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@ gipetto @ talkinghead2: Ja, das sind die üblichen Sprüche, die Jahr für Jahr als Monstranz des vermeintlich guten Geschmacks vor sich hergetragen werden. Ich finde sie einfach nur: kulturbanausig!
Der ESC ist eine absolut einzigartige kulturelle Tradition seit nunmehr fast 70 Jahren, und (mal abgesehen vielleicht noch von der Fußball-EM alle 4 Jahre) der einzige Moment, an dem Europa wirklich zusammenkommt und sich als zusammengehörig erleben kann, wo Millionen Menschen sich musikalische Beiträge aus Island, Aserbeidschan, San Marino und Nordmazedonien anschauen und bei dem jeder Teilnehmer eine faire Chance hat, am Ende vorne dabei zu sein – die mit dem großen Geldbeutel liegen eben nicht per se vorne, auch nicht die Effizienz-Weltmeister aus der Mitte, bei denen sich Kultur offensichtlich rechnen muss. Ein bißchen Demut schadet nicht – das UK hat auch mehr als 20 Jahre gebraucht, ehe es diesmal wieder ganz vorne mitspielen konnte. Den Menschen in anderen Ländern bedeutet der ESC viel, gerade die jungen Nationen der Nach-Kaltkriegszeit nehmen den Wettbewerb sehr ernst. Und am anderen Ende der Welt liebt man diese seltsame europäische Tradition so sehr, dass man seit sieben Jahren daran teilnimmt. Das ist lebendige Kultur, die nicht unter Denkmalschutz gestellt werden muss, weil die Menschen sie wollen.
Der ESC ist geboren aus dem europäischen Friedensgedanken der unmittelbaren Nachkriegszeit und der Samstagabend hat gezeigt, wie bitter notwendig dieser Gedanke immer noch ist. (@ nes) Am Samstag durfte eine europäische Nation, die gerade unfassbar Schlimmes erlebt, die Solidarität der anderen erleben und sich für einen Moment ablenken und feiern. Ist das nichts wert?
Zumal das ernsthaft gute Musik ist, eine Mischung aus Folklore und Rap, wie sie nur beim ESC ein großes Podium erhält. Hier der offizielle Clip des Kalush Orchestra. „Kein Anspruch“? Trash? Erzählt mir mehr.
Der Beitrag aus Portugal war ebenfalls ein toller Folksong mit wunderbaren Vokalharmonien. „Kein Anspruch“? Trash? Erzählt mir mehr.
Der niederländische Beitrag – eine junge Frau erzählt ihre Geschichte von Angstörungen. In ihrer eigenen Sprache. Ohne jeden Schaueffekt. „Kein Anspruch“? Trash? Erzählt mir mehr.
Großartiger Pop aus Schweden, der einen von der ersten Sekunde an packt, souverän dargeboten. „Kein Anspruch“? Trash? Erzählt mir mehr.
Der Beitrag aus Serbien. Eine von Marina Abramovic inspirierte Performance mit einem Text, der satirisch die fehlende Kulturförderung im Land anprangert, auf serbisch, mit lateinischem Zitat als Titel, dazu kühler 80s-Synth Pop. Eine Nummer, die die meisten hier nicht mochten, sperrig, merkwürdig. Das Wunder ist: Nach der Ukraine war das der Song, der den stärksten Schub durch das Publikumsvoting erhalten hat. „Kein Anspruch“? Trash? Erzählt mir mehr.
Und ja, es gab natürlich auch wieder die Nummern, die einfach nur gute Laune machen wollten. So wie die der Moldawier mit einem weiteren Folk-Rap-Mix, bei denen man spürt, dass das einfach gute Musiker und Entertainer sind. „Kein Anspruch“? Trash? Erzählt mir mehr.
Natürlich war auch diesmal nicht alles der Rede wert, vor allem ein paar Sad Boy-Balladen zu viel.
Die Sieger des letzten Jahres haben danach übrigens weltweit für Furore gesorgt, eine italienische Rockband – von wegen, das interessiert niemanden …
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