Antwort auf: Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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Das neue Jahr ist angebrochen, die Restfettn – wie man bei uns sagt – längst abgeklungen. Zeit für den ersten Eintrag hier. Ich wüsste nicht, was sich dafür besser eignen könnte, als eine Würdigung dessen, was mich am längsten begleitet (und glücklicherweise im Forum überhaupt nicht stattfindet): die Filme aus der Hauptreihe der Walt Disney Animation Studios.

Damit der Auftakt gleich ein ambitioniertes Projekt lostreten kann, werde ich das mittlerweile schon 60 Werke fassende Oeuvre chronologisch anpacken und meine kurzen Besprechungen in hoffentlich halbwegs regelmäßigen Intervallen fortführen. Wohlan.

Snow White and the Seven Dwarfs (David Hand et al.; 1937)

Der Film, mit dem sehr viel angefangen hat, mit dem das Studio seinen Wirkungsradius von short cartoons zu abendfüllenden Spielfilmen erweiterte und mit dessen überraschenden Erfolg der Grundstein für ein späteres Imperium gelegt werden konnte. Man muss sich nicht erst Making Of’s anschauen um nachvollziehen zu können, wie viel Pionierarbeit und Liebe in diesem Werk steckt. Wie viele Stunden und Hirnzellen aufgewendet werden mussten, um an der Umsetzung jedes technischen Aspekts von der Animation selbst über Ton und Spezialeffekte zu forschen. Sich vorzustellen, wie die Zeichner im Studio die Bewegungen von Schauspielern studierten um die Bewegungen realistischer zu machen als in den bisherigen Cartoons, nötigt mir bereits riesigen Respekt ab. Dieser Film sollte eben ein Spielfilm sein, lediglich ein animierter, der aber nicht zu nahe an der Realität dran sein durfte. Unter den einigen hundert Mitarbeitern, die an dem Film arbeiteten, waren auch schon die legendären „nine old men“, die den künstlerischen Kurs für die nächsten Dekaden vorgeben und wirklich leben sollten.

Ich finde Schneewittchen in vielerlei Hinsicht herausragend. Nicht nur, dass diese neue Art des Spielfilms bereits bei seinem Debüt so nahe an der Formvollendung gelandet ist, auch unter vollständiger Nichtberücksichtigung, dass die beteiligten Personen aus der Erfahrung von dutzenden short cartoons plötzlich ein Werk dieser Güte aus dem Hut zaubern konnten, tun sich hier Welten der Schönheit auf. Die herrlichen Hintergründe, die liebevollen Charakter-Animationen (allein jedem einzelnen Zwerg distinktive Charaktermerkmale zu verpassen) und die Musik. Neid, Liebe, Horror, Aufopferung und noch vieles mehr, was die Crew aus diesem alten Märchen holen und auf die Leinwand projizieren konnte. Auch 85 Jahre nachdem die Leute ihren Augen nicht trauen konnten und tatsächlich im Kino wegen einem Zeichentrickfilm weinen mussten, hat Schneewittchen nichts von seinem bzw. ihrem Charme eingebüßt.

Der Erfolg gab Walt recht. Er hatte der Häme Hollywoods getrotzt und der Filmgeschichte einen dicken Stempel aufgedrückt. Meine VHS habe ich als Kind und Jugendlicher zur Unspielbarkeit ausgenudelt, auf Blu Ray ist das (wie etliche andere aus der Reihe) immer noch zumindest einmal im Jahr Pflicht.

Pinocchio (Ben Sharpsteen et al.; 1940)

