Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle – 06.03.2023 – Neue Konzertreihe Zürich

Oliver Schnyder Trio:
Andreas Janke
Violine
Benjamin Nyffenegger Violoncello
Oliver Schnyder Klavier

FELIX MENDELSSOHN: Klaviertrio Nr. 2 c-Moll op. 66 MWV Q 33
FRANZ SCHUBERT: Klaviertrio Nr. 2 Es-Dur D 929

Ein paar Zeilen zu den letzten paar Konzerten, dessen erstes schon fast zwei Wochen zurück liegt: das Jubiläumskonzert zum zehnjährigen Bestehen des Oliver Schnyder Trios in der ausverkauften Tonhalle (es gab sogar wieder mal ein paar zusätzliche Stühle auf der Bühne, kenne ich sonst nur von den Rezitalen von Sokolov, die wohl immer ausverkauft sind).

Kammermusik im Konzert zu hören ist ja leider eher selten bzw. ich müsste mich viel aktiver darum bemühen, anderer Veranstalter Programme, weitere Spielstätten verfolgen – was halt irgendwie nicht auch noch drin liegt bzw. auf Kosten von anderem ginge, was ich hören gehe. Umso mehr geniesse ich es, wenn ich wie hier die Gelegenheit dazu habe. Und wenn das Gebotene auch noch so gut ist: umso besser! Janke ist seit 2013 Professor an der Zürcher Hochschule der Künste und schon seit 2006 Konzertmeister des Tonhalle-Orchesters (einer von dreien, deutlich der jüngste), Benjamin Nyffenegger ist stellvertretender Solo-Cellist im Tonhalle-Orchester und wirkt u.a. auch im Julia Fischer Quartett mit. Schnyder wird im Herbst 50 und dürfte damit um die zehn Jahre älter als die anderen beiden sein. Ich habe schon seit einiger Zeit die Beethoven- und Schubert-Einspielungen des Trios hier und mag beide ziemlich gerne – sind meine „go to“-Einspielungen, wenn es einigermassen aktuell sein soll (bei Schubert neben den HIPstern von La Gaia Scienza, bei Beethoven kann vielleicht das Suk Trio aus den 80ern auch noch als modern gelten).

Mendelssohn kannte ich von diesem Trio bisher also nicht: und das war ein energiegeladener, beinah getriebener Einstieg in den Abend. Brennend, intensiv, zupackend – vielleicht fast ein bisschen zu energiegeladen? Das Zusammenspiel war alles in allem gut, das Klavier drohte hie und da, das Cello zu „verschlucken“, aber die Verve der drei machte das Wett. Und besonders die beiden Streicher, immer wieder im Zwiegespräch, harmonierten wirklich fabelhaft.

Nach der Pause dann Schubert – und da waren alle Probleme aus der Welt: die Energie etwas gebändigt, was eine breitere Palette ermöglichte. Und die klangliche Austarierung war nun ebenfalls nahezu perfekt (lustig, dass ich bei einem Klaviertrio den Gedanken hatte, dass mein Aboplatz in der ersten Reihe vielleicht dafür nicht optimal sei, während ich selbst mit richtig grossen Orchestern – die es in der Neuen Konzertreihe nur sehr selten gibt – gut klarkomme). Jedenfalls war das eine grossartige Aufführung vom zweiten Trio Schuberts, die Cellokantilene kantig gespielt, beide Streicher ohne Scheu davor, auch mal rauh zu klingen, die Materialität des Spiels hervorzuheben.

Als Zugabe folgte dann ein Trio-Arrangement des „Ständchens“, in dem gleich noch einmal Nyffenegger im Zentrum stand – es aber auch ein letztes Zwiegespräch mit Janke zu hören gab. Ein gutes Konzert, das mich (Mendelssohn) nicht restlos überzeugte, das auch gerne in der ersten Hälfte noch ein weiteres, kürzeres, vielleicht halbwegs aktuelles Werk hätte umfassen dürfen.

