Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Das Lucerne Festival 2023 war sicher nicht meine liebste Ausgabe. In der Programmgestaltung etwas gar konventionell, fand ich. Aber klar: auch da gab es grosse (Enno Poppe mit Sarah Maria Sun!) und mittelgrosse (Reger mit den Berliner) Entdeckungen, unerwartete Überraschungen (Strauss mit dem Boston SO), überaus hübsche Unbekanntheiten (John Williams mit Anne-Sophie Mutter) und an den Rändern auch doch auch etwas neue Musik (Lucerne Festival Contemporary Orchestra und dessen „Leaders“, Uraufführungen kleinerer Werke von Jörg Widmann oder Elnaz Seyedi). Und Schönberg – es gab Schönberg zu hören! Unterm Strich fehlte mir aber der der neuen Musik gewidmete „Erlebnistag“ – den gab es glaub ich zuletzt vor der Pandemie, eine Matinée, dann kleinere Konzerte um 14 und 16 Uhr und dann das tägliche Abendkonzert – so, dass halt wirklich Festivalstimmung aufkommt, was dieses Jahr nur bedingt der Fall war.

Das lag auch daran, dass das erste Matineekonzert bzw. eigentlich Mittagskonzert (unter der Woche 12:15) das ich eingeplant hatte, in dem Moment abgesagt wurde, als ich in Zürich in die Strassenbahn stieg, um rechtzeitig dafür in Luzern anzukommen: das Debutrezital von Isata Kanneh-Mason (sie trat schon als Orchestersolistin auf, aber noch nie als Headliner) musste wegen Luftverkehrsstörungen in London unterbrochen werden. Bedauerlicherweise – die Lage war schon am Montag vor zwei Wochen so – bemühte man sich nicht um Ersatz, telefonierte aber freundlicherweise die Karten-Inhaber*innen nach der E-Mail-Info auch noch durch (da stand ich dann am Perron, bereit in den Zug zu steigen). Ich bin dann sehr lange im Kunstmuseum Luzern vor den unglaublichen Fotos von Zanele Muholi gestanden, der südafrikanischen Fotografin, die das Leben queerer Menschen in ihrer Heimat aufs Eindringlichste dokumentiert und auch selbst in Rollen schlüpft für wahnsinnig schöne – natürlich doppelbödige, kritische – Selbstportraits.

Repertoiremässig, so stellte ich schon im Vorfeld fest, hatte die letztjährige Ausgabe unter dem Motto „Diversity“, was natürlich von konservativer Seite als zeitgeistig verschrien wurde, halt schon einen Unterschied gemacht: das Rezital von Mishka Rushdie Momen z.B. war enorm viel interessanter programmiert, als das abgesagte von Isata Kanneh-Mason (sie hätte Haydns Sonate C-Dur Hob. XVI:50, Schumanns Kinderszenen und Chopins dritte Sonate spielen sollen). Ein bisschen Oper und Oratorium gab es auch dieses Jahr, aber nichts von der Art von „Porgy and Bess“ wie letzten Sommer.

Entschieden habe ich mich am Ende für ein grosses (teures! – die Preispolitik wäre wohl ein Post für sich, aber ich verstehe sie eh nicht) Segment der „Orchesterparade“, wie sie traditionell zum Lucerne Festival gehört. Das hauseigene Festivalorchester – einst von Claudio Abbado gegründet, inzwischen von Riccardo Chailly geleitet – verpasste ich dieses Jahr wieder. Das war allerdings wie es scheint nicht unbedingt falsch, zumal Chailly (wieder einmal) abgesagt hat und das gebotene Repertoire auch nicht spannender gewesen wäre. Barenboims Auftritt (mit dem West-Eastern Divan Orchestra und Martha Argerich) in der ersten Woche, so wurde mir zugetragen, sei eine Katastrophe gewesen.

Und als Yuja Wang nach beiden (!) Ravel-Konzerten (mit ihrem Pult- und Lebenspartner Klaus Mäkelä) nicht zum vierten Mal nach vorn stöckeln und auch keine Zugabe spielen wollte, wurde sie ausgebuht. Das Publikum dieser Rüpel, der sein Handy nicht ausschalten, nicht mit dem Profilierhusten an den zartesten Stellen aufhören kann. Gebuht wurde dann auch die Tage nochmal, als Aktivist*innen von Renovate Switzerland das Konzert des Bayerischen Sinfonieorchesters unterbrachen. Vladimir Jurowski reagierte souverän, drohte dem Publikum, das Konzert nicht zu Ende zu spielen (der vierte Satz von Bruckner 4 stand noch an), wenn es nicht mit dem Buhen aufhören und den beiden jungen Aktivist*innen kurz zuhören werde.

Eine weitere allgemeine Beobachtung: wäre ich allabendlich nach Zürich zurück, hätte das sehr gut gereicht. Die Konzerte beginnen um 19:30 und waren fast immer um 21:30 zu Ende – inklusive 20–25 Minuten Pause. Das fand ich oft etwas gar kurz, muss ich sagen.

