Antwort auf: Criteria Gold Coast Jazz – Jazz in Florida, ca. 1957

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gypsy-tail-wind
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Hole das hier mal noch rasch (von hier) hier rüber:

gypsy-tail-wind

Monty Alexander – Love You Madly: Live at Bubba’s (Resonance, 2 CD, 2020) |Hatte ich neulich schon mal kurz angetestet, aber kam dann nicht weit … die Begleiter kenne ich alle kaum oder nicht (Paul Berner-b, Duffy Jackson-d, Robert Thomas Jr.-perc – Berner speilte mit Red Rodney, Jackson kennt man von anderen Bubba’s-Aufnahmen, Thomas taucht auch Weather Report auf). Das ist auf jeden Fall eine eingespielte Band und Alexander ist wirklich gut drauf (und der Sound ist ebenfalls sehr gut). Das Booklet ist wie üblich voll mit kurzen und längeren Texten, die Herren Klabin und Feldman freuen sich, dass sie sich über Alexander freuen, dieser grüsst, Willard Jenkins macht die Arbeit und schreibt über das Set, dann folgen detektivische Gespräche mit allen vier Musikern (die zwischen Juni und August 2020 gehalten wurden, also recht kurz vor Veröffentlichung).

Das Interview mit Alexander ist recht interessant, beleuchtet ein wenig die Florida-Szene von damals (Siebziger/Achtziger), natürlich wird dabei Ira Sullivan erwähnt: „He’s larger than life, a beautiful guy who stays true to his art form. He never sought the big time. When he came to Miami, little by little he started playing around town. He’s the one who rebirthed jazz in Miami. A bunch of guys came down to Miami from Chicago because of him. Jaco was from Florida. He got his start playing with Ira.“ (Präsens ist übrigens korrekt: das Interview fand am 14. Juli statt, Sullivan starb am 21. September.)

Auch interessant sind zwei weitere Punkte, die er erwähnt: die Geschichte mit den gültigen Visa (Alexander stammt aus Jamaica) – es halt, wenn einflussreiche Leute „sponsorhip letters to Immigration“ schrieben, „saying, ‚This young man is talented and he should be allowed to stay in America because of his talent.’“. Count Basie war einer von vier Leuten, die solche Briefe schrieben, Frank Sinatra und Eddie Fisher andere (der vierte war kein Musiker). Basie spielte im Harlem Square Club (wo Sam Cooke einige Jahre vorher ein Album aufgenommen hatte), mit Joe Williams und Sonny Payne – und letzterer mit seiner Show („threw the sticks up in the air and while they were in the air, he lit a cigarette, took a puff and grabbed the sticks before they came back down“) dient als Sinnbild für die Vermählung von Showbiz und Jazz, die für Alexanders Musik ja ebenfalls prägend sein würde.

Der andere Punkt kommt früher im Interview zur Sprache, als der junge Monty durch die Bars und Clubs der Hotels in Miami Beach zog und sich überall mit den Musikern anfreundete, die ihn einluden, auch ein Stück mit ihnen zu spielen. Noten lesen konnte er nie, aber er hatte die Gabe, Gehörtes sofort absorbieren zu können. Irgendwann wollten die anderen dann, dass Alexander mit ihnen spielte. Und er spielte mit allen: „I’m Jamaican. We have a different outlook on race because a lot of people are multiethnic and I was very comfortable everywhere. I would be probably more over in Overtown, which was the African American side of things.“

Die Aufnahme kam zustande, weil Mack Emerman, der 1958 die Criteria Studios gegründet hatte (die Bee Gees nahmen anscheinend dort ihre grossen Hits auf), vorbeikam und irgendwann fragte, ob er aufnehmen dürfe. Er tat das mit seinem „remote truck“ und so hört sich das ganze auch an, eine perfekte Live-Aufnahme. Das Klavier wurde gestimmt, Bass, Drums und Percussion (Congas und Bongos) sind perfekt eingefangen und klanglich so schön abgestimmt, wie sie es musikalisch sind. Alexander lobt das „Bubba’s“ in höchsten Tönen. Es sei ein gutes Restaurant gewesen, Tischdecken, guter Service, die Leute sassen und hörten zu, anstatt sich zu unterhalten: „Bubba’s was perfect. It was relaxed. Bubba’s was ideal.“

Alexander freundete sich mit anderen Musikern an, die in Florida vorbeischauten, so auch mit den zwei an New York verlorenen Söhnen, Nat und Cannonball Adderley. Mit dem Bassisten der Band (es war das Sextett mit Lateef und Zawinul), Sam Jones, freundete er sich an und nahm ihn zu Boxkämpfen von Muhammad Ali und Oscar Bonavena mit. Ramsey Lewis, Junior Mance und andere guckten vorbei, und als Alexander später nach New York ging, hatte er ganz viele Telefonnummern.

Paul Berner (der 1990 mit seiner niederländische Frau nach Holland zog und Alexander einst von Reggie Johnson empfohlen wurde) spricht auch über den Gig im Bubba’s, der eine Woche gedauert habe: „On this gig, that band came together. […] It was effortless. Hearing the recordings back, it confirms it for me. It was flowing. There was nothing between us and the music. […] What really pleased me was just how on the band was. It was cracking, popping. You look back and you think, that band was good. But when you hear it back, boy, it jumps out of the speakers at you. My wife, who’s also a musician, was sitting in the room next door. And she says, ‚Hey! What’s that?‘ It just jumped through the walls.“ Berner betont auch – und da schliesse ich mich vollumfänglich an – wie gut Thomas‘ „hand drums“ (seine bevorzugte Bezeichnung, er verstand sich nicht als Perkussionist) sich in die Band einfügt.

