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Anonym
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Eigentlich wollte ich diese Gedanken ja gleich nach dem Kinobesuch niederschreiben, habe meine Eindrücke jetzt aber doch ein wenig setzen lassen. Hoffe, ich kann sie noch gut wiedergeben.
Licorice Pizza (Paul Thomas Anderson; 2021)
Fragt man mich, ob ich ein liebstes Filmgenre habe, würde ich mir zwar einige Gedanken machen, am Ende wäre es aber doch eine klare Sache. So nahe ich dem klassischen Drama, dem Film Noir, der Komödie oder dieser wunderbaren Nische namens Southern Gothic stehe, nichts begeistert mich seit jeher so sehr wie gut inszenierte Coming of Age-Geschichten. Auch wenn man über Genre-Bezeichnungen und -Zugehörigkeiten im Kino genauso gut streiten wie kann wie bei Musik, da wo ich an ergreifenden Episoden des Heranwachsens teilhaben kann, fühle ich mich nicht selten bestens aufgehoben. Nicht umsonst zählen Klassiker wie Splendor in the Grass oder To Kill a Mockingbird zu meinen ewigen Favoriten, während meine Lieblingsfilme der letzten Jahre wohl auch nicht zufällig folgende sind: Moonlight, Call Me by Your Name, Madeline’s Madeline und Waves.
Obwohl ich Paul Thomas Anderson schon länger sehr schätze und vor allem Boogie Nights seit vielen Jahren in höchsten Ehren halte, hat es doch bis zum neunten Film gedauert, bis ich wunschlos glücklich aus dem Kino stapfen konnte. Die Gründe dafür sind vielseitig. Einerseits liegt das daran, dass das Los Angeles der frühen 70er, in das uns Anderson einführt, mit einer nostalgisch romantisierenden Verklärtheit gezeigt wird, die mich an Walt Disneys Marceline in Lady and the Tramp erinnert. Zwar machen sich zeitgenössische Probleme wie die Ölkrise durchaus bemerkbar, dies führt allerdings eher zu lustigen Sequenzen. Das Wetter ist prächtig, Karrieremöglichkeiten lauern hinter jeder Ecke und sogar Kids können ihren Geschäftsideen mit großem Enthusiasmus und ungetrübtem Elan nachgehen.
In dieser Welt des Jahres 1973 finden sich auch viele interessante Figuren, teilweise reale Persönlichkeiten und teilweise solchen nachempfunden. Das bringt uns auch zum phänomenalen Cast, der tatkräftig mithilft, Licorice Pizza auf das höchste Level zu heben. Cooper Hoffman ist ein toller 15-jähriger Gary Valentine, der auf jenem Herrn basiert, der tatsächlich einst mit dem Verkauf von Wasserbetten und Flipperautomaten sein Glück versucht hat und dessen Anekdoten die Idee zum Film maßgeblich geprägt haben. Der Star der Show ist allerdings zweifellos Alana Haim, die ihren Vornamen im Film genauso behalten darf wie ihre beiden Schwestern und Eltern. Ihr Debüt auf der großen Leinwand beeindruckt mit der Natürlichkeit einer hochtalentierten Novizin, derer sich mit ihrem ungekünstelten Schauspiel kein Herz erwehren kann. Ihre Blicke, ihre Stimme und ihre generelle Ausstrahlung und Körpersprache machen die im Vergleich zu Valentine zehn Jahre ältere Figur so sympathisch und echt.
Daneben sind es die überzeichneten Nebenfiguren, die dem Charme des Films in höchstem Maße zuträglich sind. Sean Penn als auf William Holden basierender, dem Alkohol alles andere als abgeneigter Schauspieler und Bradley Cooper als Jon Peters, dazu noch Tom Waits, Benny Safdie oder John Michael Higgins – sie alle gehen in ihren karikaturhaften Rollen auf und begeistern. Nicht vergessen darf man auch die tolle Kameraarbeit von Michael Bauman und Anderson selbst, welche die Szenen in wunderschönen, langen Aufnahmen festhält. Selbst Laufen hat selten so elegant und inspirierend ausgesehen.
Auch wenn ich mir mit der Ausformulierung meiner Wertschätzung ein bisschen schwertue, möchte ich noch einmal zum Ausdruck bringen, dass ich Licorice Pizza für das erste Meisterwerk dieses Jahrzehnts und damit nicht nur zu PTAs bestem Film, sondern zu einem meiner liebsten überhaupt erklären darf. Visuell ergiebig, zwischen Komik und Emotion leichtfüßig transzendierend und ungehetzt voranschreitend und mit einem grandiosen Cast wird hier nicht nur eine eigentlich unmögliche Liebesgeschichte mit all seinen Widrigkeiten und Vorzügen großartig erzählt, sondern auch ein Lebensgefühl von Freiheit und unbegrenzter Möglichkeiten eingefangen, mit der wir diese Zeit – die frühen 70er, aber auch Sturm und Drang der Jugend – auf romantische Weise in Verbindung bringen.
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