29.08.2023 – KKL Luzern, Luzerner Saal – 40min 6:
«PARADIES! CARTE BLANCHE FÜR DIE LUCERNE FESTIVAL CONTEMPORARY LEADERS»

Musiker*innen des Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)

Marina Kifferstein Violine | Jack Adler-McKean Tuba
James Austin Smith Oboe | Benjamin Mitchell Klarinette | Michelle Ross Violine | Cecilia Bercovich Viola | Edward Kass Kontrabass
Stephen Menotti Posaune | Edward Kass Kontrabass
James Austin Smith Oboe | Cecilia Bercovich Viola

MARINA KIFFERSTEIN: Löyly, für Violine und Tuba
GABRIELLA SMITH: Children of the Fire, für Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Kontrabass
HANNA EIMERMACHER: «aber unter uns bewegte sich alles …», für Posaune und Kontrabass
IVA BITTOVÁ: Hoboj, für Viola und Kontrabass [für Oboe und Viola]

An Neuer Musik mangelte es mir ein wenig – doch zwei schöne Konzerte, die davon mehr als genug boten, umrahmten meinen Festivalbesuch. Das erste von drei „40min“-Konzerten gehörte den Leaders des LFCO – es gab dieses Jahr für die 40min-Konzerte leider gar keine Infos ausser auf der Website (wo sie inzwischen schon wieder verschwunden sind) (die Namen oben wurden teils vom charmant moderierenden J. A. Smith genannt, teils entnahm ich sie dem Programmheft des Konzerts vom 2. September, s.u.).

Das Sauna-Duo von Kifferstein war ein schöner Auftakt, ungewöhnlich in der Kombination der Instrumente – „Löyly“ ist das finnische Wort für den Dampf, der entsteht, wenn in der Sauna Wasser über die heissen Steine gegossen wird.

Der Höhepunkt war für meine Ohre das folgende, längste Stück von Gabriella Smith, dessen Titel von Ralph Waldo Emerson entliehen ist. Es beginnt mit einem einfachen Groove, der ein wenig an Minimal Music erinnert, aber sich bald als vielseitiger entpuppt. Die beiden hohen Streichinstrumente und die Bläser jagen einander, spielen ihre Echos, verzahnen und umranken sich, der Bass legt darunter mal ein treibendes Ostinato, mal lange liegende Töne. Der Groove wird immer irrer, frenetischer – bis es zum Bruch kommt, zum Kipppunkt und nach dem Zusammenbruch quasi aus dem Nichts allmählich etwas Neues Gestalt annimmt, das sehr anders ist als das, war davor existierte. Das mag jetzt nach Programmmusik klingen, aber diese Erläuterungen (von Oboist Smith) sind für den Genuss des Stückes überhaupt nicht vonnöten.

Eimermachers Stück bezieht sich auf Becket, „Krapp’s Last Tape“, und ist angemessen lakonisch, mit Posaune und Kontrabass. Zwei alte Wesen können man sich vorstellen, die sich auf instabilem Grund finden: „unter uns bewegt sich alles“, meinte Kass in seinen einführenden Worten. Auch hier gab es eine grosse Breite von Klängen und Texturen, Geräusche, Perkussives ebenso wie Rudimente von Melodien und Akkorden – und wie das erste Stück meist eher auf der stillen Seite.

Den Ausklang machte dann ein kleines Lied von Iva Bittová, das selbst jene im zahlreich erschienenen Publikum verzaubert haben dürfte, die mit Neuer Musik sonst wenig anfangen können. „Hoboj“ wurde dabei nicht wie auf der Website angekündigt von Viola und Kontrabass gespielt sondern von … Oboe und Viola, wenn mich nicht alles täuscht? (Die Namen, ebenso wie der des Posaunisten und des Tubaspielers, wurden bei den Ansagen nicht genannt.)

Ein Wort zur „40min“-Reihe, von der ich dieses Jahr drei von neun Konzerten hörte (wobei eines eine nachmittagfüllende Abfolge von Open-Air-Konzerten u.a. mit Sarah Willis und ihrer SarahBanda war, das ich leider verpasste): Die ca. 40 Minuten dauernden Konzerte finden um 18:20 im kleineren Luzerner Saal statt (der ist gross genug, als dass ich dort vor ein paar Jahren Stockhausens „Gruppen“ mit drei Orchestern und ein paar Hundert anderen Zuhörenden erleben konnte). Der Eintritt ist frei, Karten können ein paar Tage im Voraus reserviert bzw. online erstanden werden, wenn es nicht ausverkauft ist – war keines der drei dieses Jahr – gibt es auch vor Ort noch welche. Das ist alles sehr niederschwellig, ganz vorn gibt es Sitzkissen für Kinder, Dresscode (ist hierzulande eh kein grosses Thema, zum letzten Konzert am 7.9. bin ich ob der grossen Hitze auch im T-Shirt) gibt es nicht, es kommen einerseits Leute wie ich, die danach in die Abendkonzerte gehen, aber auch Luzerner*innen, die nach der Arbeit was trinken gehen und davor noch etwas Musik hören. Gefällt mir sehr, die Reihe!