Basel, Theater – 12.03.2023

Intolleranza 1960
Szenische Handlung in zwei Teilen von Luigi Nono

Musikalische Leitung – Stefan Klingele
Inszenierung – Benedikt von Peter
Choreographie – Carla vom Hoff
Bühne – Katrin Wittig
Kostüme – Geraldine Arnold
Video – Bert Zander
Lichtdesign – Susanne Reinhardt
Sounddesign – Tamer Fahri Özgönenc
Chorleitung – Michael Clark
Dramaturgie – Meret Kündig

Ein Flüchtling – Peter Tantsits
Seine Gefährtin – Inna Fedorii
Eine Frau – Jasmin Etezadzadeh
Ein Algerier – Kyu Choi
Ein Gefolterter – Artyom Wasnetsov
Eine Stimme – Haewon Jeong
Chor des Theater Basel
Sinfonieorchester Basel
Statisterie Theater Basel

Vom Sinfonieorchester Basel hatte ich es neulich – weil es der Nachfolger des letzten Radioorchesters der Deutschschweiz ist (in der Romandie arbeitet das OSR schon lange mit dem Radio zusammen, wurde aber von Ernest Ansermet gegründet, nicht als Rundfunkorchester; im Tessin gibt es immer noch das Orchestra della Svizzera Italiana, das 1933 vom italienischen Radio der Schweiz gegründet wurde – seit 1991 als OSI unterwegs, Konzerte im einstigen Hauptspielort beim Radio gibt es jeweils im Winter noch, aber ich nehme an, das ist wie das OSR auch längst entkoppelt, kriegt allenfalls noch etwas Geld, aber sicherlich nicht in tragendem Umfang).

In Basel, bei der Aufführung von Nonos „Intolleranza 1960“, glänzte das mehr oder minder unsichtbar bleibende Sinfonieorchester unter der Leitung von Stefan Klingele. Die Inszenierung Benedikt von Peters (der vor ein paar Jahren vom Theater Luzern ans Theater Basel wechselte) basierte auf einer Aufführung im Staatstheater Hannover 2010. So unvergesslich wie Peters Inszenierung von Nonos „Prometeo“ in Luzern (für das Stück wurde im Herbst 2016 das Theater Luzern vorübergehend umgebaut – das war total irre, leider habe ich dazu nichts geschrieben, aber hier gibt es eine Rezension vom damals schon ehemaligen Klassik-Kritiker der NZZ, die einen guten Eindruck vermittelt).

Einlass war exakt um die Zeit, die auf den Tickets als Beginn angegeben war: bei zwei Eingängen wurde das Publikum in den Hauptteil des ansteigenden, breiten Publikumsraums gelotst, die wohl 200 Leute (?) sollen sich in den ersten paar Reihen der mit weissen Tüchern zugedeckten Stuhlreihen stellen. Aus der Ferne erklang der Chor. Dann wurden die Leute auf den quadratischen Bühnenraum gelotst, auf dem Stühle standen, Decken, Kissen herumlagen – und auch Mitglieder des Ensembles und des Chors. Eine Quadratische Fläche, auf der am Boden eingezeichnet freizulassende Bereiche markiert waren. Eng wurde es – viel zu eng eigentlich, für eine pandemische Welt, aber so ist das nun eben, und entgehen lassen wollte ich mir das Stück auf keinen Fall. Das Sinfonieorchester sass in der Unterbühne, und von der hinteren Hälfte der Bühne konnte man durch einen Gitterboden ein paar Blicke aufs Orchester erhaschen (ich sass am Boden und hatte einen guten Blick ins Cello-Register).

Georg Rudiger in der NMZ:

