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Irgendjemand hatte um einen „Fanboy-Report“ gebeten. Hier ist er:
Stones in the Park – Teil 3: Hyde Park, 13. Juli 2013
Zugegeben: Wer gerne viele Konzerte besucht, kann sich nach Jahren nicht immer an jedes einzelne dieser Konzerte erinnern. Ab und zu öffnet man den Karton mit den in den letzten Jahrzehnten gesammelten Tickets und stellt erstaunt fest, was und wen man schon alles gesehen hat. Dann fallen einem manchmal auch die Geschichten zu den abgerissenen Karten wieder ein – oder auch nicht.
Und dann sind da noch diese besonderen Momente, die einem für immer und ewig im Gedächtnis bleiben. Sonny Rollins, wie er in der Philharmonie in Köln am Bühnenrand herumwatschelt und Melodien von einer Schönheit spielt, die einem die Tränen in die Augen treibt. Ein Clubkonzert einer unbekannten Band, die sich bei einem unbekannten Song derart in Trance spielt, dass man ganz ohne Drogen völlig high wird. Ein ganzes Stadion voller singender Menschen in Mailand. Drei sehr, sehr alte Jazzer in Paris auf dem Boulevard St. Michel in einer warmen Sommernacht, die in einem Höllentempo eine halbe Stunde lang „Sweet Georgia Brown“ spielen, bis Bürgersteig und Straße voll von tanzenden Menschen sind.
Und dieses Stones-Konzert gestern Abend im Hyde Park, dass mehrere dieser ganz besonderen Momente hatte.
Aber der Reihe nach:
Die Hitze in der Stadt (es sind über dreißig Grad) und die mit unserem zunehmendem Alter doch einsetzende Vernunft lassen uns nach der morgendlichen Ankunft mit dem Flieger aus Dortmund anders als geplant erst gegen 18 Uhr zum Hyde Park ziehen, nach einigen kühlen Bieren im kühlen Hotel in der Nähe des BBC-Gebäudes. Die Oxford-Street entlang geht es Richtung Park, auf der Straße viel Gewusel, aber kaum Stones-Fans (die sind wohl schon alle auf dem Gelände). In einigen Schaufenstern gibt es Spurenelemente, wie die Satanic-Majesties-Vinylplatte mit Wackelcover bei Selfridges.
Das Konzertgelände liegt in der prallen Sonne, auf der Wiese vor dem Einlass zu Tier 3 verbringen Tausende einen schönen Sommernachmittag mit Picknick. Einige Wahnsinnige werfen sich American Football-Eier zu. Andere liegen in Strandstühlen, die man für 7 Pfund am Tag mieten kann. Schöne Stimmung.
Am Einlass keine Wartezeit, klar, wir sind spät dran. „You’re late, mate“ findet auch der Einlasser.
Auf dem Gelände: Kirmes. Zwei Karussels, Softeis-Stände, Bierzeltgarnituren, viel Frittiertes, einschließlich einiger knallroter BesucherInnen, die anscheinend pünktlicher da waren als wir.
Auf Keiths Seite sind die teuren Stehplätze, wir gehen Richtung Ronnies Seite zur Bühne. Ganz vorne links neben der Bühne sind Toiletten, so dass in dem Bereich immer etwas Bewegung ist und wir ohne Probleme bis nach vorne durchkommen. Wir gehen dann Richtung Bühnenmitte, es ist genug Platz, wir drängeln nicht sondern können uns ganz entspannt einen Platz suchen in Höhe des linken Bühnenausläufers etwa 10 Meter in der Menge.
Als Jake Bugg die Bühne betritt freuen wir uns, wie gut der Platz ist: Wir können alle Musiker sehen und vor allem gut hören, der Sound ist fantastisch – und Jake Bugg und Band sind es auch. Der Junge ist erst 19 und komponiert Songs und spielt Gitarre, dass es eine Freude ist. Auch das Publikum geht gut mit. Einziges Manko: Die Songs fangen gut an, bleiben gut – aber die Schlüsse sind es nicht, die Nummern sind irgendwann einfach zu Ende. Was soll’s, selten hat eine Vorgruppe mehr Spaß gemacht.
Es ist sauheiß, zum Glück haben wir uns Wasser mitgebracht. Nach Jake Bugg wird es natürlich enger vor der Bühne, Getränkestände sind unerreichbar geworden.
Während die Roadies umbauen, läuft zunächst eine groovige Jazznummer (Lee Morgan? Donald Byrd?), dann „Cocaine“, danach „Purple Haze“ und ein vierter Song, den ich vergessen habe. Durften sich Charlie, Ronnie, Keith und Mick jeder einen Track für die Umbaupause wünschen?
Dann der Einspielfilm mit den Aufnahmen vom Hyde Park 1969. Wir haben Puls.
„Ladies and Gentleman, would you please welcome back to Hyde Park: The Rolling Stones!“ Hey, da fehlt verdammt noch mal „The greatest Rock’n Roll band in the World“!
Letzte Woche hat Richards ja das Intro zu Start Me Up ordentlich versemmelt und diese Woche: tut er es wieder! „He did it again!“ ruft der Engländer hinter uns. Egal, nach ein paar Sekunden läuft die Sache. Wie schrieb jemand andernorts: „If Keith plays the song that way, that’s the way the song goes“.
Das Intro von „It’s only Rock’n Roll“ geht gut und es folgt die beste Version, ich ich je hören durfte.
