Antwort auf: Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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Wenn wir an Disney-Filme denken, taucht vor unserem inneren Auge ein charakteristischer Zeichentrick-Stil auf, der sich von den späten 30ern bis zum Ende des Jahrtausends gehalten hat. Natürlich war man im Hause Disney bemüht, einen halbwegs einheitlichen Stil zu etablieren und behalten, den das Publikum auch direkt mit den Studios in Verbindung bringen konnte. Dass die Zeichner und Regisseure aber doch ganz unterschiedliche Stile und Qualitäten zu den Arbeiten mitbrachten, geht da leicht unter, wird aber selten so ersichtlich wie auf den folgenden drei Werken.

Lady and the Tramp (Clyde Geronimi et al.; 1955)

Die Verfilmung von der Lady und dem Tramp oder im deutschen Sprachraum Susi und Strolch ist trotz anfänglicher Verrisse eine der beliebtesten im Disney-Universum und stellt gleichzeitig ein interessantes Kuriosum dar. Diese kleine Liebes- und Eifersuchtsgeschichte über zwei Hunde aus verschiedenen Gesellschaftsschichten sollte nämlich der persönlichste Film sein, den Walt Zeit seines Lebens in Auftrag gab.

Die Welt von Lady and the Tramp spielt in einem Amerika, das Walt aus seiner Kindheit kannte und von dem Mitte der 50er nicht mehr viel übrig war. Die Kleinstadt, in der sich die Ereignisse abspielen, ist von seinen Erinnerungen an Marceline, Missouri geprägt, wo er ein paar Jahre seiner Jugend verbrachte, die er rückblickend als die glücklichste Zeit seines Lebens bezeichnen würde. So sprüht der Film von wärmender Nostalgie und wohlwollender Reminiszenz an eine bessere und einfachere Zeit, bevor die Vereinigten Staaten endgültig im 20. Jahrhundert angekommen waren.

Auch die Idee von diesem Film geht bereits in die 30er zurück, wurde im Lauf der Jahre mehrfach geändert und verschob den Fokus von Lady in Richtung einer love story mit einem zynischen Streuner, dessen Lebensrealität einen starken Kontrast zu ihrer darstellen sollte. Rausgekommen ist eine herzerwärmende Adaption, die in vielerlei Hinsicht brilliert. Um den Bogen zu der Einleitung zu schlagen und die Stilfrage zu klären: Lady and the Tramp ist fast Ozu-esque aus halber Höhe gefilmt, um den Blickwinkel aus Sicht der Hunde zu betonen. Die nostalgische Szenerie wird in warmen Farben und impressionistischen Formen festgehalten, was in der Liebesnacht der beiden Protagonisten und dem ersten Auftritt von Eyvind Earle als Nachfolger von Mary Blair gipfelt.

Auf den ersten Blick wirkt Lady and the Tramp wie ein gemütlicher und harmloser Kinderfilm, dabei sind seine Themen mitunter durchaus komplex und seine Stimmung immer wieder ins Finstere abdriftend. Repräsentativ dafür ist eine Szene nach dem gemeinsamen Ausflug, als Ladys beide Freunde aus der Nachbarschaft bei ihrer Hundehütte vorbeischauen und anbieten, als Männchen an ihrer Seite bereitzustehen. Als Kind denkt man sich bei dieser bewusst subtil inszenierten Sequenz gar nicht so viel, doch dürfte es darum gehen, der wohl trächtigen Hündin aus Pflichtbewusstsein und tiefer Freundschaft eine Option anzubieten.

Ich könnte noch viel weiterplappern und Dinge anführen, die mir jetzt spontan einfallen, dann würde ich mich aber von der Grundidee der heutigen Schilderung immer weiter entfernen. Lady and the Tramp ist auf alle Fälle ein vielschichtiger und wunderschöner Film, der mit großartig gezeichneten Figuren, wunderbar nostalgischem Flair und toller Musik wuchert und dabei vor allem als romantisierender Rückblick überzeugt. Und das auch noch erstmals in CinemaScope!

Sleeping Beauty (Clyde Geronimi et al.; 1959)

Remember Eyvind Earle, der die zentrale Szene von Lady and the Tramp mit seinen Illustrationen entscheidend mitgestaltet hat? Der darf sich am folgenden Werk voll und ganz austoben. War den Landschaften im Vorgänger noch ein naturalistisches Wesen inhärent, so paradiert Sleeping Beauty unter dem hochgehaltenen Banner des Style-Overkills im Gotik- und Renaissance-Ausdruck. Jede Szene ist aufwendig und detailreich animiert – nicht umsonst wurde die Adaption vom Märchen Dornrösschen zum bis dahin teuersten Film der Studios, der sein hohes Budget nicht einspielen konnte und dem Unternehmen nach einem Jahrzehnt der Stabilisierung und Expansion wieder rote Zahlen bescherte.

