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Zürich, Tonhalle – 13.05.2023 – Neue Konzertreihe Zürich
Grigory Sokolov Klavier
HENRY PURCELL
Ground in Gamut G-Dur
Suite Nr. 2 g-Moll
A New Irish Tune («Lilliburlero») G-Dur
A New Scottish Tune G-Dur
Trumpet Tune «Cibell» C-Dur
Suite Nr. 4 a-Moll
Rondo («Round O») d-Moll
Suite Nr. 7 d-Moll
Chaconne g-Moll
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WOLFGANG AMADEUS MOZART
Sonate B-Dur KV 333
Adagio h-Moll KV 540
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Encores:
JEAN-PHILIPPE RAMEAU: Les Savages
FRÉDÉRIC CHOPIN: Prélude Op. 28 No. 15 („Raindrop“)
SERGEI RACHMANINOV: Prélude Op. 23 No. 2
FRÉDÉRIC CHOPIN: Mazurka Op. 63 No. 2
JEAN-PHILIPPE RAMEAU: Le Tambourin
BACH/SILOTI: Prélude h-Moll
Für meine Ohren war das das beste Sokolov-Rezital seit dem Mozart/Beethoven-Programm von 2017 – aber es irgendwie auch sinnlos, diese Konzerte überhaupt in Worte zu fassen, denn die magischen Momente gibt es zuverlässig jedes Mal! Gestern ging es mit Purcell zunächst scheinbar etwas verhalten los, doch natürlich hat Sokolov sich ganz genau überlegt, wie er diese Stücke präsentiert, es ergab sich eine perfekte Dramaturgie, eine Steigerung, nach einer Viertelstunde oder so fand ich mich tief in der Musik wieder (ein Effekt, wie sie The Necks haben können, um einen zumindest oberflächlich etwas verqueren Vergleich zu ziehen), und die Faszination wuchs und wuchs – und mündete in die faszinierende Chaconne mit ihrem Groove: durch ihre Klarheit zugleich irgendwie ein Herunterfahren am Ende, aber eben auch der krönender Höhepunkt, mit dem wir in die Pause entlassen wurden.
Danach wurde es noch besser. Zum Einstieg der Sonate B-Dur KV 333 liess Sokolov den Steinway singen, spielte ein ums andere Mal perfekt perlende Läufe – dabei stets mit zurückhaltender Pedalierung. Das beeindruckendste „jeu perlé“, das ich bisher im Konzert zu hören gekriegt habe. Wirklich umwerfend. Und wenn das Programm insgesamt vielleicht etwas gar galant sein mochte, so ergab sich über den Abend hinweg auch insgesamt eine stimmige Abfolge. Denn bei Mozart setzt sich die zweckfreie, die absolute Musik durch, da ist so viel mehr dabei als biedermeierlicher Wohlklang, die Verschattungen im mittleren Satz zeigen in aller Schönheit, dass da noch ganz anderes mitläuft – und da ist auch diese Traurigkeit, die den grossen Klavierkonzerten, die im selben Zeitraum entstehen, stets inhärent ist. Das Adagio in h-Moll (KV 540) wirkte danach – wie zuvor die Chaconne – als eine Art ruhender Schlusspunkt. Nur dass das hier keine Krönung mehr war sondern bereits wie ein Requiem wirkte, ein Rückblick aus einem Danach. „Galante musicke and a requiem for troubled times“ mochte das Motto des Abends geheissen haben.
