Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle – 04.12.2023 – Neue Konzertreihe Zürich

András Schiff Klavier

JOHANN SEBASTIAN BACH
«Italienisches Konzert» F-Dur BWV 971
Partita h-Moll BWV 831, Ouvertüre nach französischer Art aus Clavierübung II

«Goldberg-Variationen» BWV 988

Auch wenn hier wohl bald wer das Licht ausknipst, doch noch ein paar Worte zu den beiden Klassikkonzerten der Woche, deren erstes ohne Pause auf das phantastische diesjährige Unerhört-Festival (Jazz und am Sonntag auch noch eine Performance eines zehnstündigen neuen Stückes von Olga Neuwirth, von der ich aber nur noch ca. eine halbe Stunde mitnehmen konnte/mochte) folgte.

András Schiff – ich bleibe ihm gegenüber zwiespältig, habe allerdings noch jedes Mal den Eindruck gehabt, viel mitzunehmen. So war es auch bei diesem weiteren Bach-Programm wieder (das letzte bestand aus den Clavierkonzerten mit seiner Capella Andrea Barca, und das liess echt keine Wünsche offen, mein eines gar nicht zwiespältiges Schiff-Erlebnis bisher). Das Programm wer mehr als nahrhaft, fast eine Stunde bis zur Pause – und danach noch die Goldberg-Variationen. Schiff wirkte dabei jeden Moment vollkommen fokussiert – aber auch irgendwie gelassen, ja heiter. Darin liegt auch schon die Kritik verborgen – aber zunächst waren das zwei gute Stunden phantastischen Klavierspiels, alle drei Werke überzeugend, aus einem Guss und mit ganz vielen schönen Details, Dingen, die ich noch nie in ihnen gehört habe (die Ouvertüre nach französischer Art kenne ich allerdings nicht gut – mal Gould hervorkramen die Tage).

Und ja, es war wirklich toll, es war beeindruckend und in sich absolut stimmig – dass ich nicht ganz glücklich damit war, lag eher an Stimmungen, an Farben denn an irgendwelchen eigentlichen Mängeln. Schiff spielte einen schwarzen Steinway (keins seiner ausgefalleneren Instrumente wie bei ben letzten Konzerten, die ich von ihm erlebte) – und entlockte diesem eine unglaubliche Menge an Klangfarben. Dabei fehlte mir aber etwas die Dunkelheit, fehlten mir die Schatten. Aber in sich war das vollkommen stimmig, wirklich überzeugend dargeboten, die Ovationen gewiss verdient – es war einfach nicht ganz „mein“ Bach, der da geboten wurde. Oder ich vermochte die vielleicht verschmitzt angedeuteten Falltüren und -stricke (die ich Schiff durchaus zutraue) einfach nicht zu erkennen?

Winterthur, Stadthaus – 07.12.2023

Musikkollegium Winterthur
Tabita Berglund
Leitung
Leila Josefowicz Violine

ARNE NORDHEIM: „Nachruf“
ALBAN BERG: Konzert für Violine und Orchester „Dem Andenken eines Engels“

JEAN SIBELIUS: Sinfonie Nr. 7 C-Dur, op. 105

Das gestrige Konzert in Winterthur liess dann dafür bei mir gar keine Wünsche offen – im Gegenteil. Herzstück war die wahnsinnig tolle Aufführung von Alban Bergs Violinkonzert mit Leila Josefowicz, für die das Konzert „eines der grössten Meisterwerke des 20. Jahrhunderts“ ist (Zitat im Magazin des Musikkollegiums, Ausgabe Dez Jan Feb 23/24). Die Aufführung war wirklich grandios, Josefowicz mit dem Stück so vertraut, dass es absolut überzeugend geriet, was auch für die Zusammenarbeit mit Orchester und Dirigentin Tabita Berglund galt. Diese überzeugte auch davor und danach mit dem mir bisher unbekannten faszinierenden nicht ganz zehnminütigen „Nachruf“ von Arne Nordheim (1931-2010) und dann in der kurzen zweiten Konzerthälfte mit der Siebten von Sibelius. Ein seltsames Stück, diese Symphonie, die ich daheim bisher kaum angehört habe (bei meinem bisher einen intensiveren Sibelius-Symphonien hören kam ich irgendwie nur bis zu Nr. 6) – sehr eigen in seiner quasi strukturlosen Struktur, der Instrumentierung, dem seltsam stotternden Schluss … jedenfalls ein Konzert ganz nach meinem Geschmack, hervorragend gespielt und sehr stimmig programmiert (die für mein Empfinden eigentlich überflüssige Zugabe von Josefowicz war wohl von Bach, aber sicher bin ich mir nicht – fiel jedenfalls etwas aus dem Rahmen, und nach dem Berg-Konzert kan mensch doch an sich keine Zugabe mehr spielen; oder erwarten, je nach Perspektive).

Dass danach der Intendant noch ein paar Worte ans Publikum richtete und betonte, wie speziell das Programm doch gewesen sei (Berg erklang in Winterthur zuletzt 1996 unter Holliger mit dem späteren Chefdirigenten Thomas Zehetmair als Solist, Nordheim noch gar nie) – mich irritierte das ein wenig, weil sich das ganze Programm halt für meine Ohren wirklich „klassisch“ anhörte … Nordheim war es vielleicht am wenigstens mit seinem das Zeitgefühl völlig unterlaufenden Kontinuum – dafür war sein Stück viel weniger dissonant als die beiden folgenden Werke, die aber doch längst vertraut sein und gerade in so überzeugenden Aufführungen echt niemand mehr vor den Kopf stossen sollten.

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