Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle – 25.10.2023

Kammerorchester Basel
Philippe Herreweghe
Leitung
Vilde Frang Violine

WILLIAM STERNDALE BENNETT Konzertouvertüre «Die Najaden» op. 15
ROBERT SCHUMANN Violinkonzert d-Moll WoO 1

FELIX MENDELSSOHN Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 107 MWV N 15 «Reformations-Sinfonie»

Vilde Frang mit dem Konzert von Schumann war sensationell – und fand im Kammerorchester Basel und Philippe Herreweghe kongeniale Partner. Das klang für meine Ohren nochmal völlig anders als bei den beiden Aufführungen, die ich mit Isabelle Faust hörte: mit dem Tonhalle-Orchester unter einem mässig involvierten Jakub Hrusa (es machte den Eindruck, als kenne er das Konzert kaum und wolle dran auch nichts ändern) und dann mit dem Zürcher Kammerorchester unter Roger Norrington – letzteres war um Welten besser. Beide Konzerte sind länger her, aber in meiner Erinnerung spielte Faust das Konzert fast schon glatt, glänzend … während ich tippe läuft die alte Einspielung mit Menuhin und Barbirolli (NYPhil, 1938) – und so zerklüftet, atmend, ja organisch, dialogisierend – so klang auch Frang für mich. Als Zugabe spielte sie dann eine „Giga senza Basso“ von Antonio Montanari (wie der Veranstalter netterweise als Information nachreichte).

Das Programm war um Mendelssohn herum konstruiert, Teil 2 des Symphonien-Zyklus, den das Kammerorchester Basel seit der letzten Saison mit Philippe Herreweghe erarbeit (und hoffentlich einspielt). Es lief zumindest bei der dritten Aufführung in Basel unter dem Titel „Denkmal für Luther“ (am 24.10. wurde es in Ludwigshafen, am 25. in Zürich und am 28. in Basel aufgeführt – da ich es in zwei meiner Abos hatte, verzichtete ich auf das Konzert in Basel und liess mir dafür eine Karte für ein anderes Konzert geben – die sind da super grosszügig … und kriegen den Platz vermutlich weg, da die Konzerte des KOB im Stadtcasino, wofür ich eben ein Abo habe, fast immer ausverkauft sind). Das KOB trat in so grosser Besetzung an wie selten (Streicher: 8-7-6-5-3, ob, fl, cl, bsn, horn, tp, tb allesamt doppelt bzw. bsn/tb sogar dreifach).

Kaum in Leipzig wurde Mendelssohn auf den ein Jahr jüngeren Schumann aufmerksam gemacht – das Violinkonzert führte er natürlich nicht auf, da war Mendelssohn schon gestorben und die leidige Geschichte um das Konzert ist ja inzwischen bekannt. Mendelssohn genoss zu Lebzeiten in England einiges Ansehen (dank der „Hebriden“-Ouvertüre und dem „Sommernachtstraum“ bzw. auch da von dessen Ouvertüre), Bennett hatte vermutlich schon Musik von Mendelssohn gehört, als dieser ihn 1836 zum Düsseldorfer Musikfest einlud. Bennett hörte dort die Uraufführung von „Paulus“ unter Mendelssohns eigener Leitung und wurde vom älteren Komponisten auch unterrichtet. In Leipzig führte Bennett dann sein drittes Klavierkonzert und die „Najaden“-Ouvertüre auf, bei der er sich vom „Sommernachtstraum“ habe inspirieren lassen. Und auch in Leipzig freundete Bennett sich mit Schumann an. Beider Werke fanden Eingang ins Repertoire des Gewandhauses. Die Ouvertüre – meine leise Skepsis gegenüber dieser oft plakativen, lauten, aufmerksamkeitsheischenden Form ist wohl noch in Erinnerung – gefiel mir sehr gut. Durchaus bunt, schmissig, mit bildhaften Passagen – aber eben auch, wie Schumann bemerkte, eine „sprechende Bruderähnlichkeit mit Mendelssohn“, die sofort auffallen würde: „Dieselbe Formschönheit, poetische Tiefe und Klarheit“ (sie seien „dennoch zu unterscheiden“, folgt in dem Zitat, das ich dem Programmheft aus Basel entnehme).

