Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Opernhaus – 21.10.2023

La rondine – Commedia lirica in drei Akten von Giacomo Puccini (1858-1924)
Text von Giuseppe Adami nach einem Librettoentwurf von Artur Maria Willner und Heinz Reichert, Schweizerische Erstaufführung

Musikalische Leitung Marco Armiliato
Inszenierung Christof Loy
Bühnenbild Etienne Pluss
Kostüme Barbara Drosihn
Lichtgestaltung Fabrice Kébour
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Choreografie Thomas Wilhelm
Dramaturgie Kathrin Brunner

Magda Ermonela Jaho
Lisette Sandra Hamaoui
Ruggero Benjamin Bernheim
Prunier Juan Francisco Gatell
Rambaldo Vladimir Stoyanov
Périchaud Andrew Moore
Gobin/un giovane/Adolfo Nathan Haller
Crébillon Stanislav Vorobyov
Yvette/Georgette Yuliia Zasimova
Bianca/Gabriella Meeta Raval
Suzy/ LoletteSiena Licht Miller
Butler Valeriy Murga
Rabonnier Amin Ahangaran
Die Kellnerin Annabelle Kern
Der Kellner Yannick Bosc
Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Gestern hörte ich also endlich auch die Schweizerische Erstaufführung von Puccinis „La Rondine“ – und was soll ich sagen, das war wirklich eine umwerfende Angelegenheit und eine grosse Entdeckung! Auch wenn das Stück unfertig blieb, in Varianten vorliegt, also Entscheidungen getroffen werden müssen vor einer Aufführung, auch wenn mit Blick aufs Ganze vielleicht nicht alles perfekt funktioniert, so ist das ein unendlich reiches, faszinierendes Stück Musiktheater. Natürlich ist es keine Operette, natürlich kann man drüber fluchen – wie Puccini es tat – dass es dramaturgische Schwächen hat, Lücken, Probleme … aber wenn es so überzeugend und so hochkarätig aufgeführt wird, wie in Zürich gerade der Fall (ich war in der zweitletzten Aufführung, die Dernière ist nächsten Samstag und wie schon die gestrige Vorstellung längst ausverkauft), dann ist das wirklich umwerfend!

Dass die ersten beiden Akten einen leichteren Ton haben – eben: operettenhaft finden manche –, am Vorbild vom „Rosenkavalier“ geschult, ist nun wirklich kein Grund, diese Oper für ein Leichtgewicht zu halten. Denn wie Puccini das komponiert hat, fand ich wahnsinnig beeindruckend. Ein unglaublicher Reichtum an Klängen in der Instrumentierung (auch da schimmert manchmal Strauss durch – auch im tragischen dritten Akt), der Witz in Libretto und Musik, das hat eine Schlagfertigkeit, ist wirklich stets auf der Kante, jeden Moment perfekt umgesetzt, fabelhaft getimt. Es wird auch öfter mal knallig – schon im Prolog, später z.B. in der Szene, in der Lisette ihr Scheitern als Sängerin beklagt: der Dichter – der auch so etwas wie der Seelenverwandte der Titelfigur ist und so das Gefüge mit dem hohen und dem niederen Paar durchbricht – will seine Geliebte formen und erheben, doch er muss die Lächerlichkeit und Vergeblichkeit seines Unterfangens einsehen – bleibt aber, er ist im Kern ein guter Mensch, seiner Liebe treu.

Nicht nur gewalzert wir hier heftig (ob Ravel sich in Kenntnis von „La rondine“ zur Fertigstellung seiner schon 1960 begonnenen „La valse“ anregen liess?), es schleichen sich auch, so Anselm Gerhard in seinem Text fürs Programmheft, „an vielen Stellen Splitter von Modetänzen der Gegenwart wie Tango, one-step, Foxtrott oder Polka“ ein. Die Walzer-Rhythmen werden gerne durch Duolen gebrochen, die Instabilität von Magdas Welt – sie ist auf Gedeih und Verderb den Männern ausgeliefert, die sie aushalten – wird auch musikalisch verdeutlicht. Die Partitur, so Gerhard, „oszilliert auf verstörende Weise zwischen Traumbild und Zeitstück, zwischen leichter Ironie und herbem Schmerz, zwischen leisen Tönen und einer Instrumentationskunst auf dem letzten Stand der Avantgarde“. Das bringt’s für mich sehr gut auf den Punkt. Dass Gerhard auch Debussys Namen einwirft, wenn es um die Instrumentierung und den Farbenreichtum von „La Rondine“ geht, leuchtet mir ebenfalls ein.

