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Zürich, Tonhalle – 08.06.2023
Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi Music Director
Frank Peter Zimmermann Violine
EDWARD ELGAR: Violinkonzert h-Moll op. 61
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DMITRI SCHOSTAKOWITSCH Sinfonie Nr. 1 f-Moll op. 10
Beim letzten normalen Orchesterkonzert in der Tonhalle hatte ich wieder einmal denjenigen Abend erwischt, bei dem es eine „Prélude“ in der kleinen Tonhalle gab, ein Künstlergespräch mit Kammermusik, die von Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste präsentiert wird. Dieses mal spielte Juan Carlos Escobar, der in der endenden Saison auch ein Orchesterpraktikum bei der Tonhalle absolviert, mit Yoshiko Iwai am Flügel, die ersten beiden Sätze (Moderato und Allegretto) aus der Sonate für Viola und Klavier op. 147 von Dmitri Schostakowitsch. Ich habe davon gerade mal eine einzige Aufnahme (Caussé/Engerer, 2011) und ein paar Tage später dann auch noch angehört – was für ein eindrückliches Werk, wie schön die Bratsche hier klingen kann, wie schön ihr eigener Klang zum Vorschein kommt. Das war ein umwerfender Einstieg in einen Abend, der noch einiges bieten sollte.
Das Gespräch mit Escobar war danach weniger ergiebig (die Fragenstellerin ist eine Journalistin, die zur Tonhalle gewechselt hat, ihre Texte las ich stets gerne), doch dann gab’s einen fliegenden Wechsel und Andreas Janke, der Konzertmeister des Abends übernahm und sprach über die zwei Werke, die auf dem Programm standen (das schon am Vorabend aufgeführt worden war), über die Arbeit mit Paavo Järvi, die Anspannung auf der Bühne usw., und das wurde dann sehr interessant. Frank Peter Zimmermann lobte er in höchsten Tönen, er sei derzeit quasi der Gott seines Instruments, die Arbeit mit ihm sei beeindruckend. Und dann ein kleines Detail: Als er vor einer Orchesterprobe an sein Pult sass, seien da die Noten von Zimmermann gelegen, der davor schon einen Probe mit Järvi gehabt habe – er habe es sich nicht verkneifen können, reinzugucken und gesehen, dass da ganz viele Dinge aus der Partitur vermerkt seien, dass Zimmermann – das scheint bekannt zu sein? – seine Interpretationen also tatsächlich aus der gesamten Orchesterpartitur heraus entwickle, jeden Einsatz, jede Phrase usw. kenne. Eine unglaubliche Akribie also, gepaart mit der besten heute zu findenden Spieltechnik und einer immensen Freude am Musizieren. So in etwa der Tenor. Das Konzert von Elgar sei zudem fortwährend in der Schwebe, praktisch in jedem Takt verändere sich das Tempo ein wenig. Zudem werde mit Järvi bei den Proben der Rahmen abgesteckt, bei den Konzerten können vieles im Detail dann anders kommen (wohl auch anders als am Vorabend) als bei der Probe angespielt – da sei es also buchstäblich ein Muss, auf der Stuhlkante zu sitzen und hellwach zu sein. Zur ersten Symphonie von Schostakowitsch, die dieser mit 19 Jahren als Abschlussarbeit komponiert hatte, fand Janke dann ebenfalls nur lobende Worte. Sehr bildhaft sei sie, man könne sich bei mancher Passage fast schon eine Szene von Tom & Jerry dazu ausmalen.
Im Saal sass ich dann seltsamerweise auf der anderen Seite als üblich – drum auch kein Foto von der ersten Hälfte: Zimmermann blieb so weit hinten stehen, dass Järvi ihn fast immer verdeckte – ausser beim letzten Mal, als er allein nochmal kam … eine Zugabe spielte er nicht, was ich nach diesem Ungetüm von einem Konzert auch gut fand. Fast 50 Minuten dauert das Violinkonzert von Elgar, das ausserhalb von England stets im Schatten des berühmten Cellokonzerts steht. In der Tonhalle fand die erste dokumentierte Aufführung 1994 mit Igor Oistrach und Nello Santi am Pult statt, zuletzt stand es 2009 mit Kyoko Takezawa und David Zinman im Programm. Gewidmet ist das Konzert Fritz Kreisler, der Elgar 1950 in einem Interview auf dieselbe Ebene wie Beethoven und Brahms stellte, seine „Idole“, und sagte: „Ich wünschte, Elgar würde etwas für die Violine komponieren. Er könnte es und es würde sicher einschlagen.“ – Und als es ein paar Jahre später fertig wurde, teilte es sich ja die Opuszahl mit dem Violinkonzert von Beethoven. Jedenfalls fand ich das in jeder Hinsicht eine tolle Aufführung – das hat an dem Abend bei den Tausend Leuten, die da waren, tatsächlich eingeschlagen. Die Stimmung im Saal schien mir auch besonders, es wurde seit längerem wieder mal kaum gehustet, der Applaus war riesig und hielt lange an.
Nach der Pause ging es phänomental weiter. Das Orchester war noch etwas angewachsen, es spielte an dem Abend auch in bester Besetzung (zwei der drei Konzertmeister*innen am ersten Pult, dasselbe bei den Stimmführer*innen der 2. Violine, Solo-Cello usw., nur auf dem Stuhl der ersten Flötistin sass ein Musiker, den ich noch nie bewusst wahrgenommen habe (ich glaub nicht, dass es der stv. Solo-Flötist war, aber bin nicht ganz sicher). Viel zu tun hatten in dieser zweiten Hälfte neben dem Konzertmeister Janke und dem Solo-Trompeter eben auch das Solo-Cello (Paul Handschke, der junge neue Registerführer) und der ebenfalls neue Pianist des Orchester, Hendrik Heilmann (auf dem Foto ist er zwischen den Bratschen zu sehen, in die der Flügel quasi einen Keil schlug auf der Bühne). Auch das eine umwerfende Aufführung, ein mit Leichtigkeit gespieltes Werk, das humorvoll und todtraurig mit der Romantik aufräumt, die noch im ersten Konzertteil zelebriert wurde. Der Applaus war auch dafür anhaltend und gross. Ein tolles Programm, ein glänzendes Orchester – bitte mehr davon!
Hm, jetzt wo endlich das Saisonprogramm da ist, bin ich da zwar nur mässig optimistisch was die gewagteren Programme angeht … aber ein beginnender Mahler-Zyklus ist natürlich auch klasse! Morgen geht’s zum Liederabend von Sabine Devieilhe ins Opernhaus, übermorgen ins Stadion zu Bruce Springsteen, am Freitag dann zum halbszenischen „Fidelio“ wieder in der Tonhalle, ein für Frühling 2020 geplantes Projekt, das jetzt endlich stattfinden wird, natürlich auch mit Järvi … und dann bin ich mal beim Filmfestival in Bologna und überlege, ob ich danach noch in den „Freischütz“ soll, den ich 2016 verpasst habe, als die Inszenierung von Herbert Fritsch Premiere hatte – die Marthaler-Aufführung in Basel war ja genial, das habe ich trotz Covidnebelkopf gemerkt – , und dann noch zum ZKO mit Holliger und dem Duo Gerzenberg, das Veress‘ „Hommage à Paul Klee. Fantasie für zwei Klaviere und Streichorchester“ spielt – davor Ravels „Tombeau de Couperin“, danach Haydns 98. Symphonie … das klingt doch nach einem schönen Saisonabschluss?
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba