Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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vorgartenvielen dank für die hinweise auf leon thomas und oliver nelson, das muss ich unbedingt nachholen!
aber dann, vielleicht zum abschluss der heutigen sessions:

ich finde das eins der rührendsten stücke überhaupt (was da alles zusammenkommt…)

Danke, höre ich später noch!

Bin jetzt beim Abend, als Thomas und Nelson (der ist ja auch eher ein unwahrscheinlicher Partner für sowas, oder? aber es passt perfekt!) ihre Party im November 1970 nach Berlin brachten:

Leon Thomas in Berlin | Mit dabei in der Philharmonie: Arthur Sterling am Klavier, (da finde ich auf die Schnelle nicht viel, aber das hier ist wohl), Günter Lenz am Bass, Lex Humphries am Schlagzeug und Sonny Morgan an den Congas. Und als Bonustrack gibt’s auf meiner Ausgabe (hier hab ich die frz. CD von 2002) nochmal „Damn Nam (Ain’t Going to Vietnam)“ aus dem Fillmore vom Album des Student National Coordinating Committee. In Berlin spielen sie zum Einstieg „Straight No Chaser“, dann meint Thomas: „move with the time“ und tut das mit einem viertelstündigen Medley aus „Pharoah’s Tune (The Journey)“ und „Echoes“, in dem Nelson dann eins seiner typisch organisierten Soli beisteuert – er spielt nur Altsax – und Thomas dazu seine afrikanische Holzflöte zückt. Nat Hentoff hat die Liner Notes geschrieben und beschreibt, wie Nelson bei der Session als „the intense, incisive improviser“ zurück ins Rampenlicht drängte, nachdem er in Berlin war, um seinen „Berlin Dialogue for Orchestra“ vorzustellen (eine Auftragsarbeit fürs Festival). Hentoff zitiert dann Berendt, der meinte, Nelsons Spiel hätte „a new dimension of freedom without ever becoming chaotic“ erreicht, und Nelson „was jubilant all the time“, während der Tage in Berlin. Das kann ich mir gut vorstellen, auch wenn die Stimmung auf dem Tonträger manchmal eher zu erahnen als unmittelbar zu spüren ist.

Nach einem fröhlichen Romp über das Ruff-Stück „Umbo Weti“ (der Groove klingt nach Afrika) folgt eine umwerfende Version von „The Creator Has a Master Plan“, und dann eine kurze Solo-Zugabe, „Oo-Whee!! Hindewe“. So in alle Richtungen offen wie auf dem Debut klingt das für mich nicht mehr, denn Thomas hat wohl seine Richtung inzwischen gefunden – und da ist das Monk-Stück zum Auftakt der Fremdkörper, der offene Groove-Jazz das eigentliche Ding. Lenz ist dafür wirklich perfekt und Thomas dankt es ihm mit der Bemerkung, „Berlin won’t have a wall much longer if Günter keeps doing what he’s doing … Günter Lenz breaks down all the walls.“ Humphries/Morgan harmonieren perfekt – da ist nichts vom leichten Unwohlsein wegen semi-divergenten Beats von Drummers und Congas, wie es sie momenteweise auf den beiden Alben davor noch gibt – im Gegenteil: Humphries und Morgan ergänzen sich so toll, dass die Congas eine echte Bereicherung sind.

Leon Thomas – Blues and the Soulful Truth | Meine letzte Runde von1 1972 … dazwischen gab es noch „Gold Sunrise on Magic Mountain“ auf Mega/Philips mit Nelson, hier ist dann eine Funk-Band am Werk, arrangiert von Pee Wee Ellis, der auch Tenor-, Sopran-, Barisax und Orgel (letztere in einer Version von John Lee Hookers „Boom Boom“ spielt, u.a. mit – in wechselnden Konfigurationen: Dick Griffin (t), John Eckert (tb) (der von Eastman School), Cecil Payne (bari), John Blair (el-v), Neal Creque (elp, org), Cornell Dupree (g), Gordon Edwards (elb), Don Pate und Stanley Clarke (b), Bernard „Pretty“ Purdie und Airto Moreira (d) und dazu kommen noch ein paar Background-Sänger*innen, Percussion, Larry Coryell auf zwei Stücken (inkl. Hooker-Cover) … bunt bleibt es, zwischendurch klingen Aufnahmen von Miles Davis an („Gypsy Queen“ mit Ellis am Sopran und Airto am Drum-Kit, Creque klingt hier wie Zawinul oder Corea im Studio mit Miles). Auf andere Weise ist das immer noch sehr offen, aber viele Türen sind jetzt auch zu, die grossen Bögen (die für mich zu dem gehören, was ich mir unter „Spiritual Jazz“ vorstelle) sind eher nicht mehr da, dafür tolle, tighte Grooves, die Freiheit ist jetzt quasi innerhalb zu finden, gehört zum ganzen Gewebe, ist nicht mehr ausserhalb, ein eigentlicher Ausbruch ist nicht mehr drin. Dennoch macht das Spass.

1973 folgte noch ein Album für Flying Dutchman, „Full Circle“, von dem es auch ein paar Japan-Reissues gab, aber das hab ich biser verpasst … etwas weniger wechselnde Line-Ups, Jimmy Owens zu Ellis, Creque, Purdie (teils von Herbie Lovelle abgelöst), Morgan, dazu Joe Beck, Lloyd Davis, Richard Davis, Joe Farrell, dazu Streicher … müsste eigentlich auch gut sein! Danach bis 1980 nichts mehr und in den Jahren darauf nur wenig mit langen Pausen (nach 1980 mit Hubbard 1985 mit Sanders und 1990 mit Gary Bartz – kenne ich ausser dem Album mit Sanders beides auch nicht).

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba