Antwort auf: Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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JAMES TAYLOR – Sweet Baby James (1970)

Unter den vielen Künstlern, die mich in entscheidenden Phasen meines Lebens geprägt haben, nimmt James Taylor eine sehr späte, aber umso signifikantere Rolle ein. Ich war mit seinem Werk praktisch überhaupt nicht vertraut, als ich im März 2018 eine folgenschwere Reise gen Osten antreten sollte.

Zwar war ich zuvor bereits zwei Mal in Japan gewesen und mit den dortigen Gepflogenheiten bestens vertraut, diesmal sollte es aber doch anders werden. Immerhin hatte ich nach fast neun Jahren Beziehung, die bis in meine Schulzeit und de facto bis in meine Pubertät zurückreichte, einen Punkt erreicht, an dem ich aus meinen alten Gewohnheiten, meinen Routinen und grundsätzlich aus der veralteten Version meiner selbst ausbrechen wollte. Nach meinem Uni-Abschluss im Herbst 2017 fühlte ich mich in eine Art Vakuum gefallen und ich tat mir schwer, die plötzlich weggefallenen Verpflichtungen in adäquater Weise zu ersetzen.

Damals wusste ich es nicht besser und sah den einzigen Weg, meine persönliche Weiterentwicklung voranzutreiben, in einer Lösung von den alten „Ketten“ und einer Neuausrichtung für die Zukunft. Heute, fast vier Jahre älter und erfahrener, weiß ich, dass ich auch auf anderen Pfaden zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen hätte können. Ich bin trotzdem sehr glücklich, diese Erfahrung gemacht zu haben und meine damalige Freundin ist heute so etwas wie eine beste Freundin für mich, obwohl es für sie eine ganz schlimme Zeit war. Dafür bin ich sehr dankbar.

Für mich war es selbstverständlich keinen Deut weniger schlimm. Dieses Thema hatten wir über mehrere Monate besprochen und besagte, sechswöchige Japan-Reise wollte ich mir schließlich als Bedenkzeit für eine Entscheidung nehmen, die ich dann auch treffen sollte. Heute blicke ich zurück auf diese sechs Wochen als eine der intensivsten, emotionalsten und lehrreichsten Erfahrungen in meinem Leben. Seinerzeit waren das allerdings sechs Wochen mit voller Birne und die meiste Zeit über einsam und etwas verloren in den Straßen Japans. Meine Tagestrips, die ich von meiner Base in Ōsaka nahezu täglich startete, führten mich in den Norden von Honshū genau wie nach Shikoku, Wakayama oder um alle möglichen Ortschaften um den Biwa-See. Es war in dieser schwierigen Phase eine Zeit emotionaler Verlorenheit, gleichzeitig aber auch eine in einem Ozean aus melancholischer Schönheit, in dem ich – mit allen Möglichkeiten und Freiheiten eines (in diesem Frühling einigermaßen) finanzkräftigen und japanisch-sprechenden Touristen gesegnet, aber doch von Früh bis Spät in meinem Gedanken verloren – allein auf einem Floß dahintrieb.

Ganz allein war ich aber nicht. Erstens wohnte ich bei einem Freund, mit dem ich gemeinsam studiert hatte und mit dem ich zumindest nachts immer Zeit verbringen konnte, andererseits hatte ich da diese Stimme im Ohr. Sie gehörte zu einem Typen, der in seinen frühen 20ern noch viel verlorener war als ich damals mit 25. Ein Typ, der wie ich in meiner Jugend trotz relativer Beliebtheit auch immer das Gefühl hatte, nicht so ganz dazuzugehören. Dessen Weg über Depressionen, Abhängigkeiten, zwischenzeitlicher Obdachlosigkeit und Entzügen schon sehr früh zu Weltruhm führen sollte. Noch nicht als erster Nicht-Brite bei Apple Records, sondern schließlich als Warner Bros.-Dauerbrenner in den 70ern.

Auch heute noch fühle ich die tiefe Melancholie, die zwischen Taylors Stimme und meinem Herzen resonierte. Wie konnte dieser junge Mann auf Sweet Baby James mit 21 schon so gezeichnet vom Leben klingen, wie konnte er perfekte Songs wie den Titeltrack oder Fire and Rain schreiben und wie konnte ich mich in diesem Frühling 2018 so fühlen, als hätte ich dieselbe emotionale Reise durchlebt wie dieser Jungspund mit der einfühlsamen Stimme und den charmanten Melodien, dessen fröhlichere Stücke immer noch einen melancholischen Unterton mit sich brachten. In diesen sechs Wochen habe ich James Taylor als Künstler und Person ins Herz geschlossen und Sweet Baby James lieben gelernt, mich in all seinen Songs in irgendeiner Form wiedergefunden, von ihnen trösten oder noch tiefer ins Unheil stoßen lassen. Man sieht zwar selbst auf dieser, seiner wohl nicht nur für mich besten LP, dass Taylor nicht durchgehend großartige Songs schrieb (und sein kreatives Pulver für die höchsten Weihen auch direkt wieder verschossen hatte), aber seine besten Momente und er selbst in Kombination mit Gastmusikern wie Red Rhodes an der Steel Guitar oder Carole King am Klavier machen sein zweites Album auch ungeachtet meiner persönlichen Geschichte zu einem umwerfenden Erlebnis. Und die Kirschblüte mit Blossom im Ohr im riesigen Schlosspark der Ōsaka-Burg zu erleben, ist ein unvergesslicher Moment. Seit dieser Zeit habe ich keinen Künstler häufiger gehört als James Taylor (s. den Review von Two-Lane Blacktop):

Deep greens and blues are the colors I choose
Won’t you let me go down in my dreams?

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