Di 29.08.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Boston Symphony Orchestra 2

Boston Symphony Orchestra
Andris Nelsons
Dirigent
Anne-Sophie Mutter Violine

JOHN WILLIAMS: Violinkonzert Nr. 2 (Schweizer Erstaufführung)
Zugaben: Hedwig’s Theme, Helena’s Theme

RICHARD STRAUSS: Tod und Verklärung op. 24
MAURICE RAVEL: La Valse

Das erste grosse Orchesterkonzert bot ein abwechslungsreiches Programm in grosser Besetzung. Für die schweizer Erstaufführung vom zweiten Violinkonzert von John Williams (Uraufführung unter seiner Leitung 2022 in Wien) erhielt Anne-Sophie Mutter völlig zu Recht riesigen Applaus. Das Werk kommt erwartungsgemäss in konventioneller Klangsprache daher, bietet aber sehr viel. Schon im „Prologue“ erklingt bald eine quasi-improvisatorische Passage der Solo-Violine, prägnante Rhythmik, weitgespannte Bögen, eine reiche Harmonik sind dann auch im folgenden Satz, „Rounds“ überschrieben, zu hören. Der dritte Satz, „Dactyls“, ist von flirrenden Glissandi durchzogen, natürlich im Dreiertakt, wie der Titel nahelegt. Wie der Prologue öffnet dann auch der „Epilogue“ mit einer aus dem Nichts auftauchenden Violine, später folgt ein letztes Duett mit der Harfe, die prominent mitten in der ersten Reihe platziert ist und schon in davor öfter prominent zu hören war. Auch die Schlagzeuger haben in diesem Werk viel zu tun (und viel Material auf der Bühne, siehe oben – die Bilder können wie üblich in einem neuen Tab gross geöffnet werden).

Für die erste Tournee seit Pandemiebeginn gab Williams den Bostonern und Mutter zwei Zugaben mit, in denen dann noch gebührend geschwelgt werden konnte. Das Thema von Hedwig beginnt Mutter zunächst im Zwiegespräch mit einem Xylophon, allmählich stossen immer mehr weitere Instrumente dazu. Die kitschige Melodie wird schnell zum Virtuosenstücklein mit rasanten Läufen, irren Verzierungen, Pizzicato-Passagen, die Violine schraubt sich über dem Orchester in die Stratosphäre und stösst dann wieder zu diesem. Vielleicht fast ein wenig zu eingängig, aber auch das klasse gespielt. Das neue Thema von Helena (aus dem jüngsten „Indiana Jones“-Film?) ist dann noch elegisch, ruhiger in der Begleitung, mit mehr Raum für die singende Solo-Violine. Schön! Nach dem letzten Jahr, als ich Mutter in der Uraufführung von Thomas Adès‘ Violinkonzert „Air“ erstmals hörte, habe ich mich ihr durchaus dank dem Lucerne Festival (und wiederholten Hinweisen, die glaub ich von @atom kamen – die Gubaidulina/Bach-CD vor allem) inzwischen doch noch annähern können.

Nach der Pause folgte nicht weniger als eine Epiphanie: ein Stück von Richard Strauss, das meinetwegen nicht im Programm hätte stehen müssen. Anders als bei „La Valse“ hatte ich bei „Tod und Verklärung“ wenig Erwartung – ich mag das pathetische Stück nicht besonders. Klar, Strauss konnte wahnsinnig gut Orchestrieren, seine Musik ist oft süffig und in ihrer Üppigkeit wirklich schön (so geht es mir besonders in der Oper immer wieder) – aber darauf, was hier passierte, konnte ich nicht vorbereitet sein: Das Boston Symphony Orchestra bot eine so mitreissende, perfekt gespielte Version von „Tod und Verklärung“, hellwach auf der Stuhlkante musiziert, brillant und in perfektem Zusammenspiel, dass ich schon nach wenigen Takten gefesselt und am Ende vollkommen begeistert war.

Die Luft schien dann etwas raus zu sein – das war auch das eine länger dauernde Orchesterkonzert und nach dem Effort bei Strauss geriet „La Valse“ weniger gut, das Zusammenspiel war nicht mehr so perfekt. Dennoch: ein furioser Ausklang zu einem starken Konzert. So enttäuschend dieser erste Tag – mein Festivalprolog – begonnen hatte, so überzeugend schloss er.