In der Oper geht es laut Komponist um die „Intoleranz und das Wachsen des Bewusstseins und des Widerstands gegen sie“. Die einzelnen Szenen nehmen Bezug auf reale Ereignisse – das Grubenunglück im belgischen Marcinelles aus dem Jahr 1956, die Friedensdemonstrationen, den Algerienkrieg, die Überschwemmungen in der Po-Ebene. Peter Tsantis ist der Emigrante, der nach der Katastrophe sein Bergwerk verlässt und in sein Heimatland zurückgeht. Seine Frau – Jasmin Etezadzadeh spielt und singt die Partie mit beängstigender Intensität – verflucht ihn dafür. Auf dem Weg nach Hause gelangt der Flüchtling mitten in eine erregte Menschenmenge, die „Nie wieder Krieg“ und „Down with discrimination“ skandiert. Der auf der ganzen Bühne verteilte Chor des Basler Theaters (Leitung: Michael Clark) trägt und führt den Abend gemeinsam mit den Statisten. In den Pausen zwischen den Szenen werden die Stehleitern verschoben und Stühle umgeräumt. Man wird berührt, geleitet und platziert. Der expressive Chorgesang, der beim Chor der Gefolterten auch zum erschütternden Schrei werden kann, verwandelt Nonos komplexe Musik in verdichtete Emotion. Es lässt einen nicht kalt, wenn direkt vor den Füßen Artyom Wasnetsov als blutverschmierter Gefolterter liegt und sich mit seinem mächtigen Bass vom Leben verabschiedet oder wenn Kyu Choi (Ein Algerier) mit durchdringender Tenorstimme in unmittelbarer Nähe Ungerechtigkeiten anklagt. Es entsteht Empathie mit den Figuren. Musiktheater als gemeinschaftsstiftende Erfahrung.

https://www.nmz.de/online/zeuge-von-ungerechtigkeit-und-gewalt-luigi-nonos-intolleranza-1960-am-theater-basel

Die Enge, die unmittelbare Nähe, erzeugte in der Tat einen starken Effekt. In einer Passage, in der die Mitglieder des Chores verstreut im Publikum in verschiedenen Sprachen einen Satz aufsagten (ein Zitat, von wem weiss ich nicht, da ist ja von Majakowskji, Sartre, Éluard oder Brecht, um nur ein paar zu nennen, einiges drin) bückte sich eine Sängerin des Chors vor mir nieder und blickte mir direkt in die Augen. In der Mitte wurden Decken und mehr Kissen verteilt, die meisten Leute legten sich hin (in meiner Ecke war es dafür zu eng), am Ende wurde das Publikum vom Chor nach vorn gedrängt, mit einem dicken Seil wurde sichergestellt, dass niemand ausscherte, dann wurden die Leute an den Schultern gedreht, Blick gegen die Hinterwand der Bühne, wo sich ein Wasserfall ergoss – die Flut, die am Ende der Oper über der Welt niedergeht, alles fortreisst. Dann wurde das Publikum hinausgelotst, setzte sich in die nun nicht mehr bedeckten ersten paar Reihen – während die Bühne schloss (der eiserne Vorhang, meint Rudiger?) und auf die Wand Brechts „An die Nachgeborenen“ projiziert wurde, das dann aus dem Off vorgelesen wurde:

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

Das funktionierte am Ende hervorragend. Die anfangs für mich nahezu klaustrophobische Situation auf der Bühne auszuhalten war der Preis, der dafür entrichtet werden musste. Phasenweise war mir das aber gar zu plakativ – wenn im gutbürgerlichen Stadttheater revolutionäre Phrasen (auch hole, von längst entzauberten Vorbildern) gerufen werden, kommt das Konzept halt an seine Grenzen.

Auch blieb die Musik, das Werk oft undurchdringlich – darauf war ich allerdings eingestimmt. Ich vernahm Fetzen, Fragmente, doch erlebte eben auch, wie diese zusammenfanden, wie die Solist*innen (die manchmal auf Leitern standen, die sie zuklappten, über den Köpfen der am Boden sitzenden und liegenden Zuschauer*innen herumtrugen und anderswo wieder aufstellten, hie und da kam auch ein Mikrophon zum Einsatz) über den Köpfen der Menschen miteinander kommunizierten, wie der Chor aus allen Ecken flüsterte, sprach, zischte und sang. Und darunter das Orchester, oft akzentuiert, ja scharf, das das Geschehen präzise vorantreibt (es gab ein paar Bildschirme, damit die Sänger*innen den Dirigenten sehen konnten – die gibt’s in der Oper ja eh immer, einfach sieht man die sonst höchstens, wenn man seitlich weit vorn sitzt).