Wer kennt sie nicht, diese liebe und naive Puppe aus Pinienholz, die von einem Schlamassel in den nächsten gerät und dabei die Abgründe der Leute schonungslos aufdeckt? Speaking of Formvollendung. Ist es schon unglaublich beeindruckend, über die Entstehung, die Existenz an sich und das Vermächtnis von Snow White nachzudenken, so ist das zweite Werk vor allem eines: Eine Verbesserung auf jeder erdenklichen Ebene. Nach dem Überraschungserfolg waren mehr Ressourcen vorhanden, gerade in technischer Hinsicht ist Pinocchio einen ordentlichen Schritt weiter. Mit dem erstmaligen Einsatz der Multiplan-Kamera konnte man eine ungekannte räumliche Tiefe einfangen und mit Walts weder Kosten noch Mühen sparenden Vorstellung, den Mitarbeitern möglichst viel Zeit für die Produktion einzuräumen, wurde am Ende ein Spielfilm geboren, dessen Liebe für das Detail überwältigenden Ausmaßes ist. Man braucht sich nur anschauen, wie detailliert jede einzelne der Uhren in Gepettos Haus ausgearbeitet ist oder wie herrlich der Wal Monstro animiert wurde. Und das ist ja erst der technische Aspekt… Über den emotionalen brauche ich bei diesem Werk gar nicht viel zu erzählen, nicht zuletzt die für den Film in den Fokus gerückzte Figur der Grille Jiminy ist immer wieder ein Fels in der Brandung, zu dem man immer wieder für Trost und Rat zurückkehren kann.

Spannend ist für mich nach wie vor auch zu sehen, wie verstörend der Film wirkt. Ich persönlich sehe Zeichentrick- und Animationsfilme zwar nicht als Kinderfilme, selbstverständlich ist das aber auch eine riesige Zielgruppe. In der Welt von Pinocchio wird man für seine Tugendhaftigkeit zwar belohnt, das Böse aber nicht bestraft. Heute könnte wohl kein Film mehr gedreht werden, in dem unartige Jungen in Eseln verwandelt und nach Nicaragua verschifft werden. Der eine hat seine Lektion zwar gelernt, für die anderen war es das aber.

Obwohl ich auch diesen Film und seine Figuren seit meiner Kindheit glühend verehre und wie einige andere auch locker 80 Mal gesehen habe, habe ich in den letzten Jahren noch eine neue Perspektive auf die Qualitäten von Pinocchio bekommen. Besonders die Fortschritte in den drei Jahren nach Snow White and the Seven Dwarfs sind bemerkenswert und was u.a. die „nine old men“ Milt Kahl, Marc Davis, Frank Thomas, Eric Larson, Ollie Johnston, Wolfgang Reitherman, Les Clark, Ward Kimball und John Lounsbery hier geleistet haben, ist nicht weniger als atemberaubend. Obgleich man nach dem ersten Kassenschlager schon sehnsüchtig auf den Nachfolger gewartet hatte, war Pinocchio in seinem ersten Run kein ähnlicher Erfolg gegönnt und wurde – in Zeiten von WWII – zum schmerzlichen Verlustgeschäft für das Studio.

Fantasia (Samuel Armstrong et al.; 1940)

Nicht viel billiger in der Produktion, aber noch schlechter an den Kinokassen lief der erste Kinostart für Disneys nächstes höchstambitionierte Projekt. Zur Musik des von Leopold Stokowski dirigierten Philadelphia Orchestra versammelt Disney mehrere Kurzfilme unterschiedlichster Stimmungsart, die den zentralen short „The Sorcerer’s Apprentice“ ummanteln, mit dem Walt den allmählich an Beliebtheit einbüßenden Mickey Mouse eine neue Bühne bieten wollte.

Wie das bei zwei Stunden klassischer Musik und zwischenzeitlicher Narration aus dem Off so ist, bietet Fantasia zwar durchaus eine emotionale, viel mehr aber noch eine intellektuelle Reise durch Raum und Zeit. Die Symbiose aus der Musik von Bach, Tchaikovsky oder van Beethoven funktioniert, die Bilder, die wir sehen, reichen von abstrakter Fingerübung über intensive Weltentstehungsepik bis hin zum ergreifenden Finale am Bald Mountain, dessen düstere Nacht sich schließlich in zurückgekehrter Hoffnung und dem Licht des Ave Maria auflöst.

Fantasia hatte ich mir als Kind in der Videothek ausleihen dürfen, war nachhaltig verstört, aber irgendwie auch fasziniert von dem, was da vor meinen Augen passierte. Kurze Zeit später ließ ich mir dann eine VHS (DVDs waren da gerade erst im Anrollen und mir noch kein Begriff) besorgen und nudelte auch die weiter tot. Wenn ich mich nicht gerade chronologisch durch das Disney-Werk schaue, hebe ich mir Fantasia mittlerweile aber für die seltenen und richtigen Momente auf, in denen ich mich der Atmosphäre des Filmes lieber hingeben würde, als jeder anderen auf der Welt.

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