30.08.2023 – KKL Luzern, Luzerner Saal – 40min 7:
«FETTE SOUNDS VON ENNO POPPE»

Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)
Susanna Mälkki
Dirigentin

«Fette Sounds von Enno Poppe»

Runde zwei von „40min“ war dann mein verfrühter Festivalauftakt. An sich hatte ich Dienstag den ganzen Tag zum Festival wollen, und dann ab Donnerstag wieder. Doch der Vorverkauf (der kaum je ausverkauften – da sind wir wieder bei der Preispolitik, es gab fast immer bis zuletzt noch viele sehr teure Karten) lief so rasant an, dass ich mich vertan hatte und zunächst eine Karte fürs erste statt fürs zweite Konzert der Berliner Philharmoniker gekauft hatte. Ich verlängerte also meinen Aufenthalt einfach um einen Tag und fuhr nach einem Homeoffice-Tag am Mittwochnachmittag nach Luzern, wo ich bis Sonntag blieb.

Zum Einstieg gab es einen Vorgeschmack auf das LFCO-Konzert vom Samstag, bei dem „Fett“ von Enno Poppe gespielt wurde. Unter der Leitung von Susanna Mälkki fand eine Art öffentliche Probe statt, bei der längere Passagen durchgespielt, aber auch an verschiedenen Stellen an Details gefeilt wurde. Ich fand das einen äusserst spannenden Einblick. Mälkki hob Stimmen hervor, schärfte Akzentuierungen, arbeitete am Gleichgewicht der Instrumente – alles sehr wichtig in einem Werk, das mit Mikrotönen – genauer Viertel- und Achteltönen – arbeitet, wobei es zu irren Akkordaufschichtungen kommt: Ungetüme, die aus bis zu vierzig Tonhöhen bestehen werden hier aufgeschichtet, der Klang des Orchester wird buchstäblich fett, das Austarieren der Stimmen, die Präzision des Spiels dabei ein zentraler Teil des Erfolgs und eine grosse Herausforderung.

30.08.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Berliner Philharmoniker 1

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko
Dirigent

MAX REGER: Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart op. 132

RICHARD STRAUSS: Ein Heldenleben. Sinfonische Dichtung op. 40

Dann also das erste Konzert der Berliner, von einem tollen, teuren Platz ganz hinten auf einer der Galerien genossen – das eine, zu dem ich nicht wollte. Nochmal Strauss nach der Pause – hervorragend gespielt, aber ohne das „Wunder“ der Vorabends zu wiederholen, klar. Die Berliner arbeiteten dabei den so reichen Strauss-Sound vielleicht noch schöner heraus als die Bostoner am Vorabend. Hervorragend agierte dabei die Konzertmeisterin des Abends, Vineta Sareika-Völkner (netterweise wird in den Programmheften der Konzerte der Berliner wie beim LFCO die Besetzung mitgeliefert, bei den Bostonern und dem Gewandhausorchester war das nicht der Fall).

Die richtig schöne Überraschung war der erste Konzertteil: Regers Mozart-Variationen, 1914 vollendet, über das Siciliano-Thema aus der A-Dur-Klaviersonate KV 331 sind ein wunderschönes Werk. Auch hier gibt es eine irre Klangvielfalt in den Variationen, in denen das Mozart-Motiv praktisch ständig durchschimmert. Den krönenden Abschluss macht dann ein Fugen-Ungetüm, wie ich es einfach lieben muss – klar, da klingelte dann ein Handy rein … aber das tat der Wirkung am Ende keinen Abbruch. Umwerfend!

31.08.2023 – Luzern, Lukaskirche
Debut Äneas Humm «Exploring Paradise»

Äneas Humm Bariton
Renate Rohlfing Klavier

NIKOLAI MEDTNER: Vor einer heiligen Pforte, op. 3 Nr. 1 | Ich überlebte mein Verlangen op. 3 Nr. 2 | Des Wanderers Nachtlied op. 15 Nr. 1
ALMA MAHLER: Bei dir ist es traut | Laue Sommernacht | Ansturm
HENRY DUPARC: Extase | Phydilee
ELNAZ SEYEDI: Die Zeiten – Versuch (über das Paradies) (Uraufführung)
OTHMAR SCHOECK: Abendlandschaft op. 20 Nr. 10 | Frühlingsblick op. 5 Nr. 3 | Nachklang op. 30 Nr. 7
RICHARD STRAUSS: Die Verschwiegenen op. 10 Nr. 6 | Wie sollten wir geheim sie halten op. 19 Nr. 4
FRANZ SCHUBERT: Der Traum D 213 | Wanderers Nachtlied D 768 | Das Lied im Grünen D 917 | Im Abendrot D 799
Zugaben: EDVARD GRIEG: Das alte Lied Op. 4 Nr. 5 | FELIX MENDELSSOHN: An die Entfernte Op. 71 Nr. 6

Am Donnerstag fand das Mittagskonzert dann statt – wie in der Reihe üblich ein Debüt, dieses mal vom jungen Bariton Äneas Humm, den ich letzten Herbst noch ordentlich Covid-umnebelt in St. Gallen in einer guten Bologne-Aufführung hörte und ihm bei der Gelegenheit die damals (und ich glaub immer noch) jüngste CD abkaufte. Für Luzern hatte er ein Programm nach Wahl zusammenstellen dürfen, das ganz hervorragend funktionierte. Mit Medtner ging es eher dunkel los, Mahler lieferte meine ersten Highlights, „Phydilé“ von Duparc das nächste.

