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Zürich, Opernhaus – 12.06.2023 – Liederabend Sabine Devieilhe
Sabine Devieilhe Sopran
Mathieu Pordoy Klavier
ALBAN BERG
aus: Jugendlieder Bd. 1
Schliesse mir die Augen beide (1907)
Spielleute
Vielgeliebte schöne Frau
Sehnsucht II
Menuett F-Dur für Klavier solo
Schliesse mir die Augen beide (1975), aus: Ferne Lieder
Die Nachtigall, aus: Sieben Frühe Lieder
WOLFGANG AMADEUS MOZART
Komm liebe Zither, KV 351
Das Veilchen, KV 479
HUGO WOLF
Albumblatt für Klavier solo
Wie glänzt der helle Mond, aus: Sechs Gedichte von Keller, Alte Weisen
aus: Italienisches Liederbuch
Auch kleine Dinge können uns entzücken
Mir ward gesagt du reisest in die Ferne
Mein Liebster ist so klein
Wenn du mein Liebster steigst zum Himmel
Pause
MOZART
Menuett KV 1d für Klavier solo
Abendempfindung an Laura, KV 523
Solfeggio, KV 393
RICHARD STRAUSS
Meinem Kinde, op. 37/3
Waldseligkeit, op. 49/1
Winterweihe, op. 48/4
Träumerei für Klavier solo
Ihre Augen, op. 77/1
Amor, op. 68/5
Eine irre Woche wieder … am Montag dieser kurze aber wahnsinnig schöne Liederabend, am Dienstag doppelt so lange mit dem Boss im Stadion (in der ersten Reihe, wie auf der Grossleinwand zu sehen, viele Fans in seinem Alter – kommt man ja nicht umhin, sowas die Tage zu beachten) und am Freitag dann noch der halbszenische „Fidelio“ in der Tonhalle. Damit habe ich alles gehört, wofür ich mich vor einem Jahr entschieden habe (die Saison 2023/24 ist seit diesem Wochenende aufgegleist, inkl. „Ring“-Zyklus im Mai, meine Tonhalle-Wahlabo-Bestellung auch abgeschickt – irr, so weit im Voraus zu planen, aber weil hier der Vorverkauf an einem Stichtag für die ganze Saison beginn, v.a. in der Oper der einzige Weg, günstig und dennoch auf zufriedenstellenden Plätzen hinzukommen).
Sabine Devieilhe also – der zweite Liederabend seit Pandemiebeginn, wobei der erste mit Benjamin Bernheim geteilt war und dem französischen Repertoire gewidmet. Dieses Mal machte sie einen Ausflug ins deutsche Lieder-Fach und begann mit Alban Berg, Liedern auf Texte von Goethe, Heine, Storm usw., dazwischen das erste instrumentale Intermezzo von Mathieu Pordoy. Dann als Überleitung zu Hugo Wolf zwei Mozart-Lieder, von denen ich „Das Veilchen“ seit dem Kleist-Film von Jessica Hausner („Amour fou“, 2014) nicht mehr vergessen kann – was für krasses Lied, so kurz, so trivial, und eben doch: so allumfassend, so tief. Dann Wolf, der Einstieg wieder mit einem kurzen Klavierstück, das erste Lied dann auf einen Text von Gottfried Keller (in Zürich würde das Schild „Hier wohnte Keller nie“ sehr gut passen, ich hab das glaub ich bisher nur für Mozart gesehen? Oder war’s Goethe?), dann natürlich Paul Heyse (das ital. Liederbuch). Nicht viel länger als eine halbe Stunde dauerte das – aber was da an Reichtum drinsteckte, war unglaublich.
