Antwort auf: Die letzte Dokumentation, die ich gesehen habe

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ford-prefect
Feeling all right in the noise and the light

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In der ARD-Mediathek bin ich zufällig über den Dokumentarfilm Könige der Welt der beiden Filmemacher Christian von Brockhausen und Timo Großpietsch von 2017 gestolpert, den ich schon länger sehen wollte. Der 95-Minüter handelt von der deutschen Alternative-Rockband Union Youth aus Bad Bentheim in Niedersachsen, die sich nach einem Split und jahrelanger Pause in Pictures umbenannt hat. Selbst durfte ich mal Union Youth für ein längst verblichenes Online-Magazin interviewen, beim Visions X-Mas Special im Dezember 2005 mit The Subways und Blackmail in der alten Batschkapp in Frankfurt/Main. Zum Gespräch traf ich mich mit Schlagzeuger Bowy, der mittlerweile einen schwarzen Vollbart trägt, und Bassist Nosse in der Elfer-Kneipe unter der Batschkapp. Damals bin ich mit einiger Nervosität in das Interview gegangen, mit der Befürchtung, Union Youth würden sich vielleicht genauso rüde und chaotisch verhalten wie auf der Bühne. Stattdessen erwiesen sich der Drummer und der Bassist als aufgeräumt, konzentriert und zugewandt. Wenige Tage nach dem Visions X-Mas Special las ich in den News auf visions.de … dass sich Union Youth aufgelöst haben. Wie sie in dem Film erläutern, hatten die vier Bandmitglieder über die Jahre einen Hass aufeinander entwickelt, der schließlich zur Auflösung führte.

Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms „Könige der Welt“ steht Sänger/Gitarrist Maze mit seiner Drogen- und Alkoholsucht, weshalb er sieben Monate in der Fontane-Klinik für Psychosomatik südlich von Berlin verbringen musste, um seine Süchte zu überwinden. Im Film sieht Maze sehr mitgenommen aus, dunkle Ringe unter den Augen und ungewaschene kinnlange Haare. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere strahlte der WDR-Rockpalast um 2003 einen Auftritt von Union Youth aus. Außerdem tourte das Quartett durch die USA und spielte im Viper Room in Los Angeles. Das ist der Musikclub, vor dem 1993 der Schauspieler River Phoenix wegen eines Drogencocktails tot zusammenbrach. 2003 rotierte das Musikvideo zum Song „Fruits for the Nation“ von Union Youth auf MTV und Viva, ein total ins Ohr gehender Kracher, bis heute mein Favorit des Vierers. Union Youth klangen stark nach Nirvana und Sänger Maze inszenierte sich wie ein Kurt-Cobain-Epigone auf der Bühne, von der Slacker-Haltung über den Gesang bis zu den Klamotten. Fred Durst von Limp Bizkit wollte UY auf seinem Label unter Vertrag nehmen, was jedoch an der zunehmenden Suchterkrankung von Sänger Maze scheiterte, der sich eine größere US-Karriere gesundheitlich nicht zutraute. „Das ganze Drumherum hätte meinen Untergang beschleunigt. Ich war schon damals auf dem Weg nach unten“, erkennt Sänger Maze im Rückblick. Unter dem Namen Pictures macht die Combo heute deutlich ruhigeren Indie-Rock, vom Sound her vergleichbar mit Oasis.

Im Dokumentarfilm sieht man alte Videoaufnahmen von der US-Tour und wie Union Youth eine selbstgebaute Bong im Kreis herumgehen lassen. Auf diese Weise springt die Doku zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her, auf zwei Zeitebenen. Nach den sieben Monaten in der Fachklinkik erklärt Sänger Maze, dessen Entlassung bevorsteht: „Ich will jetzt raus und freue mich darauf.“ In einer anderen Szene blättert einer in einer alten Bravo-Ausgabe von 2002, in der eine CD-Kritik über das Album „The Royal Gene“ von Union Youth steht. Der Film verdeutlicht, dass selbst die talentierteste Rockband zum Scheitern verurteilt ist, wenn nicht alle Bandmitglieder an einem Strang ziehen und ein Mindestmaß an Disziplin verinnerlichen. Daran sind bereits zahlreiche Bands zugrunde gegangen.

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Wayne's World, Wayne's World, party time, excellent!