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Einige Anmerkungen zu den Bestenlisten 2012 und 2023:
Ich weiß, das Begriffsterzett ist durch inflationären Gebrauch abgegriffen, aber die 2012er-Liste war dermaßen alt, weiß und männlich, dass man vielleicht besser sagen sollte: Marderalt, käseweiß und schwanzgesteuert.
Die üblichen Argumente, dass es damit schon seine Richtigkeit habe, fand ich nie überzeugend. Beispiel: Schwarze Soulmusiker seien eben eher auf Singles fixiert gewesen als auf Alben. Das stimmt natürlich zum Teil – wenn es aber dazu führt, Unmengen großartiger Soul-Alben aus dem Kanon auszugemeinden, handelt es sich um reine Ideologie (und groben Unfug).
Schauen wir mal die 2012er-Liste an (ich habe nur die Top 100 durchgezählt, für mehr war ich zu faul, und auf den hinteren Plätzen wird es sowieso oft ziemlich willkürlich):
- 86 Prozent der Alben stammten aus den 50er- bis 70er-Jahren, waren also zum Zeitpunkt der Veröffentlichung mindestens 32(!) Jahre alt.
- 97 Prozent der Alben stammten aus den 50er- bis 80er-Jahren, waren also zum Zeitpunkt der Veröffentlichung mindestens 22(!) Jahre alt.
- Wie wurde die jüngere Vergangenheit eingeordnet? Aus den 1990er-Jahren schafften es 2 Alben in die Top 100, aus den 2000er-Jahren eines, aus den 2010er-Jahren keines.
Nun kann man ja meinetwegen sagen, dass es eines bestimmten zeitlichen Abstandes bedarf, um die Qualität, Strahlkraft und wirkungsgeschichtliche Bedeutung eines Albums einzuordnen. Aber sorry, dass man sich fast ausschließlich auf Alben verständigt, die mindestens ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel haben, ist beim Thema Pop wirklich musealistischer Irrsinn.
- Ferner waren bei der 2012er-Liste 69 Prozent (also deutlich mehr als zwei Drittel) der Künstler weiß.
- Und in den Top 100 fanden sich genau acht Alben, bei denen Frauen eine wichtige Rolle gespielt hatten (wobei Fleetwood Mac und Velvet Underground hier bereits mitgezählt sind).
Mir kann kein Mensch den Bären aufbinden, dass hier die intersubjektive Weisheit einer kompetenten Jury Ausdruck finde. Da haben schlicht alte weiße Männer ihre blinden Flecken zur höheren Wahrheit erklärt.
Deshalb gefällt mir die neue Liste etwas besser, sie ist nicht mehr ganz so verbohrt gestrig (wobei sie neue Fragen aufwirft – mehr dazu unten …).
- 55 Prozent der Alben stammen aus den 50er- bis 70er-Jahren,
- 75 Prozent aus den 50er- bis 80er-Jahren,
- 90 Prozent aus den 50er- bis 90er-Jahren.
- Jüngere Vergangenheit: Aus den 2000er-Jahren schafften es 3 Alben in die Top 100, aus den 2010er Jahren sogar 7. Die Ignoranz gegenüber der jüngeren Vergangenheit ist nicht mehr ganz so krass.
- Der Anteil der weiblich geprägten Alben hat sich in den Top 100 von 8 aus 20 Prozent erhöht. Na immerhin.
- Etwas schockierend: Der Anteil der schwarzen Künstler in den Top 100 ist von 31 auf 25 Prozent gesunken.
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