Antwort auf: Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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herr-rossi
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bullittDu garnierst meine Zitate wiederholt mit Schlagworten der Werteunion, sprichst selbst von Framing und punktest bequem als Mahner gegen vermeintlich nach rechts abgedriftete User mit, genau, Anti-Wokismus-Brast. Was willst du denn da von mir hören? Ja, ich kenne den politischen Diskurs. Nein, ich habe nichts mit der Werteunion am Hut und bin auch nicht gewillt deren Positionen zu verteidigen. Nein, ich akzeptiere es auch nicht als Totschlagargument, dass die Werteunion das auch kritisiert.

Das kann ich so nicht stehen lassen: Es ist Deine Entscheidung, hier seit Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit das „Woke“-Fass aufzumachen. Das scheint Dich offensichtlich umzutreiben. Wenn man auf einen neuen Beitrag von Dir klickt, stehen die Chancen gefühlt 50:50, dass das Stichwort „woke“ oder ähnliches darin auftaucht. Das Thema scheint in Dir ständig zu gären, da halte ich den Begriff Brast für angemessen. Das hat mit „Rechts“ nichts zu tun. Du unterstellst mir ja auch mehr oder weniger subtil, Dinge zu verleugnen.

Du hast Dich doch offensichtlich auf den WELT-Kommentar bezogen, und der zitiert diese beiden Äußerungen aus der Werteunion und aus der FDP. Bei meinen Rechercheversuchen habe ich keine weiteren gefunden. Dass es auch im NRW-Justizministerium Bedenken gibt, will ich gerne glauben, es ist dessen Job, Bedenken zu äußern, und die sollten dann auch Eingang finden in weitere Überlegungen. Natürlich dürfen sich öffentlich geförderte Maßnahmen nicht außerhalb des Rechtsrahmens bewegen. Und das ist der Punkt: Die Arbeit von Meldestellen, Beschwerdestellen, Beratungsstellen usw. ist offensichtlich rechtskonform möglich und zu deren Arbeit muss es auch gehören können, Vorfälle in ihrem jeweiligen Verständnis statistisch zu erfassen, um auf gesellschaftliche Probleme hinzuweisen. Ich halte es für ein wichtiges demokratisches Recht, dass auch Interessenvertretungen von Minderheiten wie der Zentralrat der Sinti und Roma Vorfälle dokumentieren dürfen, die ihrer Ansicht nach diskrimierend sind.

So etwas ist bislang in Deutschland nie in Frage gestellt worden, aber unter dem Vorzeichen der Wokeness-Kritik wird aus Interessenvertretung auf einmal „Denunziantentum“. Du bist also der Auffassung, dass es dem Zentralrat nicht um eine statistische Dokumentation geht, sondern dass er dem Wokeismus erlegen ist und es eigentlich darum geht, unliebsame Personen zu erfassen und zu verfolgen?

Das ist kein Geheimnis. Der Meldebogen ist nur bei Privatpersonen anonym zu halten. Dass Künstler und Verlage dadurch weiter bei dem Thema unter Druck geraten können, war lediglich ein Beispiel, weil es um die in diesem Thread in der Regel ja geht. Aber klar, was ist das schon gegen die Bedenken von Sinti und Roma gegen rechtsstaatliche Strukturen.

Deine Logik heißt am Ende also: Wer irgendein Problem hat, soll zur Polizei gehen und ansonsten darüber schweigen, weil alles andere „Denunziation“ ist? Sollte dann die Presse nicht ihre investigative Tätigkeit einstellen? Was bilden sie sich eigentlich ein, den Job von Polizei und Staatsanwaltschaften zu machen?

Der Gang zur Polizei ist eine schwere Hürde, und das ist einerseits richtig, denn jemanden anzuzeigen, ist eine schwerwiegende Entscheidung. Es sollte aber nichts Neues sein, dass auch viele Menschen den Gang zur Polizei scheuen, ob wohl sie jedes Recht dazu hätten, etwa Opfer von Missbrauch und häuslicher Gewalt. Der Fall Kellermayer zeigt gerade, dass die Polizei nicht unbedingt an Deiner Seite steht oder stehen kann, wenn Du real bedroht wirst, weil dort entweder das Problembewusstsein fehlt („schalten Sie doch einfach das Handy aus“), die entsprechende Rechtslage nicht danach ist oder Personal bzw. einschlägig qualifiziertes Personal fehlt. Da kann man das Beispiel Österreich sicher stellvertretend für Deutschland nehmen. Ich persönlich habe durchaus Vertrauen in die Polizei, aber ich sehe nicht, dass sie die einzige relevante und geeignete Institution ist, um seine Rechte zu vertreten. In einer pluralistischen Gesellschaft muss man auch selbst auf seine Probleme aufmerksam machen können.

„Person des öffentlichen Interesses“ ist übrigens ein rechtlich definierter Status, und der besteht mit gutem Grund. Die Beurteilung des „Falls Schlesinger“ beispielsweise mag juristisch hochkomplex sein, Thomas Fischer hat darauf gerade eingehend hingewiesen, und entzieht sich damit eigentlich einer öffentlichen Beurteilung. Sprich: Nicht die Öffentlichkeit, sondern Richter fällen irgendwann ein Urteil darüber, und anders darf es nicht sein. Ist die Konsequenz daraus, dass es nicht Thema des öffentlichen Diskurses sein darf, ob sich Schlesinger in ihrer Position angemessen oder unangemessen verhalten hat? Ist das, was ihr gerade geschieht, „Denunziation“? Ist öffentliche Kritik dann nicht immer „Denunziation“?

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