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Krass finde ich ja, dass 1953 so eine Amateurband in die Carnegie Hall darf … aber daneben munter das „colourblind“ Narrativ verbreiten. Kein konkreter Vorwurf an irgendwen hier, aber dass Barbara Lea in den 80ern und 90ern regelmässig mit Richard Sudhalter (Dick Sudhalter*) gearbeitet hat und dieser einer der unangenehmsten Vertreter der „white resentment“-Linie war, passt halt dann schon super ins Bild.
Terry Teachout und – nicht so überraschend, oder? – Gene Lees sind bzw. waren andere Vertreter dieser Argumentationslinie, die in den 90ern und 00ern ein Revival erlebte (nachdem sie schon in den Fünfzigern populär war) und kurz gesagt z.B. dem Programm von Jazz at Lincoln Center/Wynton Marsalis vorwirft, den Beitrag der afro-amerikanischen Künstler in der Jazzgeschichte überzubetonen, auf eine Weise, die nur durch „black nationalist thinking and political correctness“ erklärbar sei (so referiert Ingrid Monson in „Freedom Sounds“ den Standpunkt von Teachout, S. 16). Sudhalter ging noch weiter und behauptete, dass die Betonung der afro-amerikanischen Wurzeln des Jazz mit einem „black creationist canon“ gleichzusetzen sei (bei Monson als Zitat), der wiederum dazu diene, zu verbergen, dass „black and white once worked side by side, often defying the racial and social norms of their time to create a music whose graces reflected the combined effort“ (Sudhalter, Lost Chords, S. xviii-xix, zit. nach Monson, S. 16). Das ist natürlich das klassische „liberal“ Argumentarium, das in jüngster Zeit durch die BLM-Proteste wieder einmal ad absurdum geführt wurde. Es gibt dann auch noch die Schiene, die behauptet, die Bruchlinien hätten nicht mit „race“ sondern mit „class“ zu tun … aber auch da bin ich bisher nicht überzeugt. Monson will ich wie gesagt drüben bei Abbey Lincoln ausgiebig referieren, ich finde ihre Argumentation sehr spannend, v.a. aber hat sie wahnsinnig viel recherchiert (das Buch war jahrelang in Arbeit, bevor es 2007 herauskam), da steht z.B. viel drin zur Zusammenlegung der rassengetrennten Gewerkschaften, sie wird auch ab und zu ganz konkret, nennt die Beträge, die Musiker für eine Session kriegten („union scale“) usw. – dazu habe ich bisher nur sehr verstreut da und dort was gelesen (Monson wohl auch, sie bemüht nebst vielen eigenen Interviews auch viele andere Bücher über Jazz, z.B. auch den „Central Avenue Jazz“-Band). Monson differenziert auch sehr, referiert die Debatten unter weissen (z.B. schloss Hentoff sich ja stark afro-amerikanischen Sichtweise an, während Leonard Feather mit Roy Eldridge einen fiesen Blindfoldtest durchführte, in dem er ihm von diversen Leuten atypische Stücke vorspielte und dann das Zitat aus Eldridge herauskitzelt, das sie Überschrift „Little Jazz Goes Colorblind“ rechtfertigte … Norman Granz kommt da natürlich auch vor, und steht irgendwie, wie ich es verstehe, zwischendrin, weil er eben nicht „integrated bandstands“ förderte sondern sich weigerte, Konzerte an Orten zu veranstalten, wo das Publikum segregiert war – alles total spannend, aber manchmal auch ziemlich desillusionerend).
Das ist jetzt doch eine recht lange Klammer geworden – aber wie gesagt: ich finde, das ganze Thema passt perfekt in den Lincoln-Faden und möchte das dort noch sehr viel ausführlicher aufgreifen.
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*) Für die unmögliche Suche in drei Monaten – ich hab vorhin wieder ewig in Hörfäden geblättert, weil die forumseigene Suche nicht funktioniert und die Indexierung via Google noch nicht im Dezember 2022 angekommen ist
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