Wie kein anderes Werk im Disney-Kanon verkörpert Sleeping Beauty den style over content-Gedanken. Das fängt schon dort an, wo der Wald zum heimlichen Star des Films aufsteigt. Jeder Strich, jede Form und jeder Farbtupfer in diesem Film erfreuen die Augen und gerade in diesem Wald erwacht jeder Baum und jeder Busch zum Leben. Auch die anderen Locations wie die beiden Schlösser sind unbeschreiblich schön ausgearbeitet.

Ein weiteres Ass im Ärmel ist die Figur der Antagonistin Malefiz, die in ihrer bedrohlichen Natur alle bisherigen, cartoonhafteren Bösewichte in den Schatten stellt. Die ist auch gemeinsam mit den guten Feen mehr als notwendig, um die Schwächen der allein schon der Vorlage geschuldet wenig präsenten Hauptfigur und ihrem Prinzen zu kaschieren. Die erneut fantastische Musik und mitunter düstere Sequenzen runden ein visuelles Fest im mittelalterlichen Stil ab.

Der Misserfolg an den Kinokassen sollte sich allerdings nicht nur auf die weitere Ausrichtung der Animations-Abteilung der Disney Studios auswirken, sondern auch dazu führen, dass nach Zeiten der erfolgreichen Märchen-Adaptionen dreißig Jahre kein Werk mehr auf einem Märchen basieren sollte. Obwohl Sleeping Beauty aufgrund seiner Charakteristika nicht so gute Chancen hat, die Menschen auf emotionaler Ebene zu erreichen wie die vorangegangen Spielfilme, so hat sich der Film über die Jahre doch seinen verdienten Platz im Disney-Olymp gesichert.

One Hundred and One Dalmatians (Clyde Geronimi et al.; 1961)

Nach dem Ende für Märchen stand eine Rückkehr zu den beliebten Vierbeinern an. Die 50er waren vorbei und Walt wurde – gerade nach den enttäuschenden Einspielergebnissen von Sleeping Beauty – von mehreren Seiten nahegelegt, die Animations-Abteilung auf Eis zu legen und den Fokus auf Live-Action, das populärer werdende Fernsehen und den Themenpark zu legen. Dieser wollte sich allerdings nicht von dem Konzept trennen, das ihm einst Erfolg und Ruhm brachte. Es sollte nur wenn möglich ein bisschen billiger sein. Und nicht mehr ganz so häufig.

So kam eine neue Technik ins Spiel, die den Stil der Studios für die nächsten zwei Jahrzehnte prägen würde: das Xerox-Fotokopier-Verfahren, mit dem man die Zeichnungen direkt auf den Film bzw. die Hintergrundmalereien übertragen konnte und nicht mehr jede einzelne händisch mit Tinte ausmalen lassen musste. So verloren zwar mit einem Schlag zahlreiche Arbeiter („Inker“) ihren nicht mehr zeitgemäßen Job, langfristig konnte das Unternehmen aber günstiger und vor allem wesentlich zeiteffizienter produzieren.

Bei One Hundred and One Dalmatians tat Walt seinen Zeichnern dennoch keinen großen Gefallen, immerhin mussten diese den 101 Dalmatinern für jede Zeichnung immer wieder die ganzen Punkte verpassen, was allein schon unzählige Stunden gedauert haben dürfte. Das Ergebnis kann sich allerdings sehen lassen und überzeugt wieder in einem ganz anderen Look als die beiden vorangegangenen Werke. Der skizzenhafte Charakter der Zeichnungen in Verbindung mit den bewusst simpel gehaltenen Inneneinrichtungen der zahlreichen Locations haben so einen lässigen Lo-Fi-Charme, der im krassen Gegensatz zu dem Prunk von Sleeping Beauty steht, eine tolle Symbiose mit dem erstmals zeitgenössischen Setting und dem prima eingefangenen Flair Londons seiner Zeit eingeht und dabei auch überhaupt nicht darüber hinwegtäuscht, wie viel Arbeit und Liebe in die Gestaltung geflossen ist.

Da lässt es sich auch einfacher darüber hinwegblicken, dass nach einer beeindruckenden Opening-Sequenz und einem einmalig brillanten ersten Drittel der Rest des Films deren charmierende Vorzüge einer fesselnden, aber auch etwas gehetzten Befreiungsaktion zum Opfer fallen. Bei 101 Dalmatinern ist es auch selbstverständlich nicht so einfach, große Persönlichkeiten herauszuschreiben, was wiederum von den tollen Nebenfiguren und den lustigen und verrückten Bösewichten um Mastermind und devil in disguise Cruella de Vil aufgefangen wird.

Man kann leicht nachvollziehen, warum One Hundred and One Dalmatians besonders unter dem jüngeren Publikum einen großen Favoriten darstellt. Süße Tiere, ein angenehmer Humor und viel Spannung lassen aber nicht nur die Herzen der Kinder höherschlagen. Wenn auch nicht mehr ganz so hoch in meiner Gunst wie vor zwanzig Jahren, markiert der Film doch auf ganz besondere Weise einen Paradigmenwechsel und einen Aufbruch in eine neue Ära.

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