Alle aus der Band haben ein breites Grinsen im Gesicht. Mick Jagger begrüßt danach das Publikum, mitten im Satz fällt Keith ihm mit dem Intro zu Tumbling Dice ins Wort und die Band, etwas überrascht, rumpelt so rein. Keith und die Intros, das scheint heute interessant zu werden!
„Emotional Rescue“ wird unerwartet gut angenommen und passt wunderbar in die lockere Atmosphäre des Tages. Das Publikum beginnt noch vor Jagger mit dem Falsettgesang. Es ist ein Traum und der erste dieser wirklich besonderen Momente. Geniale Version, zu der jeder auf der Bühne eine Menge beiträgt und bei der alle, wirklich alle sichtlich Spaß haben. Daryll Jones, Charlie, Bobby Keys – alle spielen einfach geiles Zeugs und Jagger hat das Publikum im Griff.
Überhaupt Jagger. Habe ihn noch nie so locker und so viel lachend erlebt wie gestern. Vergleiche mit der eigenen Fitness beschämen. Wenn ich die beste Performance eines Frontmanns benennen sollte, die ich je erlebt habe, dann war es gestern Jagger im Hyde Park.
„Street Fighting Man“ folgt. That’s my Keith! Schöne laute Gitarre, das Dingen rockt und groovt und swingt und wir im Publikum auch. Von wegen „sleepy London town“.
Dann „Ruby Tuesday“. Erinnerungen an unsere ersten Stones-Konzerte 1990/1991. Wer auch immer die Setlist für gestern geschrieben hat, Chapeau! Da passt alles, sowohl vom Spannungsbogen als auch von der Songauswahl.
„Doom & Gloom“ funktioniert auch prima, bei „Paint It Black“ verhaut Keith dann wieder das Intro, dafür ist Ronnie, wie den ganzen Abend über, zur Stelle und hat die Sache vollkommen im Griff. Bei einigen Konzerten, die wir erlebt haben, war er ein Totalausfall, aber auf dieser Tour ist er eindeutig derjenige, der die Gitarrenabteilung zusammenhält. Ich verneige mich.
Bandvorstellung: alle werden bejubelt, Charlie kommt sogar nach vorne zum Mikro und sagt „Hi“ (oder so). Jagger will schon von der Bühne gehen, da fällt ihm ein, dass er noch Keith ankündigen muss, was er mit einem breiten Grinsen auch tut. Anscheinend sind die paar Verspieler kein Problem. Überhaupt herrscht auf der Bühne eine ziemlich lockere, gelöste Stimmung.
„You got the silver“ und „Happy“ sind klasse, auch hier ist vor allem Ronnie wieder top.
„Miss You“ hat nicht nur zwei Bass-Soli bekommen, sondern auch ein paar Änderungen im Arrangement erfahren, einige Stops sorgen für Spannung.
Mick Taylor wird angekündigt. Die Italiener neben uns, bislang sehr textsicher und von uns als fachkundig eingeschätzt, schauen sich fragend an: „Mick Taylor?“. Schulterzucken. Wir müssen aufklären. Seltsam. Vielleicht sollte Jagger da auch ein, zwei Worte mehr sagen….
„Midnight Rambler“ wird episch. Die spannungsgeladensten, aufregendsten zehn, zwölf Minuten, die ich bei den Stones je erleben durfte. Jagger mit der Mundharmonika, wie er Taylor antreibt und sie irgendwann Stirn an Stirn spielen, und das eine ganze Weile. Der Mittelteil, in dem man eine Stecknadel hätte fallen hören können, so still und konzentriert war auch das Publikum. Ronnie, wie er ganz am Ende des schnellen Teils noch ein Solo drauflegt. Diesen einen Song von gestern werde ich niemals vergessen. Am Ende war ich so sprachlos, dass ich fast vergessen habe, zu klatschen oder gar zu jubeln. Wäre das Konzert damit beendet gewesen, es hätte mich nicht gestört.
„Gimme Shelter“ (Keith verhaut das Intro) und „Jumping Jack Flash“(Intro klappt) nehme ich kaum war, so lange wirkt der „Rambler“ nach. „Sympathy for the Devil“ ist hauptsächlich vom Klavier getragen und gefällt mir nicht so, zumal auch Keith mehr Posen macht als Gitarre spielt, vor allem beim zweiten Solo auf unserer Seite der Bühne. Aber was solls, „Brown Sugar“ ist wieder richtig gut von allen, der Park rockt.
„You can’t always get“ ist sehr schön mit dem Chor und Ronnies Solo und dem Gesang des Publikums.
Wir wissen, dass danach der letzte Song folgen wird. Und wir wissen, dass es „Satisfaction“ ist. Vielleicht ist das der letzte Song, den wir von den Stones live sehen werden. Der Gedanke ist kurz da, verfliegt aber schon beim Intro und der einsetzenden Party. Die Version ist wie so viele an diesem Abend sehr, sehr gut und entlässt das Publikum in einem Hochgefühl. Das Riff wird noch gesungen, nachdem die Band sich ein letztes Mal verbeugt hat und als letzte Charlie und Keith Arm in Arm die Bühne verlassen.
„Thank you for all your support over the past 50 years. Safe travel & good night“ wird auf der Bühne eingeblendet.
Es gibt keinen Grund, warum die Band aufhören sollte, aber wenn das gestern das letzte Konzert gewesen sein sollte, war es ein grandioser Abschluss.
Es war unvergesslich.
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Ich bin eine Turniermannschaft![/FONT][/I]