Antwort auf: Wetten, dass

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bullitt

Registriert seit: 06.01.2003

Beiträge: 20,633

@herr-rossi @bullschuetz
Sorry, komme in letzter Zeit nicht so recht dazu mich hier ausführlicher zu äußern.

Der WOZ-Artikel überzeugt mich auch gar nicht. Daub versucht den Begriff „Cancel Culture“ als unlauteren Kampfbegriff zu entlarven, redet aber gleichzeitig unumwunden von den gebeutelten „Boomerseelen“. Die Argumentation dient doch eher der dazu, die ideologische Ausrichtung des Autors zu unterstreichen, als einem Interesse am eigentlichen Thema.

Dass der Begriff „Cancel Culture“ medial unscharf benutzt und auch gerne instrumentalisiert wird, ist doch eine Binsenweisheit und soll doch bitte nicht ernsthaft das nicht Vorhandensein des Problems belegen, oder? Es als Antiamerikanismus abzutun, wenn Entwicklungen in den USA als Blaupause für europäische interpretiert werden, ist nicht minder abenteuerlich. Als wären die Themen und Vokalen aus den woken US-Debatten hier nicht längst omnipräsenter Standard. Nach einer Umfrage im Oktober sehen sich auch hierzulande 40 % der deutschen Hochschullehrer unter Druck des aktuellen Meinungsklima. Und auch hier im Thread waren sich doch  längst alle einig, dass die US-Debatte einen unguten Einfluss hat. Von früheren soziopolitischen Parallelen zwischen den USA und Europa mal ganz zu schweigen.

Ich habe bereits auf die Journalistin Bari Weiss verwiesen, die als amerikanische Journalistin sehr tief in der Thematik steckt und aus dem Inneren des Diskurses in den USA ein ganz anderes Bild zeichnet als Daub, der das alles als Obsession der deutschen Medienlandschaft verkaufen will. Weiss hat oft beschrieben, wie sehr sich die toxisch linke Identitätspolitik inzwischen in die US-amerikanische Gesellschaft gefressen hat. kann ich gerne verlinken, ist aber hinter einer paywall.

@bullitt Als ich das las, musste ich schmunzeln. Als ich neulich im Identitätspolitik-Thread auf den Fall Stock hinwies, ist mir das sauber abmoderiert worden. Sinngemäß hieß es, mit Stock habe es nicht ganz die Falsche getroffen und Twitter sei halt eine schlimme Schreiblase.

Hat es mit Dr. Seuss, Eugen Gomringer oder Frank Miller auch die richtigen getroffen? Beneidenswert, wenn man sich das noch als vermeintlichen Einzelfall, bei dem man irgendwie d’accord geht, schönredenreden kann. Ich sagte ja bereits, erinnert mich an Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch. Und ja, Harald Schmidt wäre so heute kaum denkbar und das hat er früh kommen sehen. Der „Nazometer“ ist Realität geworden und heißt heute Twitter.

Ich war immer „im Zweifel links“ und gedenke, das auch für den Rest meines Lebens so zu halten.

Danke für deine persönlichen Einblicke. Ich wollte dir auch eigentlich nie unterstellen, dass du kein differenziertes Bild hast. Sonst hätte ich mich wohl auch gar nicht auf Diskussionen hier eingelassen. Und natürlich sind es immer auch direkte und unmittelbare Erfahrungen, die das eigene Bild prägen. Daher nachvollziehbar, dass du aufgrund deiner Erfahrungen gewisse Begrifflichkeiten ablehnst. Ich würde auch lieber auf neutrale Begriffe ausweichen, die noch nicht konnotiert sind, sofern es die gäbe.

Ich selbst finde das von Wagenknecht beschriebene „lifesytle -linke“ Milieu, in dem ich mich bewege, inzwischen genauso beengend, moralisierend und restriktiv wie das der piefigen mittelhessischen Provinz, in der ich aufgewachsen bin. Daher habe ich mich unlängst bewusst für die politische Heimatlosigkeit entschieden und zelebriere seitdem mein Reaktanzverhalten in alle Richtungen (und ich war nur nicht nur im Zweifel links). Bei gelegentlichen Besuchen in meinem Heimatdorf triggere ich die frühen Metalfreunde mit einem Tocotronic-Shirt, hier droppe ich bei bestimmten Leuten mal eine ganz bewusst gekaufte Tafel Nestlé-Schokolade, um deren Selbstgerechtigkeit hervorzuzaubern, nur, um mich mit keiner beschränkten Geisteshaltung gemein machen zu müssen. Aber hier lasse ich das zukünftig – versprochen. ;-)

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