Nach der Pause dann Mozart, Einstieg mit Klavier, dann noch ein Lied und dann das Solfeggio KV 393/2, das Devieilhe auch auf CD eingespielt hat. Die Schlichtheit trügt, die Leichtigkeit mit der sie singt erst recht. Mit Richard Strauss schloss dann das Konzert: Dehmel, Bethge usw., am Ende Brentano, und dann als erste Zugabe „Morgen“. Als zweite nochmal das Mozart-Solfeggio (oder war’s ein anderes?). Und ich war einfach nur platt. Welch vorzüglich Gesang, welche Zartheit und welche Wucht. Eine meiner liebsten Stimmen jedenfalls und ein Hochgenuss, sie in so einem schönen Programm hören zu können.
Zürich, Tonhalle – 16.06.2023
LUDWIG VAN BEETHOVEN: «Fidelio» op. 72 (Fassung 1814)
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Jacquelyn Wagner Sopran – Leonore
Michael Schade Tenor – Florestan
Christof Fischesser Bass – Rocco
Katharina Konradi Sopran – Marzelline
Patrick Grahl Tenor – Jaquino
Shenyang Bassbariton – Don Pizarro
Tareq Nazmi Bariton – Don Fernando
Stefan Kurt Sprecher
Zürcher Sing-Akademie
Florian Helgath Einstudierung
Sebastian Breuing Einstudierung
Eva Buchmann Konzept, Regie
Ben Hurkmans Dramaturgie
Selina Tholl Kostüme
Am Freitag war ich komplett geschafft … ich ging vorher noch ins Künstlergespräch mit Prof. Dr. Hans-Joachim Hinrichsen, der Regisseurin Eva Buchmann sowie Patrick Grahl, dem Jaquino der Aufführung, die heute noch ein zweites Mal gegeben wurde. Buchmann hat den Abend so eingerichtet, dass es keine gesprochenen Texte gab, stattdessen las Stefan Kurt zwölf mal aus Briefen Beethovens, nicht zuletzt aus dem „Heiligenstädter Testament“. Dem liegt die Idee zugrunde, dass eine mögliche Lesart des „Fidelio“ diejenige über die „eheliche Liebe“ ist, die Beethoven vergönnt blieb, nach der er sich (das unterstreichen natürlich die gewählten Brief-Auszüge) vergeblich gesehnt hat. Dazu gab’s eine einfache Bühne vor dem Orchester, Kurt sass ganz links auf einem Sessel und stand auf zum Lesen, die Sänger*innen bespielten nur die rechte Hälfte der vor dem Orchester aufgebauten Bühne rund um den grossen Tisch, die beiden Pizarro setzte sich hie und da hinten neben dem Chor hin. Das wirkte auf mich durchaus schlüssig und gut umgesetzt – wobei ich von der Figurenregie auf meinem Hörplatz in der ersten Hälfte nur Auszüge sah (wenn ich stand). Für die zeite Hälfte setzte ich mich dann auf einen der freien Plätze in der hintersten Reihe auf dem Balkon und hatte besten Blick bei (weiterhin) hervorragender Akustik.
Das Solist*innenensemble überzeugte mich, Katharina Konradi gefiel mir wohl insgesamt am allerbesten. Allerdings was das wirklich ein Gemeinschaftseffort auch des hervorragenden Chors und des glänzenden Orchesters, das zumindest was die Streicher angeht in grosser Besetzung aufspielte (16-14-12-10-6 glaub ich? auf dem Foto nicht leicht zu zählen). Järvi liess sich Zeit, die Musik konnte sich entfalten, blieb aber von einer enormen Durchhörbarkeit, wirkte sehr transparent.
Beim genauen Hinschauen kann man überall Mikrophone sehen – im Programmheft stand, dass die zwei Aufführungen aufgezeichnet wurden. Ich hoffe natürlich sehr, dass das nicht nur fürs eigene Archiv geschah, sondern dass eine Veröffentlichung geplant ist. Auch wenn die Aufnahme natürlich nie die Unmittelbarkeit haben kann, wie sie das Live-Erlebnis bietet, würde ich das wirklich gerne daheim nachhören können.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba