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Zürich, Opernhaus – 16.12.2023
Barkouf
Jacques Offenbach (1819-1880)
Opéra-comique in drei Akten, Libretto von Eugène Scribe und Henry Boisseau
Musikalische Leitung Jérémie Rhorer Inszenierung Max Hopp
Bühnenbild Marie Caroline Rössle
Kostüme Ursula Kudrna
Kostümbildmitarbeit Sebastian Helminger
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Choreografie Martina Borroni
Wiedereinstudierung Choreografie Lorenzo Soragni
Dramaturgie Kathrin Brunner
Bababeck Marcel Beekman
Le Grand-Mogul Andreas Hörl
Saëb Oleksiy Palchykov
Kaliboul Daniel Norman
Xaïloum Andrew Owens (stumm gespielt) / Sunnyboy Dladla (gesungen)
Maïma Brenda Rae
Balkis Svetlina Stoyanova
Périzade Siena Licht Miller
Erzähler Daniel Hajdu
Verschwörer Bo Zhao, Utku Kuzuluk, Thomas Luckett, Robert Weybora, Timm de Jong, Piotr Lempa
TänzerInnen Alessio Urzetta, Sara Pennella, Davide Pillera, Michaela Kvet, Jessica Falceri, Gianluca Falvo, Giorgia Bortoluzzi, Giovanni Chavez Madrid
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich
Samstag vor einer Woche dann die Wiederaufnahme von „Barkouf“, der Opéra-comique von Jacques Offenbach, die letzte Saison zum ersten Mal aufgeführt wurde – mit denselben Sänger*innen bis auf Palchykov und Stoyanova … und Sunnyboy Dladla, der sehr kurzfristig eingesprungen ist, erst drei Stunden vor Vorstellungsbeginn gelandet war (nach einer Odyssee über Prag, weil in Deutschland wohl ein paar Flughäfen zu waren oder so, Intendant Andreas Homoki kam zu Beginn rasch auf die Bühne). Owens hatte keine Stimme, spielte seinen Part aber, während Dladla mit Notenpult (er kannte den Part, aber natürlich nicht die Inszenierung) am Rand der Bühne stand und sang.
Das Stück ist vielschichtig und in vieler Hinsicht bemerkenswert – und so wenig bekannt, dass ich etwas ausholen mag. Regisseur Max Hopp antwortet im Gespräch im Programmheft auf die Frage, „worum es hier geht“, so: „Das ist gar nicht so einfach. ‚Ein Hund wird als Statthalter eingesetzt‘ – das wäre zu kurz gegriffen. ‚Der Mundschenk Bababeck, ein machtgieriger Popanz, will selber an die Macht, indem er den Hund als sein Sprachrohr zu benutzen plant‘ – auch das ist zu kurz gegriffen. ‚Maïam, Barkoufs ehemalige Besitzerin, die als ‚Übersetzerin‘ seiner Befehle eingestellt wird und diese im Sinne des Volkes ummünzt, zettelt so eine Revolution an‘ – auch das ist zu simpel. Dieses Stück ist so reichhaltig. Ich halte es einerseits für eines der politischsten Werke, die Offenbach je komponiert hat, und andererseits ist es eine durchgeknallte Revue voller Nonsens, die dann wieder Momenten tiefer Emotionalität Raum gibt. Diese Posse ist ein Spiegel, in dem wir unsere eigene Verzerrung lachend geradebiegen können. Dann ist da noch dieses wunderbare Frauenbild, das in diesem Stück gezeichnet wird. Völlig neu und unüblich für die damalige Zeit und noch nie so kraftvoll und eindeutig im Musiktheater erzählt. […] Offenbach und sein Autor Eugène Scribe sind somit Wegbereiter der Emanzipation im Musiktheater der damaligen Zeit. Sie leiten mit Barkouf eine neue Ära ein.“
160 Jahre war die Oper verschollen, erst 2018 wurde sie – nachdem der Offenbach-Forscher Jean-Christophe Keck die Originalpartitur wieder fand – in Strasbourg wieder aufgeführt. Dass die Stadt, in der die Handlung angesiedelt ist, Lahore genannt wird, täuscht natürlich nicht darüber hinweg, dass Offenbachs Stück in seiner Gegenwart, der Herrschaft von Napoleon III., spielt. Die Stadt soll gedemütigt werden, indem ihr ein Hund als Gouverneur vorgesetzt wird. Der bissige Hund gehorcht bloss seiner vormaligen Besitzerin und diese sorgt nun – zum Unwillen Bababecks – dafür, dass die Steuern gesenkt und Todesurteile kassiert werden. Natürlich hatte die Zensur an diesem Stoff keine Freude, eine erste Fassung wurde denn auch verboten – als die Proben freilich schon begonnen hatten, und auch nicht unterbrochen wurden. Es gibt ein paar kosmetische Eingriffe (der Hund wird vom „Vizekönig“ zum „Gouverneur“ degradiert, die Opéra-comique zur Opéra bouffe) und dann wird das Stück doch durchgewinkt. Was vermutlich damit zu tun hat, dass der Halbbruder und Innenminister des Kaisers Pate von Offenbachs Sohn und Bewunderer des Komponisten ist, unter Pseudonym auch als dessen Librettist gearbeitet hat – während Offenbach selbst sich aus der Politik heraushielt.
