Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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gypsy-tail-wind
Zürich, Tonhalle – 03.03.2023

Tonhalle-Orchester Zürich
Kent Nagano
, Leitung
Andreas Berger, Benjamin Forster, Christian Hartmann, Klaus Schwärzler Perkussion

JOHANN SEBASTIAN BACH: Aus «Die Kunst der Fuge» BWV 1080 (Bearbeitung für Orchester von Ichiro Nodaira)
TOSHIO HOSOKAWA: Intermezzo für vier Perkussionisten aus der Oper «Stilles Meer»
ANTON BRUCKNER: Sinfonie Nr. 9 d-Moll

Christian Wildhagen dazu in der gestrigen NZZ (eine Doppel-Rezension mit einem Konzert unter Omer Meir Wellber, der in Hamurg 2025 Nagano ablösen soll, wenn ich das richtig verstanden habe – „hier“ Wellber, „dort“ Nagano):

… dort der dreissig Jahre ältere, vollkommen in sich ruhende und doch auf magische Weise präsente Nagano. Das ist ein Gegensatz der Generationen, der Persönlichkeiten und der Musizierhaltungen, wie man ihn selten so ausgeprägt erlebt – und auch hört. Während bei Wellber immer ein Wollen und Drängen spürbar wird, mit dem er seine gestalterischen Vorstellungen dem Orchester nahebringt, scheint Nagano die Musik von einer höhere Warte aus zu lenken und sich frei, ohne jeden Druck, entwickeln zu lassen.

Das bekommt vor allem Anton Bruckners 9. Sinfonie sehr gut, die im zweiten Teil des Zürcher Konzerts erklingt. Nagano weiss um die riesigen Steigerungswellen und Bögen in diesem rund einstündigen Torso; er gestaltet sie mit überlegener Weitsicht, exemplarisch etwa die Kulmination des Kopfsatzes, die hier eine geradezu apokalyptische Wirkung entfaltet. Bezeichnenderweise bleibt der Gesamtklang aber immer gerundet – er „sticht“ nicht, wie manchmal bei Zürich Musikdirektor Paavo Järvi, der in seinem parallel entstehenden Bruckner-Zyklus ein ums andere Mal die akustischen Grenzen der Tonhalle auslotet.

Womöglich hängt das mit Naganos organisch fliessender Schlagtechnik zusammen. Sie zwingt die Musiker, sich subtil abzustimmen und einander genau zuzuhören. Es kommt dabei durchaus zu unscharfen Einsätzen, aber sie wirken hier nicht als Fehler; vielmehr unterstreichen sie, dass die Wiedergabe von Musik ein atmender, aus dem Moment wachsender Prozess ist, nicht bloss die akkurate Umsetzung des Notentextes.

Mit den Bach-Arrangements und ihrer Aufführung ist Wildhagen nicht zufrieden („Die Wiedergabe wirkt schulbuchmässig, an mehreren Stellen sogar unsicher und vor allem stilistisch wie aus der Zeit gefallen“), dafür war er vom Hosokawa-Intermezzo beeindruckt, mit dem „die vier Schlagzeuger des Tonhalle-Orchester den düster-fatalistischen Ton“ setzten, „der dann die gesamte Wiedergabe der Bruckner-Sinfonie prägt.“

Passt, alles in allem – ich hatte meine Erwartungen an diese Bach-Arrangements schon im Vorfeld nahe Null eingependelt, nachdem ich im Programmheft die Angaben zu den Besetzungen gelesen hatte – und fand dann durchaus Gefallen daran, eben gerade auch im Gesamtprogramm mit Hosokawa und mit Bruckner.

Über Wellbers Konzert steht gar nicht mehr (ich weiss nicht mal, was da gespielt wurde – entweder ist die Rezension diesbezüglich etwas verunglückt oder Wildhagen fand das Ergebnis katastrophal – was ich nicht denke angesichts der vorhandenen Worte – oder da war einfach zuwenig Platz in der einen Spalte, die solche Rezensionen meist nur noch kriegen). Eine kurze Google-Suche bringt ein Konzert von Anfang/Mitte Januar zutage, das Wildhagen aber damals schon besprochen hatte (klingt ganz gut, besonders auch, weil die für die zweite Hälfte vorgesehene Aufführung von Prokofjews Newski-Kantate durch ein interessantes Programm abgelöst wurde, das sich nicht der Heldenverklärung andiente – es gab stattdessen den Trauermarsch aus der „Eroica“, das Monodram «Der ewige Fremde» von Ella Milch-Sheriff und Leonore III – und weil der Solist im 3. Klavieronzert von Prokofjew in der ersten Hälfte zu brillieren schien: Daniel Ciobanu – den ich leider bisher gar nicht kenne). Der Bezug auf Wellber in der Nagano-Rezension ist wohl nur mit der geplanten Ablösung in Hamburg in den Text gerutscht. Bisschen seltsam.

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