Die Uraufführung der 1982 geborenen Elnaz Seyedi machte zwei kurze Umbaupausen nötig, da ein präpariertes Klavier nach vorn geschoben werden musste. Nebst einem grossteils gesungenen Text von Ahmad Shamlou (in der englischen Übertragung von A. Behrang) hat Seyedi Zeilen aus Ingeborg Bachmanns „Die gestundete Zeit“ und aus Ossip Mandelstams „Die Zeiten“ in Paul Celans Übertragung eingestreut. Ein düsteres, unheilvolles, sehr dichtes Stück mit grollender Klavierbegleitung, von der aus Hawaii stammenden Renate Rohlfing so souverän begleitet wie die konventionelleren Lieder. Rohlfing rezitierte gegen Ende auch einige Zeilen, wurde zu einer Art Echo und Gegenpart von Humm, der zeitweise ins Klavier hinein sang und sprach. Grosser Applaus, Seyedi natürlich erfreut (ich liess mein Handy in dem Moment liegen, aber auf dem Festival-Instagram-Account gibt es ein Foto von ihr mit den beiden Künstler*innen).

Dass danach ein paar Lieder von Schoeck folgten – nur scheinbar konventionell, in ihrer Melodieführung bei genauerem Hinhören äussert eigenwillig – war perfekt. Mit Strauss und Schubert ging es dann – das Motto lautete ja „Paradies“ – um Liebe und um Träume, „Wandrers Nachtlied“ wirkte darin fast wie ein Fremdkörper. Mit der ersten seiner beiden Zugaben kippte das Paradies aber wirklich noch einmal in sein Gegenteil – diese Miniatur von Edward Grieg liess mir buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren. Am Ende grosser Applaus – ein überaus gelungener Einstand.

31.08.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Berliner Philharmoniker 2

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko
Dirigent

JOHANNES BRAHMS: Variationen über ein Thema von Joseph Haydn B-Dur op. 56a
ARNOLD SCHÖNBERG: Variationen für Orchester op. 31

LUDWIG VAN BEETHOVEN: Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93

Am Abend dann das zweite Konzert mit den Berliner, für das ich – auch am Tag des Vorverkaufsbeginns – noch eine einzelne Karte nachgekauft hatte. Ich sass auf dem obersten, dem vierten Balkon (es gibt im 1. Untergeschoss neben dem Parkett eine seitliche Parkettgalerie, dann vier Balkone mit seitlichen Galerien, diese seitlichen Einzelplätze mag ich sehr, aber sie sind – eine der mittlere Preiskategorien – ziemlich teuer, jedenfalls beim Festival inzwischen immer dreistellig, auch wenn man direkt hinter Scheinwerfern sitzt und wegen deren Hitze durch flirrende Luft guckt und ins Schwitzen kommt – eben: die Preispolitik …). Nun sass ich also in der neunten und letzten Reihe auf dem vierten Balkon, direkt unter dem Dach, geradeaus geht der Blick da in die ganze unter der Decke hängende Technik, es ist wärmer als sonst im Saal (die Luft blieb aber einigermassen gut, ich nahm ein paar Male mein Messgerät mit ins KKL, weil ich das bei den letzten Besuchen dort noch nicht hatte und immer neugierig bin).

Es gab eine zweiteilige ersten Konzerthälfte mit zwei Variationen-Werken, die sehr gut zusammen passten. Brahms‘ Variationen über ein Motiv, das gar nicht von Haydn stammt, boten einen kraftvollen Auftakt, der danach vom erklärten Brahmsianer Schönberg erweitert wurde. Da noch ein kleines Gejammer über den konventionellen Betrieb: im Gegensatz zu den Programmheften z.B. des Tonhalle-Orchesters oder des Kammerorchester Basel finden sich leider in den Programmheften des Lucerne Festival keine Angaben zur Besetzung der jeweiligen Werke – gut, die ausgefallene grosse Schlagwerk-Batterie müsste ich auch bei den genannten nachher zuhause nachschauen … demnach würde ich zu dem Thema noch detaillierte Angaben durchaus begrüssen. Die Berliner spielten übrigens mit einer teils anderen Besetzung als am Vorabend, Sareita-Völkner sass am ersten Pult, aber als Konzertmeister agierte soweit ich den Fotos entnehmen kann wohl Noah Bendix-Balgley – und beide Male waren auffällig wenige Frauen zu sehen, leider weiterhin ein Thema bei dem Orchester.