Duffy Jackson erwähnt, wie er 1971 Alexander zum ersten Mal hörte, damals im Trio mit Eugene Wright (dem gerade verstorbenen ehemaligen Brubeck-Bassisten) und einem lokalen Drummer aus Miami. Duffy Jackson ist übrigens der Sohn des Bassisten Chubby Jackson. Der junge Drummer war begeistert und fragte den Musiker, der mit Alexander im Wechsel spielte, ob er bei dessen Set mitspielen dürfte. Das tat er, und Alexander wiederum bat Jackson für sein nächstes Set gleich sitzen zu bleiben: „It was a five-star jam. We swung so hard, we were laughing while we played because it was just grooving.“ Jackson war damals erst in der High School, und während der Sommerferien bot Alexander ihm an, einen Gig in der Baker’s Keyboard Lounge in Detroit zu spielen (die neben dem London House in Chicago als ein Club mit ähnlicher Atmosphäre wie das Bubba’s erwähnt wird). Zwei Tage nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, trat Jackson dann im Shelly’s Manne-Hole mit Ray Brown, Milt Jackson, Teddy Edwards und Monty Alexander auf … (es gibt von derselben Band mit Dick Berk am Schlagzeug eine Live-Aufnahme von dort, rec. 1969, also zwei Jahre früher). Auch Jackson meint, Alexander hätte 1982 im Bubba’s „some of the greatest piano I’ve ever heard“ gespielt: „Monty was in the zone that night; really swinging.“

Bobby Thomas, der in Florida aufwuchs und dabei viel vom Spiel mit Duffy Jackson lernte, erinnert sich ebenfalls sehr positiv an das Bubba’s und an Alexander. Er erzählt auch, wie er durch eine Wette bei Weather Report reinkam: Jaco habe Joe Zawinul gesagt, er habe den einzigen Bebop-Conga-Spieler des Planeten gefunden – Zawinul: „Oh yeah?“ – Jaco: „Well, you want to bet?“ Also wurde Thomas direkt für einen Gig eingeflogen. Thomas war wohl seit den späten Siebzigern Teil von Alexanders Band(s) … da kenne ich mich leider überhaupt nicht aus, aber er erwähnt, dass er sich in über 40 Jahren jedes Mal darauf freute, mit Alexander auf die Bühne zu gehen und zu spielen, dass es sich jedes Mal wie das erste Mal anfühle.

Auch Kenny Barron, Benny Green und ein paar weitere haben zum Booklet beigetragen. Barron hatte von Alexander ca. 1963/64 erstmals gehört, aber es habe etwas gedauert, bis es dazu kam, dass er ihn live hörte. Sie waren später gemeinsam auf mehrere Japan-Tourneen, die unter dem Motto „100 Gold Fingers“ liefen: jeweils 10 Pianisten dabei, im ersten Jahr neben Alexander und Barron auch John Lewis, Hank Jones, Ray Bryant, Roger Kellaway, Lynne Arriale, Cedar Walton, Tommy Flanagan und Harold Mabern (!!). Über Alexanders Spiel sagt Barron: „The thing about Monty’s playing is that he has this kind of sparkle. It’s definitely music to make you feel good. It’s geared towards that. It’s happy, happy and snappy. And I mean, those are corny adjectives, I know, but that’s the feeling I get from Monty. I get the same feeling from listening to Wynton Kelly play. Joyful. Maybe that’s a better word. His music is always very, very joyful. And I could hear Oscar Peterson’s influence and also the influence of his roots, Jamaica. It’s all there.“

Jedenfalls sind das wunderbare 90 Minuten, die ich vermutlich nicht täglich hören möchte (so, wie ich Clark Terry oder Oscar Peterson nicht täglich hören möchte) – aber gerade eben war das schlicht perfekt! Die Arrangements sind teils von einer Güte, dass ich an die Trios von Ahmad Jamal denken musste. Unter den Stücken finden sich vier Originals von Alexander („Eleuthra“ ist eins der Highlights des Albums), aber auch Ellington („Love You Madly“), Bonfa („Samba de Orfeu“), Blue Mitchell („Fungii Mama“ – eins der Highlights!), Milt Jackson („Blues for Edith“, „SKJ“), einen Standard („Body and Soul“), zum Auftakt eine Filmmelodie („Arthur’s Theme“ aus dem Film „Arthur“ von 1981 (ein zweiter Aufguss von „Killing Me Softly“, klick), ein Stück von Richard Evans („Montevideo“ von Ahmad Jamals „Macanudo“) und eins von Hal Mooney („Swamp Fire“).

redbeansandrice
Danke, super interessant! kurz zu diesem Criteria Studio, da gab es um 1960 herum auch ein Jazzlabel Criteria, dessen Katalog ueberwiegend bei VSOP wieder aufgelegt wurde, das gehoert dazu und das, das und das… soweit ich es kenne schoene Sachen (das zweite ist eine seltene spaetere Aufnahme des Pianisten John Williams nach seinem Umzug nach Florida)

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