Antwort auf: jazz in den 1990ern

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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Mit Paul Motian möchte ich auch noch kurz dieses Album streifen:

Keith Jarrett, Gary Peacock, Paul Motian – At The Deer Head Inn (1992/94)

Ich habe von At The Deer Head Inn hier schon mal ausführlich geschwärmt.

Sicher gibt es Keith Jarrett Trio-Alben, die künstlerisch wertvoller sind und die auf einem höheren Sockel stehen.

Mir liegt Deer Head Inn aber persönlich sehr am Herzen. Zum einen habe ich das Album mal in einem kleinen Berliner Plattenladen für umsonst erbeutet. Auf dem Verkaufstresen lagen einige Exemplare davon, ohne Plastikbox und die CDs selber ohne Aufdruck. Promo-Exemplare? Mängelexemplare wegen der unbedruckten CD? Keine Ahnung, aber als vorurteilsbehafteter Keith Jarrett-Skeptiker griff ich unter diesen Umständen einfach mal zu und hatte damit meine Erstbegegnung mit Jarrett.

Zum anderen hört man Jarrett, Peacock und Motian hier in sehr entspannter Umgebung. Kein Konzerthaus in einer Weltstadt, kein legendärer Jazzclub in New York, keine heilige Halle, sondern sozusagen Jarrett in seiner Stammkneipe, wo er mal ohne Druck und hohe Erwartungshaltung an einen Jazz-Superstar spielen kann. Ein field recording, wenn man so will.

Als jemanden, dem das Verhältnis von Musik zu Bild viel bedeutet, finde ich auch das Coverfoto toll. Romantisch, geheimnisvoll, verwunschen, ein magischer Ort an dem zu einem magischen Zeitpunkt dieses Konzert eingefangen wurde – while (almost) no one was listening.

Foto von David W. Coulter, einem lokalen Fotografen aus Henryville, PA, der ansonsten seinen Lebensunterhalt mit Fotos von Hochzeiten, Interieurs und für Marketing bestreitet.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)