Die sechs folgenden Zugaben habe ich inzwischen mit etwas Schützenhilfe (bei zwei Stücken kam ich selbst nicht zum Ziel, obwohl ich das eine mit Sicherheit erkannte und beim anderen auch recht sicher war, zumindest dass ich es kenne): mit „Les Sauvages“ ging es ins Barock zurück, mit Chopins „Regenbogen-Prélude“ (Op. 28 Nr. 15) kam dann doch noch romantischer Klavierdonner auf, der mit der Prélude Op. 23 Nr.2 von Rachmaninov bis an die Grenzen gesteigert wurde. Das riss das zahlreich erschienene Publikum (drum die vier Reihen Zusatzplätze auf der Bühne, die im Bild zu erkennen sind) von den Stühlen, und das wiederholte sich nun noch drei weitere Male. Mit Chopins bezaubernder Mazurka Op. 63 Nr. 2 schloss der kurze Romantik-Block, mit „Le Tambourin“ ging es zurück zu Rameau und ins Barock, und dann folgte ein wahnsinnig schöner Ausklang mit dem Prélude h-Moll, Silotis Arrangement vom e-Moll-Präludium aus Bach wohltemperierten Klavier (Präludium und Fuge BWV 855). Eine Rückkehr zur Tonart von Mozarts Adagio – und ein ebenso nachdenklicher Schlusspunkt.
Das ganze dauerte bei einer kurzen Pause am Ende die übliche zweieinhalb Stunden, die Zeitangaben im Programmheft lagen recht deutlich daneben. Es ging mit etwas Verspätung los, weil die vielen Leute noch ihre Plätze suchten. Teil eins dauerte wohl eine Dreiviertelstundde, dann maximal zwanzig Minuten Pause, und nach Mozart (ein kurzer Applaus vor dem Adagio liess sich leider nicht vermeiden) waren die zwei Stunden voll. Die sechs Zugaben dauerten zusammen nochmal eine halbe Stunde – natürlich immer durch viel Applaus unterbrochen und wie immer mit dem doppelten Ab- und Aufgang Sokolovs: Nach einer Zugabe kehrt er einmal zurück und verneigt sich kurz, beim zweiten Mal sitzt er dann wieder hin, am Ende kam er dann noch zwei- oder dreimal, um sich zu verneigen, und dann ging das Licht an, das – auch wie immer – stärker runtergedimmt war, als sonst üblich (allerdings weniger stark als bei früheren Sokolov-Konzerten, dünkte mich).
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Und mehr für mich selbst, die bisherig gehörten Sokolov-Konzerte (2015 und 2016 hatte ich ihn in Zürich verpasst, nach dem doppelt verschobenen Konzert von 2020 – es gab den ursprünglichen Termin im März und einen ersten Ersatztermin im Juli, doch erst im September konnte das Konzert stattfinden) kam er jetzt zum ersten Mal wieder:
26.11.2012 – Luxembourg, Philharmonie
MOZART Klaviersonate Nr. 8 a-Moll KV 310; RAMEAU Suite d-Moll/D-Dur; BEETHOVEN Klaviersonate Nr. 29 B-Dur Op. 106 „Grosse Sonate für das Hammerklavier“
26.02.2017 – Zürich, Tonhalle
MOZART Sonate C-Dur KV 545, Fantasie und Sonate c-Moll KV 475/457; BEETHOVEN Sonate Nr. 27 e-Moll op. 90, Sonate Nr. 32 c-Moll op. 111
07.05.2018 – Zürich, Tonhalle-Maag (Bericht)
HAYDN Sonate (Divertimento) Nr. 32 g-Moll Hob. XVI:44, Sonate (Divertimento) Nr. 47 h-Moll Hob. XVI:32, Sonate Nr. 49 cis-Moll Hob. XVI:36; SCHUBERT Impromptus D 935
15.04.2019 – Zürich, Tonhalle-Maag (Bericht)
BEETHOVEN Klaviersonate Nr. 3 Op. 2/3, Elf Bagatellen Op. 119; BRAHMS Klavierstücke Opp. 118 & 119
15.09.2020 – Zürich, Tonhalle-Maag
MOZART Präludium (Fantasie) und Fuge C-Dur KV 394, Sonate A-Dur KV 331, Rondo a-Moll KV 511; SCHUMANN Bunte Blätter op. 99
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