Nach der Pause die „Reformation“ von Mendelssohn – eine seiner drei Symphonien, zu denen ich nicht unmittelbar Zugang fand. Doch unter Herreweghe klang das seltsame, 1829/30 entstandene, aber erst 1832 uraufgeführte Werk (chronologisch keineswegs die Fünfte von Mendelssohn) sehr frisch. Die kirchenhaften Ecksätze mit den spielerisch-tänzerischen Mittelsätzen zu verbinden gelang hervorragend – mit dem bombastischen Schluss nach dem Lutherchoral im letzten Satz war das auch ein klasse Abschluss für ein tolles Konzert.

Ich freue mich auf die nächste Begegnung mit Vilde Frang Anfang Februar, wenn sie beim Tonhalle-Orchster unter Järvi das (zweite) Violinkonzert von Bartók spielen wird. Und auf die vermutlich drei noch anstehenden Mendelssohn-Konzerte mit dem Kammerorchester Basel und Philippe Herreweghe freue ich mich auch sehr (Runde 1 war im Dezember 2022, als nach einer Ouvertüre von Fanny Hensel das erste Klavierkonzert mit Nelson Goerner und die „Schottische“ erklangen).

Zürich, Kleine Tonhalle – 29.10.2023 – Literatur und Musik

Hendrik Heilmann Klavier
Anna Rosenwasser Einführung
Alicia Aumüller Lesung

FRANZ LISTZ «Consolations» S 172
DORA PEJAČEVIČ Sechs Fantasiestücke op. 17
ANNEMARIE SCHWARZENBACH Auszüge aus «Eine Frau zu sehen» (1929, verlegt 2008)

Heute ging ich spontan in ein Konzert der Reihe „Literatur und Musik“ – gestern Abend beim Scrollen am Handy gesehen, dass die frisch gewählte queere Nationalrätin (MdB heisst das in DE) Anna Rosenwasser ein paar Worte über Annemarie Schwarzenbach und besonders deren Text „Eine Frau zu sehen“ sagen werde – und dass Hendrik Heilmann, seit ein paar Jahren der Tastenmann des Tonhalle-Orchesters als Solist mit Liszt und Pejacevic zu hören sein würde. Leider musste ich so kurzfristig mit einem Platz weit hinten vorlieb nehmen, aber gelohnt hat sich das sehr. Wie fast immer (das Hosokowa/Bouvier-Programm im Februar war die Ausnahme) lohnte für mich v.a. die Musik – ich mag Lesungen irgendwie nicht so gern … aber auch als ganzes funktionierte das heute bestens. Nach zwei der sechs Consolations sprach Rosenwasser, erläuterte, warum sie Schwarzenbachs Text nicht nur queer lesen möchte, sondern in ihm ein universelles Thema sieht: das nämlich, dass jeder Mensch zu sich finden, sich selbst sein können solle. In der Folge wechselten sich Textausschnitte, gelesen von der Schauspielerin Alicia Aumüller, und die weiteren vier „Consolations“ sowie die Sechs Fantasiestücke von Pejacevic ab. Gerade letztere waren eine echte Entdeckung – und ergaben einen guten Kontrast zu Liszt. Das erste Pejacevic-Stück erklang vor dem letzten von Liszt – beide nicht in der Reihenfolge der jeweiligen Publikation gespielt, dafür allerdings perfekt auf die Textpassagen abgestimmt.

Grad ordentlich Klavier. Daheim Richter, im Konzert heute der Hendrik und morgen der Maurizio – der Grandseigneur aus der Fabrik … ich freue mich!

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba