Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Ich wollte längst zu Alexandra Dovgan schreiben, zum Konzert in der Tonhalle mit dem Kammerorchester Basel unter Jonathan Cohen im Rahmen der Neuen Konzertreihe Zürich am 27. Februar. Das Konzert war sehr schön, aber umgehauen hat es mich – wie ihr Rezital letzte Saison – nicht direkt. Ihr Approach bei Mozart war schon sehr toll: unaufgeregt, perlendes Spiel von enormem Fluss und bewundernswerter Gleichmässigkeit – eine emotionale Zurückgenommenheit, wie sie mir bei Mozart oft sehr passend scheint. Vor allem im „Jeunehomme“-Konzert kam das richtig gut. In der ersten Konzerthälfte war Myslivečeks Concertino Es-Dur für 2 Klarinetten, 2 Hörner, Fagott und Orchester mein Highlight (im Programmheft stand auch noch „2 Flöten“ dazu) – da standen die Bläsersolist*innen für einmal hinter dem Orchester und drangen so auch gut durch, es ist ja auch kein eigentliches Solo-Konzert sondern ein Stück, in dem die Bälle zwischen den vielen Solist*innen und dem Orchester rege hin und her geworfen werden. Davor gab’s die Ouvertüre zu „Lucio Silla“ und das Klavierkonzert D-Dur KV 175 (Nr. 5, das erste „eigene“ von Mozart, Nr. 1-4 sind mehr oder weniger Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten – man behafte mich nicht auf diesen Wortlaut bitte). Nach der Pause ging es mit Auszügen aus der Bühnenmusik zu „Thamos, König von Ägypten“ weiter und dann folgte das Klavierkonzert Es-Dur KV 271 (Nr. 9, eben „Jeunehomme“ oder auch „Jenamy“). Als Zugabe spielte Dovgan dann den Walzer cis-Moll Op. 64/2 von  Chopin – in einer rubatoreichen aber doch ziemlich rasanten und überzeugenden Version. Cohens Dirigat gefiel mir sehr gut und das KOB wusste auch ohne Solistin zu überzeugen.

Neun Tage früher, am Sonntag 18. Februar schon, war ich an der Einführungssmatinée zu „Amerika“, der Oper von Roman Haubenstock-Ramati, die am Sonntag (glaub ich) Premiere hatte. Ich hab da spontan beschlossen, gleich noch für eine zweite Vorstellung eine Karte zu kaufen – wie ich es für (halbwegs) Zeitgenössisches am Opernhaus immer tun sollte … dieses Mal zum Glück rechtzeitig bedacht, ich gehe am Samstag und kommende Woche dann am Freitag erneut hin. Das Gespräch mit Dirigent Gabriel Feltz, Regisseur Sebastian Baumgarten und der Sopranistin Mojca Erdmann (sie singt Klara und Therese), geführt vom Dramaturgen Claus Spahn (diese Stücke aus dem 20. und 21. Jahrhundert sind stets Chefsache, Spahn ist der Leiter der Dramaturgie am Haus) war höchst interessant, einerseits weil erstmals die irre Biographie Haubenstock-Ramatis aufgezeigt wurde (er scheint sie nur ganz wenigen Menschen erzählt zu haben, einer davon ist Heinz Holliger), andererseits weil das quasi ein Werkstattbericht war, der faszinierende Einblicke in das Stück (ein wie man heute sagt „kafkaeskes“ Stationendrama, das dem Irrweg Haubenstocks in der Zeit der Nazerei nicht völlig unähnlich scheinen mag), und auch in die Probearbeit, die höchst schwierig ist. Einen Klavierauszug kann man da nicht machen, es wurde geprobt, indem auf Tischen oder sonstwo Tempi geklopft wurden, überhaupt wurde über die Partitur ein Zeitraster gelegt, an dem sich die Sänger*innen und Tänzer*innen auf der Bühne sowie natürlich der Dirigent im Graben orientieren werden – weil das alles äusserst präzise ist, auch wenn in der Ausgestaltung teilweise eher Spielanweisungen als vollständig notiertes Material vorliegen. Die Partitur für den Dirigenten ist sowieso meist „nur“ graphisch, die Noten für die Musiker*innen und Sänger*innen sind jedoch oft konventionell notiert. Da ist die Herausforderung dann wohl v.a. für den Dirigenten, den Überblick stets zu behalten und seine – wunderschöne – Graphik mit den einzelnen Parts zusammenzubringen, das alles präzise zu leiten. Zudem werden vier Orchester benötigt, von denen drei (manchmal nur eins oder zwei, seltener drei) über die Surround-Anlage im Haus eingespielt werden, sich also auch im Raum bewegen werden … diese Einspielungen hat das Opernhaus selbst angefertigt, das Orchester spielt also quasi mit sich selbst. Ich freue mich riesig darauf … wenn ich’s richtig verstanden habe, ist das erst die vierte Aufführung der Oper überhaupt (allfällige konzertante Aufführungen sind da vermutlich nicht mitgerechnet).