Ein eindrückliches Erlebnis war das, gar keine Frage – aber kein verzauberndes, das Gehör und das Gehirn völlig neu justierendes wie das Flüstertheater des „Prometeo“. Aber mehr in die Richtung als Al gran sole carico d’amore, das ich im Herbst 2019 (Inszenierung von Sebastian Baumgarten – ich glaub ab 2020/21 kam dann Peter nach Basel, der Nono war jedenfalls noch, bevor er Intendant wurde). Jedenfalls ein grosses Glück, alle drei dieser schwer fassbaren Werke einmal live gehört haben zu dürfen.

Zürich, Opernhaus – 18.03.2023

Siegfried
Zweiter Tag des Bühnenfestspiels «Der Ring des Nibelungen» von Richard Wagner (1813-1883), Libretto vom Komponisten

Musikalische Leitung Gianandrea Noseda
Inszenierung Andreas Homoki
Ausstattung Christian Schmidt
Künstlerische Mitarbeit Bühnenbild Florian Schaaf
Lichtgestaltung Franck Evin
Video Tieni Burkhalter
Dramaturgie Werner Hintze, Beate Breidenbach

Siegfried Klaus Florian Vogt
Mime Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Der Wanderer Tomasz Konieczny
Alberich Christopher Purves
Fafner David Leigh
Erda Anna Danik
Brünnhilde Camilla Nylund
Das Waldvöglein Rebeca Olvera

Philharmonia Zürich

Gestern dann der dritte Teil des neuen Zürcher „Rings“ – und das war musikalisch erstklassig, funktionierte auch von der Inszenierung her ziemlich gut. Nichtsdestotrotz haute die Wagner-Ambivalenz wieder voll rein. Aber von Vorn: die Bühne ist inzwischen bekannt: eine Drehbühne mit vier Räumen, bei denen manchmal eine Zwischenwand ausgebaut wird, um einen „doppelten Raum zu gestalten. Die Räumlichkeiten: das Innere Walhall. In „Rheingold“ und „Die Walküre“ noch strahlend weiss, in „Siegfried“ – Wotan wandert grimmig durch die Welt, die nicht mehr die seine ist – sind sie schwarz von Russ, der Glanz längst verschwunden. Mime, der als Schmid am Versuch scheitert, das Schwert von Siegmund wieder herzurichten, hat sich mit seinem Pflegesohn Siegfried darin eingenistet. Das Regiekonzept funktioniert wieder so tadellos wie im „Rheingold“ (in der „Walküre“ wirkte manches etwas weniger schlüssig) und am Ende – wenn Wagners unsägliches Bekenntnis zur Reinheit, die die Körperlichkeit halt ausschliesst, endlich vorbei ist … musikalisch faszinierend, als Theater vollkommen deppert – hüpft der naive „Held“ mit der Frau, die ihn doch noch das Fürchten gelehrt hat, ins Bett: das Bett, auf dem im „Rheingold“ die Rheinmädchen herumhüpften, als noch alles möglich schien, auch eine Wende ins Gute.

Im Scherzo der Tetralogie, der Komödie „Siegfried“, ist zwar vieles humoristisch (und die üble Judenkarikatur des Mime kann man sich so ganz gäbig, wie wir sagen, aus dem Gedächtnis reden – Ablinger-Sperrhacke fand ich in der Rolle allerdings hervorragend). Tomasz Konieczny gab dem Wotan auch als rastloser Wanderer (die deutsche Eiche auf Beinen ist notabene nicht zu verwechseln mit der Figur des Ahasver) ordentlich Würde – ob er die verdient oder nicht, wäre eine andere Frage. Der tumbe Titelheld wirkt die meiste Zeit wie ferngesteuert, hat aber ein paar glückliche Einfälle (vor allem den, wie er das blöde Schwert wieder hinkriegt, mit dem er dann zuerst den Wurm/Drachen/Fafner tötet und danach den ersten Fernbedienungshalter, Mime) und torkelt irgendwie durch die Welt. Danach übernimmt Das Waldvöglein – vom Ensemblemitglied Rebeca Olvera leicht gesungen und gespielt – die Steuerung, um den tumben Tor die Erotik entdecken zu lassen, die dann schnell in ein rohes körperliches Begehren kippt.

