Re: Motörhead

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whole-lotta-pete

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MOTÖRHEAD – On Parole

Läuft gerade bei mir öfter, da eine Neuerwerbung auf CD. War schon länger mal eingeplant, als Kassette schon bekannt, jetzt zurück auf meinem Schirm. Ich will sie mal besprechen:

Das weiße Album von Motörhead? Aber nur, wenn man eine hingebogen griffige Bezeichnung sucht. Eigentlich ist dieses Cover in der geradezu klassischen Aufmachung ein Produkt der 1997er Wiederveröffentlichung. Zuvor wurde das Album schon mehrfach auf den Markt gebracht, mit mindestens 3 verschiedenen Cover-Variationen, z.B.:

Letzteres stellt anscheinend die Erscheinungsform der 1979er Erstveröffentlichung dar. Doch entstanden ist das Album eigentlich als das wahre Motörhead Debüt. Nach der Gründung der Band im Jahr 1975 (ein guter Jahrgang, wieder einmal bemerkt) war dies das erste Album, aufgenommen 1975/76. Doch erscheinen sollte es wie gesagt erst 1979, denn die Band legte einen furiosen Fehlstart hin.

„Motörhead MK I“, das waren Lemmy (voc, bass), Larry Wallis (voc, guitar) und Lucas Fox (drums). Und Motörhead MK I, das hielt kaum von 12 bis zum Glockenschlag. Larry Wallis, Ex-Pink Fairies, Ex-Bloodwyn Pig und Ex-Sonstwas, verschwand nach dem Dazuholen des zweiten Gitarristen „Fast“ Eddie Clarke. Drummer Lucas Fox wurde noch während der Aufnahmen von „On Parole“ durch Phil „Philthy The Animal“ Taylor ersetzt.
Daraus entstand dann „Motörhead MK II“ in Form von Lemmy, Fast Eddie und Philthy The Animal, eine Dreierbesetzung, die eigentlich als klassische Form der Band bekannt wurde und von 1977 bis 1982 5 Alben aufnahm.

Zum Album: Es gab genügend Querelen in der Band, und mit der Plattenfirma United Artists lief es auch bescheiden. Eine Veröffentlichung wurde als nicht erfolgversprechend zurückgehalten, um dann 1979 in oben gezeigter Form doch noch – gegen den Willen der Band – zu erfolgen.

„On Parole“ ist damit das eigentliche Debüt-Album von Motörhead von 1976, doch diesen Titel durfte sich dann offiziell die LP „Motörhead“ umhängen, für die Lemmy, Philthy und Eddie auch noch Großteile der „On Parole“ erneut einspielten (und dessen Cover sozusagen das das „Negativ“ des jetzt erhältlichen „On Parole“-Covers ist, dazu noch den Metal-Umlaut im Bandnamen sowie das Maskottchen einführte). Warum also „On Parole“ kaufen? Ich bringe mal die Tracklist und kommentiere sie.

1. „Motorhead“ (Ian Kilmister) – 2:57
Lemmy brachte den Song als finale Komposition von seiner Vorgängerband Hawkwind mit, wo er als B-Seite erschienen war. Die „On Parole“ Version ist produktionstechnisch zerfahren – Motorradsounds und eine Art Überfrachtung rütteln am soliden Grundgerüst des Stücks, das eigentlich nicht großartig verzerrt und insgesamt gar nicht weit von der Hawkwind-Version weg ist. Gut, bis auf die jetzt fehlende Fidel… Tatsächlich ist die alternative Version (siehe Bonustracks) wesentlich gelungener und klarer!

2. „On Parole“ (Larry Wallis) – 5:38
“…was recorded and released by Larry Wallis (backed by Eddie and the Hot Rods) as a b-side to the Stiff Records „Police Car“ single in 1977″. Er hatte also diesen Song mitgebracht, und nahm ihn auch wieder mit (die erwähnte Stiff Single erschien ja nach diesen Aufnahmen). Der Song ist zu lang, ansonsten aber ganz nett mit klassischen Chuck-Berry-Ismen.

3. „Vibrator“ (Wallis, Des Brown) – 2:53
Punk-Einschlag und deutlicher Vocals-Anteil von Wallis. Recht angenehm, aber wenig Motörhead, wie man sie später kennenlernte.

4. „Iron Horse/Born to Lose“ (Phil Taylor, Mick Brown, Guy „Tramp“ Lawrence) – 5:17
Langsam, fast schunkelnd. Sympathisch. Hier wird die Herkunft der Band klar, klassische Rock und Bluesgeschichten.