Um den Faden vom Timing, dem „auf der Kante“ spielen, wieder aufzunehmen: umso wichtiger, dass Christof Loys Figurenführung ebenso perfekt und auf den Punkt ist. Loy war es, der überhaupt den Anstoss für die Produktion gab. Das Bühnenbild muss kaum verändert werden, die Figuren (im zweiten Akt mit dem Chor und Tänzer*innen) bewegen sich präzise. „Menschen in Zeit und Raum – das ist mein Element“, so Loy im Gespräch fürs Programmheft. Das hat er wirklich im Griff, da sitzt wirklich alles. Anderswo im Gespräch sagt er: „La rondine ist einfach ein sehr gutes Stück, bei dem jeder Takt erfordert, dass man genaue szenische und musikalische Entscheidungen fällt, damit die grosse Feinmechanik erhalten bleibt. Man muss alles gut dosieren, darf die Momente von Glück und Seligkeit für einen Moment auch ruhig zulassen, um im nächsten Moment wieder bewusst dagegen anzuarbeiten.“

Dieselbe Präzision wie auf der Bühne gab es aus dem Graben. Ich bin ja – wer hier mitliest, weiss das – ein grosser Fan der Philharmonia Zürich, des Orchesters der Oper, das so beweglich ist, so vielseitig zwischen Klassik, Romantik und Musik des 20. Jahrhunderts hin- und herwechselt kann, zwischen grosser Sinfonik und kammermusikalischem Spiel stets den richtigen Ton findet. Marco Armiliato stand nicht „am Pult“, denn da war kein Pult – er hat die Oper ohne Partitur dirigiert. Ich glaube nicht, dass ich das (abgesehen vom in Zürich verehrten Nello Santi, der gerne statt ein Pult ein Upright-Klavier vor sich hatte, an dem er die Rezitative gleich selbst begleitete) bisher je erlebt habe. Und grad bei dieser so nuancierten, detailreichen, in der Instrumentierung sich ständig verändernden Musik beeindruckt mich das umso mehr.

Auf der Bühne agierte ein ebenfalls trefflich zusammengestelltes Ensemble. Das „hohe“ Paar, Magda und Ruggero – bei Magda ist immerhin die Fallhöhe gross, sonst ist da nicht viel „hohes“ dabei – bot mir die erste Gelegenheit, Ermonela Jaho in Aktion zu erleben. Und ein Erlebnis war das tatsächlich. Ihr erster Einstieg nach Hamaoui wirkte etwas herb – und so ist ihre Stimme auch. Aber wie sie Figur gestaltete, berührte sehr. Und die Pianissimi, mit denen sie ganz zart und in der höchsten Lage den Raum füllte – betörend schön! Benjamin Bernheim fand ich allerdings leider ziemlich enttäuschend – gerade nachdem er mir als Roméo bei Gounod im Mai noch hervorragend gefallen hatte. In den Momenten, in denen er leiser sang, fand ich ihn gut, aber sobald er über ein Mezzoforte hinaus ging, war kein Fliessen mehr in seinem Gesang, wirkte die Stimme irgendwie etwas hohl. Fast so, als sei damit etwas nicht mehr in Ordnung, was echt bedauerlich wäre. Das „niedere“ Paar, der als d’Annunzio-Karikatur vorgestellte Dichter Prunier (auch der Name, „Pflaumenbaum“, ist natürlich eine Anspielung, „prugna“ steht im Italienischen auch für die Vulva) und Lisette, die Zofe von Magda, wurden von Juan Francisco Gatell und Sandra Hamaoui hervorragend gegeben. Hamaouis Stimme ist feiner als die von Jaho, was einen durchaus schönen Kontrast ergibt, besonders im zweiten Akt, in dem die Frauen quasi die Rollen tauschen – Magda taucht als „einfaches Mädchen“, Lisette in Kleidern ihrer Herrin als elegante Dame beim Tanz auf. Auch Vladimir Stoyanov als Rambaldo war überzeugend – und sehr berührend fand ich das Hausdebut der jungen Annabelle Kern

(Auf dem Foto v.l.n.r. etwa in der Mitte: im hellblauen Anzug – neben den grauen – Gatell, dann in s/w Hamaoui, Bernheim, Armiliato und in dunkelblau Jaho und Stoyanov.)

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