01.09.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Gewandhausorchester Leipzig

Gewandhausorchester Leipzig
Herbert Blomstedt
Dirigent

ANTON BRUCKNER: Sinfonie Nr. 7 E-Dur WAB 107

Am Tag darauf hatte ich gerade mal 70 Minuten Programm – aber was für welches! Nachdem ich schon am Vortag in die hervorragende, teils sehr krasse Ausstellung „Photo Brut“ im Museum Bellpark in Kriens bei Luzern ging, besuchte ich noch einmal die exzellente Werkschau von Zanele Muholi und freute mich, dass in den Tagen zwischen meiner beiden Besuche auch wieder Bücher mit ihren Fotos angekommen waren (ich gönnte mir den Katalog der Tate von 2021).

Am Abend dann die grosse Bruckner-Dröhnung mit dem verehrten Herbert Blomstedt, vor ein paar Wochen 96 geworden. Er wurde vom Konzertmeister herein- und hinausgeführt, sass auf einem Klavierschemel, vor sich die geschlossene Partitur. Und sofort war die Magie wieder da, wie man sie von ihm kennt. Ich weiss gar nicht, was ich dazu überhaupt schreiben soll, ausser dass das einmal mehr ein hervorragendes Konzert war, dass der alte Blomi die jüngeren Dirigenten (und wie es scheint auch ältere Kollegen wie den unwilligen Chailly oder den müde gewordenen Barenboim) noch immer mühelos übertrifft. Viel tun muss er dafür nicht, aber sein Dirigat ist noch immer von grosser Präzision, seine langen Finger bewegt er weiterhin mit beeindruckender Feinheit. Selbst wenn da ein längst eingespieltes Team zugange war: schwer beeindruckend, denn die Aufführung entsteht ja doch im Augenblick – und nach Routine klang das keine Sekunde!

Ein kleiner Exkurs vielleicht an der Stelle zu den Orchesteraufstellungen: endlich, dachte ich, als die Leipziger den Saal betraten, endlich die alte Aufstellung mit den zweiten Geigen am rechten Bühnenrand („Stereogeigen“ nenne ich das). Bei den Bostoner sassen – wie beim LFCO – die Celli rechts, bei den Berlinern die Bratschen. Die Bässe beide Male hinten rechts. Bei Blomstedt dann die Celli in der linken Mitte und dahinter die Bässe. So bin ich es inzwischen gewohnt, denn das ist die Aufstellung, wie Paavo Järvi sie mit dem Tonhalle-Orchester inzwischen seit einigen Jahren pflegt (und Blomstedt natürlich auch, wenn er zu Gast ist). Davor, in der Zeit unter Bringuier und auch bei den meisten Gastdirigenten, sieht es ähnlich wie bei den Bostonern aus, also Celli vorne rechts, Bratschen in der rechten Mitte. Die Bratschen vorn habe ich jedenfalls noch nicht oft gesehen. Dass ich die „Stereogeigen“ mag, hat sicher auch damit zu tun, dass ich auch bei Orchestern einen stärker kammermusikalischen Ansatz schätze, der auf aktives eigenes Hören der Musiker*innen ebenso sehr setzt wie auf die ordnende Hand des Dirigenten.

02.09.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Rezital Mao Fujita

Mao Fujita Klavier

FRÉDÉRIC CHOPIN: Polonaise cis-Moll op. 26 Nr. 1 | Polonaise es-Moll op. 26 Nr. 2 | Polonaise A-Dur op. 40 Nr. 1 | Polonaise c-Moll op. 40 Nr. 2 | Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61
FRANZ LISZT: Klaviersonate h-Moll S 178

Am Samstag ging es um 16 Uhr mit einem Rezital los, an das ich keine Erwartungen hatte – weil ich von Mao Fujita noch nie gehört hatte. Ich rechnete eher mit einem Hypervirtuosen als mit dem Poeten, als den er sich erwies. Sein vor allem frei rhythmisierenden Ansatz fand ich allerdings nicht so richtig überzeugend. In den Polonaisen Op. 26 tat ich mich sehr schwer. Als Op. 40 an der Reihe war, gefiel mir besser, was ich hörte, in Op. 61 fand ich ihn wohl am überzeugendsten.

Wie den Polonaisen aus Chopins Op. 26 fehlte mir dann auch in Liszts Sonate immer wieder etwas die Härte, die Unbedingtheit, die diese irre Musik meiner Ansicht nach fordert. Dass früh im Konzert ein Handy störte, dass ich – weil von Beginn an nur das Parkett in den Verkauf gelangte – relativ eingezwängt sitzen und mir viel Gehuste anhören musste, half nicht direkt. Fujita ging mit der Handy-Störung souverän um, aber da kam etwas viel an Störendem zusammen, auf und vor der Bühne.

Gut fand ich, dass Fujita die Polonaisen am Stück durchspielte – überhaupt war sein Auftreten völlig unprätentiös. Er schlurfte an den Flügel und fing zu spielen an, das Verklingen des Applauses kaum abwartend. Mangel an Sympathie war also wirklich kein Problem. Eindrücklich gespielt, keine Frage – aber für meine Ohren nur streckenweise überzeugend.