Der eigentliche Star sass auch dieses Mal im vollbesetzten Graben: die Philharmonia Zürich, die unter Gianandrea Noseda zwar gewaltige Klangwellen erzeugen kann – manchmal dabei die Sänger auch etwas zudeckt (die Sängerinnen nicht, aber die sind ja eh sehr viel weniger präsent). Die meiste Zeit ist der Klang des Orchesters schlank, durchhörbar transparent, und dabei von enormem Farbenreichtum, im Pianissimo wie auch dann, wenn der Saal an seine Grenzen kommt (irgendwo las ich, die Zürcher Oper sei für Wagner eigentlich eh zu klein?) bzw. bis an die Grenzen ausgelotet wird. Nachdem ich coronabedingt bei der „Walküre“ einen raren Restplatz im Parkett ergattern musste, sass ich für „Siegfried“ wieder ganz oben im zweiten Rang, wo der Klang viel besser in seiner Gesamtheit zu erfahren ist.

Im Magazin des Opernhaus (aktuelle Ausgabe Nr. 99) gibt es auch ein Interview mit Jens Malte Fischer zu Wagners Antisemitismus – das ich in der zweiten, überlangen Pause (30 Minuten nach dem ersten, 40 nach dem zweiten Akt) gelesen habe (das Heft ist online hier nachlesbar; die Interviews mit Homoki und Noseda haben’s ins Programmheft geschafft – wie üblich – , nicht aber das mit Fischer, dort ist allerdings zum Thema ein Aufsatz von Hans-Rudolf Vaget zu finden, den ich noch lesen muss). Das ist schon ziemlich erhellend und gehört halt einfach mit dazu, wenn man sich mit Wagner beschäftigt – die Augen verschliessen oder weggucken ist sicher nicht die bessere Strategie. Im Mime ist davon so viel gelandet, dass das auch heute noch recht deutlich wird, etwa wenn Siegfried über ihn, zu ihm sagt: „Seh‘ ich dir erst mit den Augen zu, zu übel erkenn‘ ich, was alles du tust: Seh‘ ich dich stehn, gangeln und gehn, knicken und nicken, mit den Augen zwicken, beim Genick möcht‘ ich den Nicker packen, den Garaus geben dem garst’gen Zwicker!“

Aber wie gesagt: gesungen war der Mime sehr gut. Alles in den Schatten stellte allerdings der Siegfried von Klaus-Florian Vogt. Ein besseres Rollendebüt ist schwer vorstellbar. Leicht und wendig wirkt er, nur die ersten paar Minuten noch nicht warm genug, um sich gegen das Orchester und Mime zu behaupten. Doch nach ein paar Minuten glänzt Vogt, singt den Part auch in der Höhe und über die ganzen viereinhalb Stunden (reine Spielzeit) mit einer beeindruckenden Leichtigkeit. Camilla Nylund singt die Brünnhilde ja ebenfalls zum ersten Mal, aber sie war in der „Walküre“ bereits zu hören und wusste zu überzeugen. Olvera war das einzige weitere Rollendebüt im „Siegfried“, und sie ebenso wie die weiteren kleineren Rollen – Alberich, Fafner, Erda – passten sehr gut ins Ganze.

In meiner Wagner-Achterbahnfahrt bin ich aber nach dem dritten Akt von „Siegfried“ wieder mal ziemlich weit draussen, höre das ungute Murmeln, das Manipulative des Theaterkönners. Teil 4 folgt im Herbst – und ich gehe natürlich wieder hin (das neue Saisonprogramm wurde gerade veröffentlicht, aber ich fand gestern nach der Aufführung kein Exemplar mehr zum mitnehmen und ich blicke das immer gerne erstmal auf Papier durch). Für Mai 2024 sind auch zwei Gesamtaufführungen des Zyklus geplant (jeweils mit einem Tag Pause dazwischen), aber da werde ich definitiv passen.

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