Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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gypsy-tail-wind
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Eher etwas schwieriges Territorium … Joe Henderson in den 90ern auf Verve, Richard Seidel als Sekundant, Don Sickler, Oscar Castro-Neves und Bob Belden als Qualitätsgaranten in Sachen Arrangements usw. Alles sehr behutsame, umsichtige Produktionen, aber vielleicht empfinde ich hier gerade ähnliche Vorbehalte wie vorgarten sie zu „Brownie“ von Helen Merrill geäussert hat. Das Strayhorn-Album fand ich gestern geradezu leise enttäuschend, dabei hatte ich es im Gedächtnis als mein liebstes der fünf abgelegt. Hmmmm. Woran’s liegt? Ich weiss es nicht, ich komme ja an Henderson eh weniger unmittelbar heran als an andere Musiker (vom Verve-Roster z.B. Teddy Edwards oder Johnny Griffin, um beim Tenorsax zu bleiben), dann ist die Band mit Stephen Scott, Christian McBride, Gregory Hutchinson und ab und zu Wynton Marsalis vielleicht einfach etwas zu brav, zu sehr aufs Begleiten aus, nicht auf der Suche nach eigenen Akzenten?

Das überlange „So Near, So Far (Musings for Miles)“ hatte ich bis vor ein oder zwei Jahren nur als Kopie und hab es kaum beachtet. Heute finde ich es aber stärker, was definitiv mit Dave Holland und Al Foster zu tun hat, die zwar auch nicht anecken wollen, aber eben doch auf einem ganz anderen Level unterwegs sind. Dass es kein Klavier gibt sondern John Scofields Gitarre gibt dem Album einen anderen Anstrich, das klingt alles viel wenig retro, auch wenn die Song-Auswahl zu seiten teilen erstaunlich weit zurück geht: 1954 bis 1963. Erst #8 und #9, „Circle“ und „Side Car“, sind dann von Ende der 60er, bevor es mit dem Closer „So Near, So Far“ nochmal zur Übergangs-Band von 1963 zurück geht, die schon mit „Joshua“ vertreten ist. Ein paar spannende Stücke sind auf jeden Fall dabei: wer kam schon auf die Idee, „Swing, Spring“ („MD and the Modern Jazz Giants“, Heiligabend 1954) oder „Miles Ahead“ (Davis/Evans, vom gleichnamigen Album) zu covern? Dass auch die Mobley-Band vertreten ist („Pfrancing (No Blues)“ und „Teo“) überrascht, und sich an „Flamenco Sketches“ zu wagen, braucht Eier. Das „second quintet“ ist hier eine Leerstelle – und das gehört zur Überraschung dazu. Und ich denke, es tut dem Album gut, weil es so Wege findet, die eher unerwartet sind. Dass Scofield nicht der spannendste Gitarrist ist, verstehe ich ja, aber ich finde ihn hier allein von den Sounds, die er beiträgt, schon ziemlich gut – das Konzept geht für mich hier jedenfalls auf, auch wenn 74 Minuten schon etwas zuviel sind.

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