Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Ich hab ehrlich gesagt seit geschätzt so 1994 einen Bogen um „Friday Night“ gemacht – meine Erinnerung sagt mir, dass ich das inhaltsleeres Wohlklang-Gefrickel fand, viel zu oft auf den Effekt aus. Aber das ist ja wohl wie mit Garbareks Hausfrauen-Esoterik: es gibt unzählige glänzende Augen, wenn davon die Rede ist. Und das ist ja auch nichts, was ich verurteilen möchte. Ich hatte einfach nie das Bedürfünis, mich mit Di Meola auseinanderzusetzen, mit McLaughlin auch nur sehr am Rande … falls es den ultimativen Paco de Lucia-Tipp gäbe, würde ich da ev. mal reinhören mögen.

Die Highlights von „Jelena Ana Milcetic“ sind für mich viele, „Long Long Ago“ ist nur das erste. Wenn ich so durchs Booklet blättere, mag ich eigentlich gar nichts herausstreichen, denn jedes Stück verdient, genannt zu werden: Judy Collins‘ „My Fathre“ (mit Dominic Cortese am Akkordeon und Gloria Agostini an der Harfe), die unglaubliche Version von „La Paloma“, Lacys geschichtetes Sopran-Overdub-Solo „Tanac“ (eine Art Interlude nach „Imagining Krk“, das auf das Kyrie zum Einstieg folgt, und dann gibt es am Ende noch so ein kurzes Stück zum Ausklang), dann „Wayfarin‘ Stranger“ (wieder mit der grossen Band), „Motherless Child“ im trio mit Roland Hanna und George Mraz, direkt danach „Among My Souvenirs“ mit derselben Band plus Terry Clarke, „Lost in the Stars“, „Kathleen“ (wer ist dieser Thomas P. Westendorf? Der Song ist von 1876, Elvis, Cash und andere haben ihn auch eingespielt) … und dann das Duo mit Torrie Zito am Ende, „Nobody Knows“ von Legrand und den Bregmans – ich höre das wirklich als ein von A bis Z gelungenes, rundes Album, das mich auf ganz andere Art ähnlich berührt wie „You and the Night and the Music“.

Ich schliesse den Lauf jetzt noch ab:

Helen Merrill – Lilac Wine | Merrill ist ja immer noch, die Auftritte wurden zwar sehr selten und der Verlust ihres Sohnes Alan scheint sie hart getroffen zu haben … Aufnahmen gab es danach nur noch wenige, dieses Album vom May 2002 klingt phasenweise aber schon wie ein Schwanengesang. Da ein Orchester dabei war, ging es für zwei Tage nach Prag mit Toningenieur Jay Newland. Produziert hat Merrill selbst, Daniel Richard ist als executive producer geführt. Erschienen 2003 ist das wohl auch ein Schwanengesang auf die grossen Gitanes-Zeiten (die dann beim wiederbelebten Impulse nochmal auflebten, aber das ist wohl auch schon seit einer Weile wieder vorbei – da läuft noch was, aber nicht mehr die Art von Produktionen, die ich meine). So zerbrechlich und zugleich verzaubernd, wie Merrill hier manchmal klingt, tönt auch die Trompete von Lew Soloff (und da meine ich dann auch zu verstehen, was soulpope in Sachen Brownie-Hommage mit Soloff vorgeschwebt haben könnte). George Mraz am Bass ist auch wieder dabei, Torrie Zito hat arrangiert und spielt mal etwas Keyboards und Klavier, und im Closer, Radioheads „You“, taucht auch Sohn Alan (g/voc) auf. Das Material ist wieder weit gestreut, neben ein paar Standards und Film-Songs („Wild Is the Wind“, „Something I Dreamed Last Night“) und den schon erwähnten Radiohead sind auch Ivan Lins („the Island) und Elvis Presley („Love Me Tender“, als Medley mit „How Sweet You Are“ von Loesser/Schwartz) vertreten, ebenso Barbara („Pierre“, französisch gesungen und von einer Zartheit, dass ich beim Hören fast etwas Angst um Merrill kriege – das einzige Stück ohne Orchester, nur mit Zito am E-Piano und Soloff an der Trompete) und Marian McPartland mit ihrem „Portrait of Helen Merrill“ – ich nehme an eine ihre Improvisationen aus einer „Piano Jazz“-Sendung, die dann von Torrie Zito notiert und arrangiert wurde (Merrill setzt hier aus, gespielt wird das Stück von Mraz und dem Orchester). Im Orchester finden wir übrigens nicht nur Streicher (grössere Kammerorchester-Besetzung: 7-7-4-4, keine Kontrabässe, das ist Mraz‘ Job) sondern auch doppelt besetzten Flöten und Klarinetten, eine Oboe,d rei Hörner, Percussion und Harfe. Auch das ein Album, das etwas Zeit zum Reifen brauchte, aber mir längst sehr, sehr gut gefällt. Leider kenne ich seither nichts mehr, es gibt mindestens noch ein jüngeres Album aus Japan (es gibt von ihr überhaupt ganz viele Sachen nur in Japan, die alle ständig vergriffen sind), aber die kosten alle wenigstens einen Fünfziger und das ist mir dann doch zuviel.

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