Letzten Sonntag gab’s dann noch ein Gesprächskonzert mit Heinz Holliger und dem Gringolts Quartett, wieder geleitet von Claus Spahn. Das war ganz grosse Klasse! Das Programm:

Gringolts Quartett: Ilya Gringolts (Violine), Anahit Kurtikyan (Violine), Silvia Simionescu (Viola), Claudius Herrmann (Violoncello)
Heinz Holliger (Oboe)

György Kurtág: 12 Microludes für Streichquartett op.13
Franz Schubert: Streichquartett G-Dur D.887 II Andante un poco mosso
Roman Haubenstock-Ramati: Multiple V 1970 (Heinz Holliger gewidmet) [Heinz Holliger (Oboe), Ilya Gringolts (Violine)]

Im Gespräch: Der Komponist Roman Haubenstock-Ramati [Heinz Holliger, Claus Spahn]

Roman Haubenstock-Ramati: Streichquartett II in memoriam Christl Zimmerl (1977)
I Bittersüss, Wienerisch / II Ziemlich Rasch / III Kanon I / IV Violente / V Kanon II / VI Valse Triste

Das Streichquartett war das musikalische Highlight – zwei wienerisch zumindest anmutende, wie Holliger meinte mit Schmelz und Vibrato à la Kreisler zu spielende Ecksätze (v.a. der Schlusssatz, im ersten sind das eher Anklänge), dazwischen Musik von einer Schroffheit, Kälte und Härte, die einem manchmal fast den Atem verschlägt. Das Stück für Oboe und Violine ist eins, bei dem anscheinend vieles nur partiell notiert ist, da werden z.B. Bewegungen oder Tonbereiche genannt und Akkorde/Tonleitern/Einzeltöne, die gespielt werden sollen/dürfen, in der effektiven Ausgestaltung ist aber vieles den beiden Musikern überlassen. Dabei kamen allerlei unkonventionelle Spieltechniken zum Einsatz, Holliger erzeugte z.B. in manchen Passagen nur beim Einatmen durch die Oboe Töne, entfernte das Rohrblatt und blies direkt in die Oboe, Gringolts spielte unterhalb des Stegs, beide setzten auch ihre Stimme ein (Holliger während dem spielen von Tönen, was bei der Oboe soweit ich weiss ziemlich verdammt schwierig ist). Der Einstieg mit den kurtág’schen Miniaturen und dem anschliessenden Schubert-Satz war auch schon toll – ich habe schon Jahre nichts mehr von Kurtág live hören können, das war also höchst willkommen.

Im Gespräch erzählte Holliger, wie er Haubenstock erstmal traf und bei weiteren Treffen mit der Zeit immer besser kennlernte, bis dieser ihm irgendwann seine ganze (völlig irre, wie gesagt) Lebensgeschichte erzählt hat.

PS: das kleine Büchlein, das Holliger auf dem Foto in der Hand hält, ist die Taschenpartitur von Haubenstock-Ramatis zweitem Streichquartett, die er während der Aufführung mitgelesen hat.

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