5. „City Kids“ (Wallis, Duncan Sanderson) – 3:43
Ebenfalls von Wallis mitgebrachtes Stück der Pink Fairies.

6. „The Watcher“ (Kilmister) – 4:50
Hier wieder ein Stück, dass Lemmy bereits bei Hawkwind geschrieben und aufgenommen hatte.

7. „Leaving Here“ (Lamont Dozier, Brian Holland, Edward Holland) – 2:56
Mit Sicherheit der interessanteste Track auf dem Album. Es handelt sich um eine Coverversion des Holland/Dozier/Holland Titels, bei der sich Lemmy an die 1965er Version von The Birds (nicht The Byrds) hielt, die er verehrte (angeblich war er auch einst ihr Roadie). „Leaving Here/White Line Fever“ war verdientermaßen die Debüt-Single von Motörhead…1977? Die Veröffentlichungspolitik ist da sehr undurchsichtig. Das Album gab es ja erstmal gar nicht, und die Single wurde ohne schriftliche Verträge irgendwie über Stiff-Records doch veröffentlicht, aber nur in Frankreich und Schweden, wie man nachlesen kann. Ein paar Exemplare sollen es auch nach UK geschafft haben. Beide Songs wurde später neu aufgenommen und veröffentlicht. Bis dahin sei der Song bzw. die Songs aber auch auf Stiff Samplern schon erhältlich gewesen.

„Leaving Here“ glänzt jedenfalls mit Überzeugung. Da ist er, der rumpelige, genreübergreifende, räudige Rock´n´Roll Sound von Motörhead. Und das Schlagzeug, echtes Kartoffel-Drumming vor dem Herrn. Und das ist gewiss nicht böse gemeint. Der Song hat sich gleich wieder in mein Herz gespielt und wird sofort für künftige Auflegesessions ins Programm genommen (gleich nächsten Samstag, ich schwör). Übrigens wurden fast alle Drum-Parts auf „On Parole“ noch mal von Philthy neu einkartoffelt, nachdem Fox schon raus war… Nur bei…
8. „Lost Johnny“ (Kilmister, Mick Farren) – 3:31
…war Fox noch zu hören – Philthy befand sich in Polizeigewahrsam, so dass die Session nicht zu Ende geführt werden konnte.

9. „Fools“ (Wallis, D.Brown) – 5:35
Nichts besonderes, wie man sieht ebenfalls von Wallis angeschleppt.

1997er CD reissue Bonus Tracks:
„On Parole“ (Wallis) [Alternate Take] – 6:58
„City Kids“ (Wallis, Sanderson) [Alternate Take] – 3:48
„Motorhead“ (Kilmister) [Alternate Take] – 2:48
„Leaving Here“ (Holland, Dozier, Holland) [Alternate Take] – 3:01
Besonders die alternative Version von „Motorhead“ ist hervorzuheben, funktioniert sie doch weit besser und purer als die merkwürdig produzierte Albumversion. Laut offiziellen Angaben alle 4 Bonustracks zuvor unveröffentlicht!

Rundum lässt sich sagen, dass „On Parole“ das eigentlich erste Album von Motörhead ist und somit einen ersten Einblick in das Schaffen und die hindernisreiche Entstehungsgeschichte gibt. Sicher braucht kein Einsteiger das Album, aber Fortgeschrittene sollten ein Ohr riskieren. Ursprünglich sollte Lemmy´s Kind tatsächlich mal „Bastard“ heißen, man entschied sich dann doch für „Motörhead“. Aber geblieben ist seit 1975 ein astreiner und nicht mehr weg zu denkender Bastard, der immer noch Punks, Rocker, Metalfreaks und so ziemlich alle anderen vereint. Auf „On Parole“ sind die Grundzüge davon zu erkennen, auch wenn viele Songs ihre Wurzeln in den früheren Bands der Musiker und somit in 60er und 70er Rock nicht verschweigen können. Der typische Motörhead-Stil noch wenig ausgeprägt. Mit den beiden Versionen von „Motorhead“ sowie „On Parole“ mit Einschränkungen, dazu „Iron Horse“ als Schunkler und „Leaving Here“ als Albumhit ist die 1997er Reissue-Version definitv einen Kauf wert, zumal günstig zu haben!

Hier noch ein Querverweis – das weltweit geläufige Motiv „Motörhead-England“ erschien zuerst als Cover der 1977er Single, die ich oben erwähnte – in dieser Form allerdings nur in Schweden:

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