02.09.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Lucerne Festival Academy 4

Lucerne Festival Contemporary Orchestra (LFCO)
Susanna Mälkki
Dirigentin
Wu Wei Sheng

ENNO POPPE: Fett, für Orchester (Schweizer Erstaufführung)
UNSUK CHIN: Šu, für Sheng und Orchester (Schweizer Erstaufführung)

IGOR STRAWINSKY: Le Sacre du printemps

Am Samstagabend hörte ich dann das Lucerne Festival Contemporary Orchestra im Konzert – mit „Fett“, dem Orchesterstück von Enno Poppe (er war dieses Jahr Composer-in-Residence), einem Konzert für Sheng von Unsuk Chin und in der zweiten Hälfte Stravinsky „Sacre“. Da Chin und Wei für die Konzerteinführung angekündigt waren, bin ich für einmal hin (ich war in früheren Jahren schon bei welchen, die im grossen Konzertsaal abgehalten wurden, dieses Mal führte der Weg ins Auditorium, ein absteigender Raum unterhalb des Kunstmuseums im KKL-Komplex, den ich davor noch nie gesehen hatte. Wu Wei erklärte die Funktionsweise der Sheng bzw. seiner Sheng, einer chinesischen Blas-Orgel, die er von der traditionellen Variation (Pentatonik) zu einem chromatischen Instrument mit einem erweiterten Tonumfang umbauen liess – 37 Pfeifen und zahlreiche Klappen finden sich an seinem Instrument. Er spielte auch etwas vor. Chin stiess im Anschluss dazu und sprach über die Entstehung ihres Werkes, ihre anfängliche Skepsis, da in der koreanischen Musik ständige Ton-Schwankungen eine grosse Rolle spielen, wohingegen die traditionelle Sheng ganz klar tönen würde und für ihre Ohren fremd klang. Gehört habe sie Wu Wei bei einer Hochzeit gemeinsamer Bekannter in Berlin – und danach sei klar gewesen, dass sie für Wei komponieren müsse.

Im Konzert überzeugte das von Mälkki sehr präzise geführte Orchester mit seinem unglaublichen Elan. Soweit ich das mitgekriegt hatte, liegt die Altersobergrenze für die Teilnahme bei 32 Jahren, dass die Konzerte auch unter der Überschrift „Lucerne Festival Academy“ laufen, weist auch darauf hin, dass es sich hier um eine Art Festival-Jungendorchester handelt, voller hervorragender Nachwuchsmusikerinnen (ich gendere hier mal nicht, um die Berliner auszugleichen). Spielfreude und Abenteuerlust zeichnen das Orchester aus.

Die Aufführung von Poppes „Fett“ fand ich überzeugend. Etwas, was ich oben zur öffentlichen Probe nicht erwähnte, ist die ständige Bewegung (vielleicht eine Parallele zum Beckett-Stück beim LFCO Leaders Kamermusik-Konzert?), in der sich alles stets befindet. Es gibt in all diesen Akkordschichtungen einerseits stets Melodien – manchmal pointiert als kleine Kürzel z.B. bei den Violinen oder den Holzbläsern, andererseits entstehen diese ständig aus den aufgefächerten Akkorden. Und diese Akkorde selbst folgen natürlich keiner irgendwie funktionalen Harmonik sondern bewegen sich ebenfalls ständig. Dabei gibt es Augenblicke, in denen fast konventionell klingende Modulationen stattfinden – doch sofort entzieht Poppe uns wieder den Boden unter den Füssen. Er verweigert sich hier allem, was wir an Erwartungen an einen „Orchesterklang“ mitbringen. Das ist sehr sinnliche Musik, die – überraschend bei ihrer Dichte – immer wieder Räume öffnet.

Dann der grosse Auftritt von Wu Wie, dessen Instrument sich im Konzert als wahnsinnig wandelbar und vielfältig beweist, klanglich zwischen Oboe, Mundharmonika oder Akkordeon changierend. Über dreitausend Jahre als sei das Instrument, entnehme ich dem Programmheft, von ihr hätten sich europäische Instrumentenbauer die Funktionsweise von Mundharmonika und Akkordeon abgeschaut. An einen Schnabel anschliessend finden sich diverse Bambuspfeifen, die jeweils von einer Metallzunge durch die Atemluft in Schwingung versetzt werden. Töne werden sowohl beim Aus- wie auch beim Einatmen erzeugt. „Šu“ forscht einer „Sehnsucht nach dem fernen Klang“ nach: schon in ihrer Kindheit hatte Chin die koreanische Variante der Sheng aus der Ferne von einem Berg spielen gehört. In ihrem Konzert zieht sie das Instrument in den Sog ihrer eigenen, an der westlichen Avantgarde geschulten Musikwelt hinein. Es gibt Verdichtungen und Entspannungen, das Orchester verschluckt die Sheng, immer andere Instrumente verbinden sich mit ihr und so wird umso eindrücklicher klar, welcher Reichtum an Klangfarben in diesem seltsamen Gebilde steckt. Da war natürlich eine Zugabe nötig, ein fünf- oder sechsminütiges Solo-Stück, das noch einmal die erstaunliche Klangvielfalt der Sheng demonstrierte und die Leute am Ende buchstäblich aus den Stühlen riss.

