Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle – 11.07.2023 – Hommage: Heinz Holliger und Duo Gerzenberg

Zürcher Kammerorchester
Heinz Holliger
Leitung
Duo Gerzenberg Klavierduo

MAURICE RAVEL «Le tombeau de Couperin», Orchesterfassung
SÁNDOR VERESS «Hommage à Paul Klee», Fantasie für zwei Klaviere und Streichorchester

JOSEPH HAYDN Sinfonie Nr. 98 B-Dur Hob. I:98

Das war ein grossartiger Saisonausklang gestern mit dem ZKO in der Tonhalle. Leider nur ca. ein Drittel (oder Viertel) voll, was mir erlaubte, meinem billigen Platz gegen einen in der ersten Reihe der Galerie zu tauschen. Dass gestern der bisher heisseste Tag des Jahres war (35 Grad, das Gewitter ging dann grad los, als ich mich danach wieder aufs Velo schwang, apokalyptische Stimmung – zum Glück heil nach Hause gekommen).

Los ging es mit Ravels „Le tombeau de Couperin“ – das ich damit zum dritten Mal in dieser Saison gehört habe. Davor im September 2022 beim Saisonauftakt des Kammerorchesters Basel unter Trevor Pinnock und im April (in Zürich) erneut mit dem KOB unter Umberto Benedetti Michelangeli, als einer der instrumentalen Blöcke, in denen Regula Mühlemann Pause machen konnte. Beide Male erschloss sich mir das seltsame Werk nicht so recht, doch gestern mit Holliger war plötzlich alles klar. Er modellierte diese seltsame Weltkriegsprogrammmusik, die wahnsinnig französisch ist, auf eine so behutsame Art und Weise, dass das Stück für mich erstmals wirklich lebendig, greifbar, verständlich wurde. Das war wahnsinnig schön musiziert, das ZKO spielte enorm nuanciert auf, Holliger schien fast für jedes Detail Anweisungen zu geben – ich hatte buchstäblich den Eindruck, dass dieses Feuerwerk an Klangfarben und Rhythmen gerade im Augenblick vor meinen Augen entsteht. Faszinierend!

Dann das Werk, wegen dem ich – neben dem Dirigenten, der dafür natürlich verantwortlich war – das Konzert eigentlich besucht habe. Holliger sagt, er haben von Verress „alles gelernt“ – und führt gerne seine selten zu hörenden Werke auf. An diesem Abend war’s eine siebensätzige Paul-Klee-Vertonung – die zugehörigen Bilder gab es im Kleinstformat im Programmheft zu sehen. Das Werk ist mal ein Klavierduo mit Streicherteppich, mal ein Dialog der Streicher mit den beiden Klavieren, die auch selber in einem ständigen, lebendigen Dialog stehen, oft abwechselnd zum Einsatz kommen, eins ganz zart, eins eher zupackend, manchmal geradezu ruppig. Auch hier, wie bei Ravel, war alles ständig im Fluss und einmal mehr enorm nuanciert. Zwischendurch prasselten auch mal die Bögen auf die Saiten (ich bin mir nicht sicher, ob’s auch mal noch „col legno“ gab) – oder Willi Zimmermann, der grossartige Konzertmeister des ZKO klopfte bei einem Satz den Schluss solo auf den Körper seiner Violine.

Dann Pause – und an sich längst totale Erschöpfung. Strenge Arbeitstage, die Hitze, dazu letztes Wochenende das unsägliche Züri Fäscht (das grösste Volksfest der Schweiz, heuer angeblich 2 Millionen Besucher*innen und die Stadt von Freitagnachmittag bis Sonntagabend eine Mischung aus Festhütte und Urinoir, wummernde Musik bis 5 Uhr früh – am Sonntag nur noch bis 23 Uhr – mehrere riesige Feuerwerke, das eine erst um 1 Uhr morgens) – also wenig geschlafen die Tage. Doch das bleiben hat sich gelohnt: die Haydn-Symphonie kam dunkel schattiert daher und glänzte dennoch, sie schien rhythmisch schleppend und zugleich tänzerisch zu sein, es gab immer wieder kleine Verzögerungen und danach Beschleunigungen, manchmal wirkte das auf mich wie ein Spielzeug, das aufgezogen und dann losgelassen wird. Je länger die Symphonie dauerte, desto faszinierter war ich. Der langsame zweite Satz liess mich – überraschend, denn generell liebe ich Haydns langsame Sätze sehr! – noch recht kalt, aber das Menuett und danach das Finale entwickelten sich endlos faszinierend. Zimmermann hatte auch da – wie in den beiden Werken davor – ein paar Solo-Einsätze und wie ich schon sagte: Ich finde ihn wirklich toll, sein Spiel wirkt auf mich irgendwie eiseskalt und sehr präzise und dennoch enorm lebendig (und gerade deshalb finde ich ihn auch auf der MDG-CD mit Konzerten von Frank Martin in „Polyptyque“ einen idealen Solisten – dort mit dem Musikkollegium Winterthur, wo er bis 2010 Konzertmeister war, danach wechselte er in der gleichen Funktion zum ZKO).

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