Antwort auf: Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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THE SHANGRI-LAS – Shangri-Las-65! (1965)

Sie waren ganz oben, hatten kurzzeitig alles. Und doch war die Karriere der Shangri-Las nach lediglich einer kurzen erfolgreichen Phase mit drei Singles in den Top 10 (Remember (Walking In The Park) #5, Leader Of The Pack #1, I Can Never Go Home Anymore #6) der US-Charts und diversen Touren mit den erfolgreichsten Acts ihrer Zeit wie den Beatles oder Stones zum Scheitern verurteilt, dementsprechend bald vorbei. Nur wenige Jahre später nämlich, als sich zu rasant schwindender Relevanz auch noch innere Querelen, Probleme mit dem eigenen Label und ein sich aus dem Staub machender Produzent gesellten. Tantiemen hatten sie auch zu wenige bekommen und so kam 1968, nur drei Jahre und lediglich ein paar Singles nach dem Triumph in den Charts, das endgültige Aus. Obwohl die Shangri-Las heute nicht die Bekanntheit genießen, die sie eigentlich verdienen, steht ihr Name untrennbar mit einer der spannendsten musikalischen Visionen ihrer Zeit verknüpft.

Auf den zwölf Tracks der LP erkunden die Shangs so ziemlich alles, was 1965 für eine Girl Group mit kommerziellen Ambitionen auszuloten war. Da wäre etwa der kleine Motown-Flirt mit Opener Right Now And Not Later, auf dem Bandleaderin Mary Weiss zwischen luxuriösen Bläsern, einer verspielten Orgel und der lässig groovenden Rhythmusabteilung die Oberhand behält und ihre Kolleginnen mitreißt. Oder das unheilvoll dröhnende Lament von Never Again, das mit wuchtigen Trommeln eine enorme Intensität aufbaut. Außerdem wäre da auch der atmosphärische Rhythm & Blues von I’m Blue, einer Adaption des Hits von Ike und Tina Turner, von Mary Ann Ganser vorgetragen. Was sich auf dieser Nummer musikalisch alles abspielt, mag auf den ersten, aus heutiger Sicht gerichteten Blick vielleicht gar nicht so spektakulär erscheinen, diese tanzbare Mischung aus umtriebiger Orgel, transzendent schräg klingenden Saxophon und Tamburin so sehr Sixties wie kaum etwas anderes aus der Zeit, gleichzeitig aber frisch und bis heute unverbraucht. Ein angenehmes Paradox jedenfalls, das sich beim Genießen der mächtigen Arrangements und Mortons Produktionsarbeit immer auftut. Das Gros des Albums besteht wenig überraschend aus beschwingten Pop-Hymnen in der einzigartigen Interpretation der Shangri-Las. Give Us Your Blessings skizziert die Geschichte von zwei Liebenden, die vergeblich den Segen der Eltern erbitten und auf ihrer Flucht von Zuhause tödlich verunglücken. Der Zauber liegt auch hier im erhabenen Soundgewand und vor allem im blinden Verständnis zwischen den Stimmen im Vorder- und Hintergrund. Zeitlos, wären da nicht diese Donnergeräusche mittendrin. Zeitlos, ja – und cool. Genau wie das Pfeifen der Lok in The Train from Kansas City, das mit seinen euphorisierend schönen Hooks dem klassischen Girl Group-Sound recht nahekommt. Ebenso wie Out In The Streets, dessen gefühlvolle Harmoniegesänge bereits im ersten Kontakt mit der unbeeindruckten Bass-Line eine himmlische Allianz eingehen. Besser trifft diese Beschreibung nur auf das passend betitelte Heaven Only Knows zu, auf dem Mary Weiss einen exzellenten Auftritt hinlegt und die restlichen Damen zu einer der schönsten Melodien der Dekade immer adäquate Antworten bzw. sinnliches Summen parat haben.

Wie schon am Erstwerk hat auch hier Shadow Morton als Produzent seine Finger tatkräftig im Spiel. Und hilft mit diesen, dass die Shangri-Las unter den Girl Groups der 60er die in meinen Ohren eigenständigste und schlicht beste sind. Denn neben den stimmgewaltigen Konkurrentinnen von den Supremes und dem glamourösen Pomp der von Phil Spector produzierten Ronettes wirkt das New Yorker Quartett mit seinen Songs über teenage angst (endlich kann ich den Begriff auch mal verwenden), verstorbene Angebetete und sonstige melodramatische Jugendepisoden wie einer anderen Parallelwelt, einer fremden Realitätsvorstellung entsprungen. Zudem die toughe Attitüde der vier Damen einen krassen Kontrast zum sehr damenhaften Auftreten der anderen Girl Groups darstellt, was sich aber auf den ersten Blick nicht zwangsläufig auf ihren beiden LPs und den sonstigen Singles widerspiegelt. Das liegt auch daran, dass die Leute die überspitzten, überdramatisierten Darstellungen der Schwestern Weiss und Ganser nicht so ganz durchschauen. Naive, in den Raum gestellte Fragen wie „what’s a girl supposed to do but kissing?“ (What’s a Girl Supposed To Do) leben nämlich von überzeichneten Rollenbildern, der famosen Produktion und der Harmonie der Sängerinnen.

Die zweite und bessere LP der Shangri-Las ist in meinen Augen wirklich DAS verlorene Meisterwerk der 60er, das in Sachen Arrangements, Produktion, Songs und gesanglicher Darbietung zu dem besten gehört, was das letzte Jahrhundert hervorgebracht hat – ganz zu schweigen von seinen kosmischen Melodien. Über dieses Vermächtnis der coolsten Girl Group könnte gerne wesentlich öfter geschrieben werden.

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