Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

#11661501  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,063

Neue Konzertreihe Zürich – 11. Dezember 2021 – Zürich, Tonhalle

European Philharmonic of Switzerland
Charles Dutoit
Leitung
Martha Argerich Klavier

IGOR STRVINSKY Jeu de Cartes
MAURICE RAVEL Klavierkonzert G-Dur

ANTONÍN DVOŘÁK Sinfonie Nr. 9 e-Moll op. 95 «Aus der neuen Welt»

Bevor es mir untergeht – sind grad strube Zeiten und Tage und ich hab’s die ganze Woche nicht geschafft, viel kriege ich auch heute nicht hin, aber ein paar Sätze. Das Orchester ist eine seit 2015 bestehende Nachfolgeorganisation des 1987 von Claudio Abbado gegründeten Gustav Mahler Your Orchestra – und es ist in der Tat auffällig, dass da alles Leute um die 30 oder 35 sitzen (ein paar jüngere und ein paar ältere sind schon dabei, aber nicht wie z.B. beim Tonhalle-Orchester alles von Anfang 20 bis Mitte 60). Der Saal war praktisch ausverkauft (leer gebliebene Plätze gab es da und dort, hoffentlich bloss, weil es manchen unter den Umständen nicht mehr geheuer war … war es mir auch nicht, aber endlich mal Argerich auf der Bühne … immerhin gab es keine Gastronomie mehr und die Maskenpflicht wurde von fast allen korrekt befolgt).

Los ging es beschwingt mit dem Stück von Stravinsky, inspiriert von einer seiner Lieblingsbeschäftigungen zur Erholung: dem Pokerspiel. Ich glaube nicht, dass ich das Werk davor schon gehört habe (live sowieso nicht), aber ich fand’s auch wenig inspirierend – am Ende halt eher eine Überlange Ouvertüre vor dem Auftritt der Solistin … die hatte es dann in sich: ich fand es höchst faszinierend, die Leichtigkeit zu sehen, mit der Argerich noch die lautesten und prägnantesten Passagen spielte (wie üblich ganz aus der Nähe, erste Reihe etwas links der Mitte, also quasi vor dem ersten Pult im Klavierkonzert, vorm zweiten wenn sie wieder nach vorn rückten, nachdem der Steinway weggerollt). Es wirkte, als würden ihre Hände die Tasten kaum berühren – uns so erklang das eh geschätzte Ravel-Konzert in einer höchst präzisen und wunderbar zupackend gespielten Version. Die Verbindung von Argerich und Dutoit hat all die Jahre überlebt, ihre Blicke trafen sich ein paar Male und auch am Ende war klar, dass die beiden kaum Worte brauchen dürften, um sich zu verstehen. Als Zugabe spielte Argerich die Nr. 7 aus Chopins Préludes Op. 28 – kaum eine Minute lang … und wie ich fand arg zerdehnt. Aber egal, sie liess sich eh bitten und zierte sich ein wenig … danach Pause.

Nach der Pause Dvoráks neunte – in wie mich dünkte sehr schnellem Tempo gestartet, und am Ende so laut, dass mir die Ohren noch eine Stunde später zuhause etwas pfiffen (wie gesagt: erste Reihe – auf den richtig teuren Plätzen so ab Reihe 10 oder 12 war es vermutlich nochmal lauter, weil vorn ja einiges über den Köpfen durchziehen dürfte?). Dutoit wirkte dabei wie schon im Stravinsky zwar irgendwie charismatisch aber auch so ziemlich wie das Gegenteil eines Sympathieträgers. Er tänzelte auf dem Podium herum und mich überkamen leider immer wieder Eindrücke, dass der alte Womanizer (er wurde Anfang Oktober 85) noch nicht ganz gemerkt hat, dass die Zeit vorbei sein dürfte (und ja, wie man hört ist „Womanizer“ eine Verniedlichung … ich weiss nichts Genaueres, habe ihn auch erst einmal gehört, als er vor nicht ganz fünf Jahren mit Julia Fischer das zweite Violinkonzert von Bartók und die Vierte von Tschaikowski gab – damals war ich v.a. von Fischers Bartók sehr angetan, sass bzw. stand aber weit hinten auf der Galerie und kriegte von Dutoit wenig mit). Aber es wurde bei Dvorák dann schon sehr klar, wie ernst die Sache für ihn immer noch war, mit wie grossem Engagement er dabei war. Aber die Lautstärke war am Ende wirklich heftig – auch wenn sie das Gefüge im Orchester nicht gross gestört hatte (die Holzbläser waren vielleicht da und dort eine Spur zu wenig deutlich zu hören, mag sein, aber das fiel auch nicht gross ins Gewicht). Wuchtig war’s, dem Publikum gefiel’s – mir war’s ein wenig zuviel.

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba