Antwort auf: Ich höre gerade … Blues!

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zoji

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Cortelia Clark: Blues In The Street

Sicherlich eines der Alben mit der skurrilsten, verrücktesten, lustigsten und traurigsten Geschichte, die ich habe.

Clark, geboren 1906 oder 1907, war ein – wieder einmal – blinder und verarmter Street Singer in Nashville. 1965 wurde man bei RCA auf ihn aufmerksam. Es wurden wohl bis heute unveröffentlichte Studioaufnahmen gemacht, dieses, sein einziges Album, wurde allerdings, zunächst unbearbeitet, direkt an seinem Arbeitsplatz an einer Straßenecke mitgeschnitten. Der kluge Geschäftsmann setzt vermutlich nicht nur auf eine Karte, weshalb man ihn zwischen den Songs immer mal wieder „Shopping bags! Shopping bags! Take ´em off!“ rufen hört, weil er die, wie auf dem Cover zu sehen, nebenbei verkaufte. Selbstverständlich wurden in dieser Situation auch Verkehrsgeräusche mitgeschnitten und man denkt sich so „Potzwetter, ganz schön authentisch“. Da kommt der lustige Teil, RCA reichte das nämlich nicht, und so steuerten die Macher auf dem firmeneigenen Parkplatz noch eigenhändig ein bisschen Gehupe und Reifenquietschen bei, welches anschließend den Aufnahmen hinzu gemixt wurde. Für  mich eine unfassbar grandios bekloppte Idee. Und um auch sicher zu gehen, dass jeder sofort kapierte, dass Clark blind war, drückte man ihm für die Cover-Aufnahme noch eine schwarze Sonnenbrille auf die Nase, die er in der Realität nie trug. Das ganze erschien dann 1966 in einer Auflage von, je nach Quelle, ein paar hundert oder genau tausend Scheiben, großes Interesse war ja nicht zu erwarten. Dann geschah das verrückte, man wurde bei den Grammys nicht nur auf ihn aufmerksam, er gewann 1967 auch noch in der Kategorie „Best Ethnic Or Traditional Folk Recording“. Um das ein bisschen einzuordnen: Laut wiki ließ er immerhin Pete Seeger und den lange verstorbenen und ungleich berühmteren Lead Belly hinter sich, im Vorjahr waren Harry Belafonte und Miriam Makeba Preisträger und in den Folgejahren avancierte Muddy Waters zum Dauergewinner. Als jemand, der sich nie mit Preisen und deren Auswirkung auf die Karriere von Künstlern beschäftigt hat, hätte ich jetzt naiv gedacht „wow, ein Grammy, das wird seiner Karriere ja wohl wenigstens einen kleinen Schub gegeben haben“. War aber nicht so, und das ist natürlich der traurige Teil, für Clark ging es genau so weiter wie zuvor, mit Straßenmusik, Einkaufstaschen und welfare checks. Gerade zwei Jahre später verstarb er auf Grund von Verbrennungen durch die Explosion irgendeines Gerätes in seiner Wohnung weitgehend vergessen. Seine Beisetzung soll jedenfalls schwach besucht gewesen sein.

Die 60er waren für mich noch einmal gespickt mit großartigen Folk- und Country-Blues und weder hinsichtlich der Performance noch seines Programms würde ich Clark da zu meinen Favoriten zählen. Stilistisch klebt er eh nicht sklavisch am Blues, sondern gibt auch gerne mal eine Pop-Nummer wie Bye Bye Love zum besten. Wahrscheinlich gab es 1965 bereits Möglichkeiten für technisch bessere Aufnahmen auch unter improvisierten Umständen. Aber schon wegen der außergewöhnlichen Geschichte dieses Albums höre ich ihn immer wieder gern und möchte hier einmal an ihn erinnern.

Und ohne poverty porn betreiben zu wollen hier noch ein paar Eindrücke aus seinem Leben.

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Und lieg´ich dereinst auf der Bahre, dann denkt an meine Guitahre, und gebt sie mir mit in mein Grab (Der rührselige Cowboy, D. Duck)