Antwort auf: Die letzte Dokumentation, die ich gesehen habe

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ford-prefect
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lathoWie die Zeit vergeht: der BR (!!!) dreht eine Doku über das Nürnberger KOMM (und findet das Modell sympathisch)

Hab mir die Doku reingezogen. Hier in der Gegend haben wir das JUZ Mannheim, das in Erinnerung an einen Widerstandskämpfer im Dritten Reich den Namen „Friedrich Dürr“ trägt. Vor einem Monat fand dort eine Vorführung des Dokumentarfilms Freie Räume – Eine Geschichte der Jugendzentrumsbewegung von Filmemacher Tobias Frindt statt, der 2019 diese Doku über die Kultur der selbstverwalteten JUZis im Allgemeinen und das JUZ Mannheim im Besonderen gedreht hat. Heute sagt man ja dazu neudeutsch DIY … Do it Yourself, ein Slogan aus der Punk/HC-Szene, also mach dein eigenes Ding, auf eigene Faust, als Autodidakt in solidarischer Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten. Im Publikum saßen einige ergraute Vertreter der ersten JUZ-Mannheim-Generation, etwa der Liedermacher Bernd Köhler. In dem Film tauchen auch kurz die Rote Flora in Hamburg und andere Jugendzentren auf.

Im Hinterhof des Mannheimer JUZ befindet sich ein freier Schrebergarten mit Bienenstock, da darf jeder gärtnern und Obst und Gemüse anpflanzen. Im Keller gibt es eine Dunkelkammer der Fotografie-Fachschaft. In diesem JUZ nennen sich die verschiedenen Freizeitgruppen Fachschaften, hat aber nichts mit Uni zu tun, sondern mit Bildung der breiten Bevölkerung. Gegenwärtig feiert das JUZ Mannheim sein 50-jähriges Jubiläum, es gehört somit zu den ältesten selbstverwalteten Einrichtungen dieser Art in ganz Deutschland. Deshalb fand dort vor einem Monat ein Tag der offenen Tür statt, bei dem man zum Beispiel das Siebdrucken erlernen konnte. Die Getränkepreise sind human, für Limonade, Malzbier, Bier usw. zahlt man nicht mehr als ein bis drei Euro. Zu besonderen Anlässen gibts auch was zu essen.

Konservative Geister kritisieren jedoch das JUZ, ist nämlich der Treffpunt der örtlichen Antifa, weshalb man dem Haus unterstellt, ein Ort für linksextremistisches Gedankengut zu sein. 2017 sollten darum dem JUZ die städtischen Fördergelder gestrichen werden, es schloss sich eine Debatte im Stadtrat darüber an.

2014 war ich im JUZ Mannheim auf einem Konzert der HipHop-Sängerin Sookee. 2016 sah ich die Hardcore-Band Converge in dem Laden. Als sich das JUZ noch an seinem ursprünglichen Ort befand, in der Innenstadt im Quadrat O4,8, traten darin die noch unbekannten Green Day im Herbst 1991 auf. 1994 musste das JUZ weichen und an seinen heutigen Standort in der Käthe-Kollwitz-Straße neben dem Neuen Meßplatz ziehen, da an der alten Stelle das Modefachgeschäft Engelhorn&Sports ein neues Gebäude errichtete. Dagegen hatte sich breiter Widerstand formiert, die JUZ-Besucher unternahmen einen anarchischen Protestmarsch rüber zum Stadthaus N1, um die Eingangshalle vorübergehend zu besetzen mit Kickertisch und Bestuhlung usw. Kann man sich alles im erwähnten Dokumentarfilm von Tobias Frindt anschauen. In der Doku kommt der Sänger Pablo Charlemoine der ehemaligen Heidelberger Reggae-Band Irie Révoltés zu Wort, für die das JUZ Mannheim ein wichtiger Auftrittsort war. Aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums erschien zudem ein sozialwissenschaftliches Sachbuch mit dem sperrigen Titel Selbstorganisierte politische Jugendarbeit im Konflikt im Verlag Wochenschau Academy. Das dürfte so verklausuliert zu lesen sein, wie der Titel vermuten lässt.

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