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**** Un été comme ça (Denis Côté, Wettbewerb)
Was, hat Rüdiger Suchsland über die Doku „Mutzenbacher“ gefragt, wäre wohl passiert, wenn hier nicht eine Frau einen Film über männliche Sexualität gedreht hätte, sondern umgekehrt. Nun, einen solchen Film gibt es. Er läuft im Wettbewerb und stammt vom bei der deutschen Filmkritik nicht gerade wohlgelittenen Kanadier Denis Côté. Und tatsächlich: Reflexhaft, fast schon pflichtschuldig macht ein Teil der Kritiker*innen daraus ein Problem an sich, die Male-Gaze-Stichworte gleich parat.* Und nach der Vorführung fragt man sich, ob die alle ihr Urteil schon vorher gefällt oder nur nicht richtig hingeguckt und -gehört haben. Derlei Vorwürfe gegen diesen Film sind jedenfalls absurd. Wenn man dann jedoch noch liest, dass gegen ihn ins Feld geführt wird, er würde seine Figuren nicht auserzählen oder eine Entwicklung durchmachen lassen, weiß man, woher der Wind hier dann wohl auch weht. Côté ist kein Mann für simple Psychologisierungen und an Charakterstudien nicht interessiert. Das Setting, ein Retreat für drei hypersexuelle Frauen, ist eine Versuchsanordnung. Die Figuren – eine nymphomane Jägerin, eine zwangsgestörte Künstlerin, ein traumatisiertes Missbrauchsopfer – sind offensichtlich nur Typen. Und nein, der Regisseur pathologisiert seine Protagonistinnen nicht. Das Gegenteil ist der Fall: Er zeigt gerade, dass sie von der Gesellschaft (und ja, auch von der Wissenschaft), in eine Ecke gedrängt werden – und Hilfsangebote zuweilen zumindest fragwürdig erscheinen. Er ist jederzeit an der Seite seiner Figuren! Die als Kind vom Vater missbrauchte Jugendliche wird hier darum nicht zur Superdirne und Männerfantasie „Josefine Mutzenbacher“, sondern zu einer traumatisierten Frau, die eigene Lust nur in der professionellen Bondage-Zeremonie erfährt. Zuneigung wird ihr ansonsten, wie den anderen Frauen, verwehrt (nur untereinander knüpfen sie am Ende zarte solidarische Bande). Einmal fragt eine „Patientin“, warum sie nicht einfach nur so viel Sex haben könne, wie sie wolle (eine Frage, wie sie wohl noch nie aus einem männlichen Mund kam). Als Angebot zur Reflexion mag das alles erstmal ziemlich bruchstückhaft sein. Doch zu behaupten, Côté eröffne keine solchen Räume und liefere hier nur Wichsvorlagen für ein männliches Publikum, ist falsch. Der Film ist sicher nicht perfekt, es gibt einiges gegen ihn einzuwenden (und auf jeden Fall ist er zu lang geraten). Wer ihn jedoch lediglich mit den Maßstäben moralischer Opportunität misst, beraubt sich der analytischen Schärfe und hat ihn (und vielleicht auch das Kino als voyeuristisches Medium per se) gründlich missverstanden oder gezielt missverstehen wollen.
Sorry für den Rant, aber derlei Denkfaulheit (oder Gedankenlosigkeit) sind mir einfach zuwider. Heute freue ich mich auf Hong Sangsoos neuen Film und die Thelonious-Monk-Doku. Gestern noch gesehen:
***1/2 Dilim dönmüyor – Meine Zunge dreht sich nicht (Serpil Turhan, Forum Special Fiktionsbescheinigung)
**1/2 Najeneun deopgo bameneun chupgo (Park Song-yeol, Forum)
* Womit ich diese Problematik gar nicht in Abrede stellen will (es gibt auch eine Doku dazu im Panorama). Nur passt der männliche Blick als Problem auf diesen Film nunmal so gar nicht (es sei denn, man wolle grundsätzlich sagen, ein männlicher Regisseur dürfe keine weibliche Sexualität zeigen).
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