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Wendy and Lucy (Kelly Reichardt; 2008)
Heute möchte ich mal wieder einen Lieblingsfilm vorstellen, der nicht der animierten Welt entstammt. Ein Film über die Beziehung zwischen einer jungen Frau und ihrem Hund. Die Geschichte ist schnell erzählt: Wendy ist arbeits- bzw. perspektivlos und gemeinsam mit Lucy auf dem Weg von Montana nach Alaska, da sie sich dort einen guten und sicheren Arbeitsplatz verspricht. Die Reise kommt in Oregon ins Stocken, als sie in einem Supermarkt beim Versuch Hundefutter zu stehlen erwischt und auf die Polizeistation gebracht wird. Nach der bürokratischen Mühsal kommt sie schließlich zu dem Supermarkt zurück, vor dem sie Lucy angebunden hat. Von der Hündin fehlt allerdings jede Spur.
Es wäre aber nicht ein Film von Kelly Reichardt, würden sich die knackig kurzen 75 Minuten bis zum Einlaufen der Credits nur mit der anschließenden Suche nach der geliebten Partnerin befassen. Immerhin basiert das Drehbuch auf einer Kurzgeschichte und könnte in wenigen Szenen erzählt werden. Stattdessen nimmt sich der Film die Zeit für andere Dinge, die vielleicht nicht ganz so wichtig sind wie eine Reunion mit der vierbeinigen Freundin, aber auch nicht ganz unrelevant. Die klarste Aussage sehe ich im Anprangern der sozialen Missstände, die eine junge Frau viele hundert Meilen in den Norden treibt um dort das zu finden, was sie in ihrem näheren geografischen Umfeld wohl nicht zu finden gedenkt.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, sind auch die vorangegangenen Werke und das nachfolgende Meek’s Cutoff in gewisser Weise Road Movies, die meist mit besonderen Schwierigkeiten beim Gelangen vom Ausgangs- zum Zielpunkt verbunden sind. Da ich – wie schon öfter und auch in diesem Thread bereits erwähnt – sehr empfänglich für Lost in America-Geschichten bin, habe ich auch für Reichardts Spielfilme einen großen sweet spot. Hinzu kommt hier bei aller Kritik am System und der Betonung von Wendy als Außenstehenden ebendiesen Systems doch durch, dass die einfachen Leute, denen die Protagonistin begegnet und die nicht immer hilfreich sind, weder böse noch ihr gegenüber voreingenommen sind, sondern im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben bestreiten, auch wenn die Empathie manchmal ein wenig auf der Strecke bleibt. Und immerhin gibt es ja noch diesen Wachmann, der Wendy, wiederum im Rahmen seiner Möglichkeiten, bei der Suche unterstützt.
Zu bemängeln habe ich hier eigentlich nicht wirklich etwas. Michelle Williams spielt grandios, die Aufnahmen, gerade außerhalb der Stadt, sind wunderschön und obwohl nicht viel passiert, hat der Film keine mir bekannten Längen. Die Chemie zwischen Hundeführerin und Hündin weckt Emotionen und überzeugt mich genauso wie die Monologe der eigenartigen Zeitgenossen, die während dem Abenteuer nachts angetroffen werden.
Mit Wendy and Lucy gelingt Kelly Reichardt in meinen Augen ihr bis heute schönster Film. Beim Verifizieren dieses Statements habe ich übrigens gerade gelesen, dass ihr neues Werk Showing Up noch diese Woche seine Weltpremiere in Cannes erleben soll – ein schöner Zufall.
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