Nach der Pause dann Stravinsky – und hier war sie, die hämmernde, pochende, vibrierende Unbedingtheit, die mir in der Liszt-Sonate gefehlt hatte. Klar, das ist eine später und sehr andere Klangwelt, doch der Wagemut, mit dem das Orchester zugange ging, ist wohl vergleichbar mit dem, den ein*e Pianist*in braucht, um sich an Liszts Sonate zu versuchen. Ich bin kein grosser Stravinsky-Fan (auch kein Ablehner), doch hier passte schlicht alles – eine Wucht, umwerfend!

03.09.2023 – KKL Luzern, Konzertsaal – Mozart & More

Orchestra di Padova e del Veneto
Wolfram Christ
Viola und Musikalische Leitung
Sabine Meyer Bassettklarinette

JÖRG WIDMANN: The last rose of summer. Ein Abschiedslied für Viola und kleines Orchester (Uraufführung)
WOLFGANG AMADÉ MOZART: Klarinettenkonzert A-Dur KV 622
FRANZ SCHUBERT: Nr. 5 Entr’acte nach dem dritten Aufzug aus der Bühnenmusik zu Rosamunde, Fürstin von Zypern D 797 | Sinfonie Nr. 3 D-Dur D 200

Am nächsten Morgen gab es ein Matinee-Konzert, mein vorläufiger Abschluss in Luzern – es folgte noch ein umwerfender Epilog ein paar Tage später. Wolfram Christ, einst wie Sabine Meyer Gründungsmitglied des Lucerne Festival Orchestra unter Abbado, gab mit diesem Konzert seinen Abschied als Solist. Jörg Widmann komponierte aus diesem Anlass ein kleines, ruhiges, wunderschönes Abschiedslied. Als Grundlage nutzte Widmann ein populäres irisches Lied, das ihm aus der Zeit als Principal Conductor des Irish Chamber Orchestra vertraut war, „The Last Rose of Summer“. Ein letztes Mal, so der Gedanke, solle hier die Schönheit von Christs verschattetem Bratschenton zu hören sein – doch sei das Volkslied „nur eine von mehreren musikalischen Reminiszenzen, die somnambul und irreal aus der Vergangenheit in diese kleine stück kurz herüberleuchten und wieder verschwinden. Eine überreife Süsse und Melancholie schween über dem Stücke. Alles ist bewusst einfach und liedhaft gehalten. Das Stück will nicht mehr sein als ein kleiner Abschiedsgruss, beseelt und innig“ (Widmann im Programmheft).

Ein wunderbarer, etwa zehnminütiger Auftakt in ein sehr schönes Konzert, das schon wegen des kleineren Formats des Orchesters und vor allem wegen des kammermusikalischen Ansatzes gar nicht erst mit denen der grossen Orchester konkurrieren muss. Es folgte Sabine Meyer mit ihrer Bassettklarinette und dem Konzert von Mozart – immer wieder eine Freude, wie sie dieses spielt, ohne Mätzchen direkt auf den Kern zielend. Ähnlich liess Christ das Orchester aufspielen, fast ohne Vibrato, gradlinig, ja geradezu schlicht – umso schöner tritt dadurch die überirdische Musik von Mozart in den Vordergrund.

Schubert machte den Abschluss, das zarte Andantino, Nr. 5 aus der Bühnenmusik von „Rosamunde“, ein Motiv, das Schubert später sowohl Im a-Moll-Streichquartett D 804 sowie im dritten der Klavierimpromptus D 935 wieder zu finden ist. Unmittelbar daran angeschlossen die dritte Symphonie, im Sommer 1815 vom achtzehnjährigen Komponisten in nur neun Tagen geschrieben. Vielleicht die erste Symphonie, in der Schuberts eigene Tonsprache zu hören ist. Nach dem recht wuchtigen aber beschwingten Einstieg über weite Strecken ein tänzerisches Werk, das durchaus auch mal derb wird, übertreibt, in dem verschiedene rhythmische Ebenen nebeneinander herlaufen, Kammermusikalisches, Pastorales und die Wiener Vorstadt heraufbeschwörendes nebeneinander Platz findet. Mit einem Rausschmeisser all’italiana schliesst die Symphonie, einem „Presto vivace“, das durchaus an Rossini gemahnt – die Opernhaftigkeit, die Theatralik der ersten sechs Schubert-Symphonien ist ein Punkt, der mir von Holligers Interpretationen mit dem Kammerorchester Basel in bester Erinnerung ist (exemplarisch im Konzert gehört mit Nr. 4 und Nr. 6).

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