Bei der Kritik fiel das Stück allerdings damals durch. Über die sehr moderne, vielschichte Musik schreibt Volker Hagedorn im Programmheft: „Offenbach geht in Richtung der grossen Oper und lässt sie zugleich hinter sich. Er bietet eine erstaunliche Mischung aus Witz und Melancholie, von traurigem Lächeln springt er zu wahnwitzigem Übermut. Beiläufig wirft er chromatische Modulationen hin, in denen ein Tristanakkord nicht auffiele, zugleich Melodien, die man immer wieder hören möchte. Diese Couplets, Duos, Ensembles, Chöre sind subtiler komponiert, enger aufeinander bezogen als im Orphée. Offenbach liefert auch Randbemerkungen wie die der Goncourts, knapp un genau, Blicke auf die Strasse. Seine Doppelbödigkeit ist nicht mehr nur komisch Die Ambivalenz des Barkouf scheint viele Begleitumstände zu spiegeln – eine Stadt als Dauerbaustelle, ein verunsichertes Regime, ein Librettist, dessen Tage gezählt sind, während die Opernkonventionen bröckeln. Barkouf weiss zu viel davon, dieser Hund muss begraben werden. Nach der siebten Vorstellung am 16. Januar [1861] wird das Stück abgesetzt, trotz passabler Einnahmen. Die ‚Gendarmen der Ästhetik‘ (so Xavier Aubryet im Figaro jener Tage) haben gesiegt […]; die Partitur bleibt 150 Jahre lang verschwunden. Wir können sie nun so betrachten wie den Pariser Stadtplan von Haussmann, wo zwischen den Linien der Gegenwart schon die Zukunft Gestalt annimmt.“
Die Zürcher Inszenierung fand ich sehr gelungen. Eine einfache Drehbühne mit einer geschwungenen Betontreppe, in der, für Zürcher*innen unschwer zu erkennen, bauliche Elemente des Bahnhofs Stadelhofen vereint werden (die Aussentreppe, die geschwungenen Tragelemente der unterirdischen Einkaufspassage). Unter der Treppe wird gelebt, gekämpft, geruht, geplant, auf der Treppe regiert und intrigiert. Mit den Kostümen und dem Einbezug einer Gruppe von Tänzer*innen sieht das oft ziemlich campy aus – und ist ein immenses Vergnügen. Dafür wurden die anscheinend recht langfädigen gesprochenen Passagen ersetzt und ein Erzähler eingesetzt – in der Erstaufführung letzte Saison von André Jung gespielt – , der das Geschehen im Rückblick erzählt und immer wieder kommentiert. Das ist stellenweise immer noch ein klein wenig langfädig, aber alles in allem hervorragend gemacht. Und das Ensemble ist auch bei diesem ersten (von nur vier, heute läuft schon der letzte) Wiederaufnahmeterminen hervorragend abgestimmt, das Orchester glänzt unter der kundigen Leitung von Jérémie Rhorer ebenfalls.
Fotos: Opernhaus Zürich, Monika Rittershaus
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