Antwort auf: Literarische Begegnungen (Lesungen)

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ford-prefect
Feeling all right in the noise and the light

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Philipp Dallach „Future Sounds“ und Andreas Dorau, Centralstation Darmstadt, 30.9.2021

Gestern war ich in der Centralstation in Darmstadt, denn dort, im Saal im dritten Stockwerk, las der freie Journalist Philipp Dallach, der zum Beispiel für Spiegel-Online tätig ist, aus seinem Sachbuch „Future Sounds“ vor, das sich mit Entstehung und Geschichte des Krautrocks beschäftigt. An seiner Seite saß Co-Moderator Andreas Dorau, der sofort Feuer und Flamme für das Buch war, wodurch der Kontakt zu Publizist Dallach zustande kam. In seinem Lichtbild-Vortrag ging der Schriftsteller darauf ein, wie er 1979, als er noch bevorzugt The Stranglers und Sex Pistols hörte, unverhofft seine Vorliebe für Krautrock entdeckte: In einem Gewinnspiel gewann der einstige Jugendliche eine signierte Schallplatte von Holger Czukay, nämlich das Album „Movies“. Durch diese Platte eröffnete sich ihm ein ganz neuer Kosmos an fremden Klängen, Dallach war infiziert. Überhaupt spielt der metaphorische Begriff „Kosmos“ in dieser Musikgattung ja eine elementare Rolle. Von dieser Platte spielte der Gastredner den Song „Persian Love“ über seinen Laptop als Soundbeispiel ab. Aufgrund seines Buchprojektes kam Dallach in den Genuss, zahlreiche Interviews mit Protagonisten dieses Genres führen zu dürfen, von denen einige kürzlich verstorben sind, etwa Holger Czukay und Jaki Liebezeit. Es sind somit die letzten wörtlichen Aufzeichnungen dieser verblichenen Musiker. „Musik bildet die Gesellschaft ab, in der sie entsteht“, erläuterte Journalist Christoph Dallach in der launig-lustigen Runde vor knapp 30 Besuchern. Zwischendurch zitierte er Brian Eno, der gesagt haben soll: „Den Begriff Krautrock mochte ich noch nie, er erinnert mich an die Kriegszeit.“ Denn im Zweiten Weltkrieg war der Ausdruck „Kraut“ eine unter britischen und amerikanischen Soldaten beliebte Bezeichnung für die Deutschen – in der Annahme, die Deutschen ernährten sich hauptsächlich von Sauerkraut.

Da in der Krautrock-Szene der Konsum von Drogen, etwa LSD, weit verbreitet war, blieb es nicht aus, dass etliche Szene-Musiker daran seelisch erkrankten, weshalb Anfang der 1970er Jahre diese Patienten häufig in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin landeten, die man umgangssprachlich „Bonnie’s Ranch“ nannte. Gaben Tangerine Dream ein Konzert, ließen sie einen Dia-Projektor mitlaufen, auf dessen Dias sie Farbtropfen träufelten, damit psychedelisch verfremdete Bilder auf den Bühnenhintergrund geworfen wurden. Dazu spielte Publizist Dallach den Videoclip „Bathtub Session“ von Tangerine Dream aus dem WDR-Fernsehen über den Saal-Beamer ab. Als erste Adresse für Aufnahmen habe damals Produzent Thomas Kessler mit seinem „Electronic Beat Studio“ in Berlin gegolten, neben Conny Plank bei Köln oder Dieter Dierks. „Can war Trance, Amon Düül war Ekstase“, las Schriftsteller Christoph Dallach aus seinem Buch „Future Sounds“ vor, die eine Oral History darstellt. Darüber hinaus führte er als Videoclip den berühmten Wutausbruch vor von Ton Steine Scherben-Manager Nikel Pallat während einer Fernsehdiskussion mit Musiktheoretiker Rolf-Ulrich Kaiser mit einem mitgebrachten Beil, das Pallat zückte, um den Tisch der Runde zu zerhacken … nicht wissend, dass der Tisch nicht aus Holz, sondern aus einem harten unkaputtbaren Material bestand, weshalb sich Pallat wie ein Rumpelstilzchen vergeblich daran abmühte. Dieser legendäre TV-Auftritt gebe jedoch ein falsches Bild wider von Nikel Pallat, der in Wirklichkeit höflich und zuvorkommend sei und noch heute in der Musikbranche in verantwortlicher Position arbeite. „Wo ist das nächste spannende Konzert? Ich will mit“, sei ein Standardsatz von ihm. Musikfachmann Rolf-Ulrich Kaiser gelte dagegen als verschollen, niemand weiß, wo der abgeblieben ist. Es geht das Gerücht um, dass er irgendwo in einem Kloster versteckt lebt … oder dass er bereits tot ist. „Rolf-Ulrich Kaiser war der Diedrich Diederichsen der 1970er Jahre, der unter anderem für Konkret schrieb“, schilderte Vortragsredner Christoph Dallach.

Nach einer Stunde gesellte sich auf der Centralstation-Bühne der Musiker Jörn Elling Wuttke dazu, der ebenfalls aus dem Nähkästchen plauderte, dass die Band Suicide von Alan Vega und Martin Rev nicht unerwähnt bleiben darf. Elling selbst soll mit seinem Projekt „Alter Ego“ und dem Track „Rocker“ mal einen Szene-Hit gelandet haben, mir war der Musiker bislang unbekannt.

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Wayne's World, Wayne's World, party time, excellent!