Antwort auf: Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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bullschuetz

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plattensammler Ich fand diesen Beitrag zu Thierses Aussagen recht treffend: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/die-identitaetspolitik-des-wolfgang-thierse-normalitaet-ist-die-cancel-culture-des-alten-weissen-mannes/26996920.html

Danke für den Link! In der Sache bin ich da allerdings ganz anderer Meinung.

Diesen Text empfinde ich zwar passagenweise durchaus als sehr bedenkenswert, gleichzeitig aber haargenau als lehrbuchreifes Musterbeispiel für die Maßlosigkeit der identitätspolitischen Linken, die ich oben beschrieben habe – eine Maßlosigkeit, die alles, was von der eigenen Haltung abweicht, mit dem moralischen Holzhammer zertrümmert, eine Maßlosigkeit, die zwischen Thierse und Hitler offenbar nicht mehr unterscheiden kann, eine Maßlosigkeit, die anscheinend mehr rhetorische Aggression gegen einen konservativ angehauchten Sozialdemokraten alter Schule entwickeln kann als gegen einen manifesten Rechtsextremisten wie Björn Höcke.

Ein paar Beispiele aus dem Text: Thierse wolle „jede Debatte über die bestehenden Verhältnisse abwürgen“, er betreibe „Cancel Culture“, er  trete ein für die „Vorherrschaft und selbstverständliche Überlegenheit der Norm“ (und wo immer das „absolut“ gesetzt werde, ende es „in einer Katastrophe“ – aha, gleich sind wir beim von Thierse angestifteten Völkermord), stelle sich in die Nähe von Trump und Bolsonaro – und weil der Autor sich sorgt, dass das alles immer noch nicht „woke“ genug sein könnte, setzt er  ein unterirdisch dämliches, vollkommen aus dem Ruder laufendes Wortspiel drauf: „Die Norm ist ein Fetisch aus Deutschland.“

Geht’s noch? Nein, so geht’s nicht. So nämlich wird Thierse mal eben via Paul Celan mit Hitler kurzgeschlossen und zum Advokaten der „Entmenschlichung“ gemacht. Da kann ich mir ein ebenfalls dämliches Wortspiel nicht verkneifen: Die Maßlosigkeit ist ein Grasdackel aus der Tagesspiegel-Redaktion.

Das ist genau das, was ich wirklich komplett Banane finde. So sorgt man argumentativ dafür, dass der Unterschied zwischen Thierse, Bolsonaro, Trump und Hitler nur noch graduell ist. Wer aber den Faschismus bereits wittert, wo jemand nicht ganz so woke ist wie man selber, dem gehen irgendwann die Worte aus für den wahren Faschismus – und auch die Mitstreiter im Kampf gegen die wirklich Bösen.

Im Übrigen hängt mir der auch in diesem Text wieder mal vorgebrachte Vorwurf vom „alten weißen Mann“ zum Halse raus.

Stellen wir uns nur mal kurz vor, wir würden ein Argument, das Alice Hasters vorbringt, aburteilen mit dem Hinweis, das Geschwätz sei „typisch Frau“, und so einen Unsinn könne auch „nur eine Schwarze“ erzählen – wären wir uns da etwa nicht einig, dass es sich um Rassismus und Sexismus der allerdümmsten und allerselbstgefälligsten Sorte handelt?

Ich weiß, die identitätspolitische Linke findet den „Alter weißer Mann“-Vorwurf okay und lehnt den „schwarze Frau“-Vorwurf ab, denn der AWM sei ja privilegiert und die SF unterdrückt. Aber kann man so wirklich eine vernünftige Debatte führen?

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