Antwort auf: Wen habt Ihr am häufigsten live gesehen?

Startseite Foren Das Konzert-Forum: Wann, wer und wie Und so war es dann Wen habt Ihr am häufigsten live gesehen? Antwort auf: Wen habt Ihr am häufigsten live gesehen?

#11568913  | PERMALINK

man-called-sun

Registriert seit: 11.11.2007

Beiträge: 369

Letztlich starben neun Menschen. Schrecklich.

Roskilde war unser Lieblingsfestival – von Norddeutschland nicht weit hatte man dort eine ganz andere Simmung als auf deutschen Großveranstaltungen; alle waren friedlich, entspannt, tolerant und musikalisch-kulturell interessiert.

An dem Freitag war ich zunächst noch bei Travis, bin dann aber frühzeitg los zur „Orange Stage“ um noch möglichst weit nach vorne zu kommen bei Pearl Jam. Die Menschen strömten zur Hauptbühne (die man den Stones Ende der 70er mal abgekauft hatte) und die Luft war feucht vom Regenwetter. Pearl Jam waren seit 1996 nicht mehr in Europa und die Fans heiß. Entsprechend war es schon hinten ziemlich voll und mir wurde schnell klar, dass ich nicht nah an die Bühne kommen würde. Ok (und im Nachhinein wohl auch mein „Glück“). Mit Beginn des Konzerts viel mir auf, dass die Lautsprecher hinten nicht korrekt funktionierten: Pearl Jam legen los aber man hört sie kaum – viel zu lasch! Also doch noch weiter nach vorne, wollte man ja ohnehin. Unweit des Mischpults ging dann aber nichts mehr ohne Dritte die schon vorher dort standen zu stören, das wäre auch nicht meine Art. Hier war es ok, der Sound auch besser. Nach 20-30 Minuten nutzte Eddie eine Pause um die Zuschauer zur Ruhe aufzurufen, es ging ziemlich ab da vorne was man so sehen konnte aus der Entfernung und im Screen am Mischerturm. Bis hier hatten Pearl Jam auch eher härtere, schnelle Songs gespielt. Kein Wunder dass Ed anschließend nochmal um Rücksichtnahme auf die Nachbarn bitten musste. Die Fans waren wie gesagt hungrig nach den Helden aus Seattle und „Grunge“ stand für viele noch immer auch für Crowdsurfen und Euphorie durch Verausgabung. „Geht bitte 1-2 Schritte zurück, und nochmal, bitte geht zurück – einen Schritt und noch einen!“. Was kurz wirkte hielt nicht lange. Bei „Daughter“ stoppte die Band nach knapp einer Stunde dann komplett denn die Atmosphäre wurde nicht besser – im Gegenteil: Während der gesamten Show wurden dutzende Menschen vor der Bühne aus der Menge gezogen und verschwanden seitlich, aber mittlerweile staute es sich und der Bühnengraben wurde voller. Auch immer mehr Roadies liefen umher. Die Kamera lag auf dem Geschehen und Eddie blickte vor sich in den Pit. Plätzlich sackte er zusammen, fiel auf die Knie und hielt sich die Arme vors Gesicht. Die Kamera war dann weg aber es war klar dass er weinte.

Was mir schon aus der Entfernung dämmerte war jetzt deutlich: Einige der Körper die da über die Ballustrade gehoben wurden waren tot. Horror. Meine Herzensband auf meinem Herzensfestival – statt Triumph ein Drama. Acht (neun) Junge Menschen starben, eine Band stand am Rande ihrer Existenz und ein Festial verlor seine Unschuld. Und man selbst seine Orientierung. Es gab Ansagen dass das Programm auf den großen Bühnen für den Rest des Abends gestoppt sei und man am nächsten Tag wieder kommen möge um zu sehen wie es weitergeht. Es gäbe einen nächsten Tag … Auf sowas war niemand vorbereitet. Was tun – abbrechen und nach Hause fahren? Alle 80.000 Besucher gar? Ein großer Teil hatte ja hiervon erstmal garnichts mitbekommen.

Man lief rum wie betäubt, geeint im Schmerz dass etwas schreckliches passiert und etwas ganz Besonderes in einem kaputt gegangen ist. Auch wenn man niemand der Betroffenen persönlich kannte waren es doch du und ich. Und den matschigen Boden von der Orange Stage hatten wir alle unter den Schuhen. Dort vor Ort war man wenigstens zusammen mit Gleichgesinnten, geeint im Erlebten. Man war wie in einem emotionalen Vakuum. Am Samstag sang Lou Reed noch meine ich mich zu erinnern, aber letztlich lief das mehr nebenher. Bis schließlich am Sonntag kurz vor Ende Sigur Rós aus Island auf der kleinen „White Stage“ auftraten. Meine Freundin (nicht vor Ort) hatte sie mir empfohlen und was die jungen Herren da zelebrierten, war wie eine Reise durch Himmel und Hölle. Während ich seit Freitag immer mal lautlos geweint hatte, brachen hier kurzzeitig alle Dämme – die reinste Katharsis. Soetwas hatte ich noch nie erlebt und eine neue musikalische Liebe war geboren. Festivalleiter Leif Skov hatte Recht: „Three days of clouds and rain. Now on the fourth and final day the sun came out. Sun at last. Light at last. Let’s see it as a sign from outer space that light is stronger than darkness and that the music can play on.“

Das musste ich mal wieder loswerden, it’s been a while.

zuletzt geändert von man-called-sun

--