. Über Bates konnte auch Harrod nicht viel herauskriegen: „His next recorded work in jazz was with Pepe Cavanaugh for Reprise Records and Ed Conley for Skyline Records“.

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