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Anonym
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reino Doch bitte, dekliniere. Was ist der große Unterschied, ob ein schwarzer Seriencharakter oder eine schwarze Werbefigur wirtschaftlich besser gestellt ist, als es das moralische Gewissen einer weißen Büßergemeinde erlaubt?
Seufz.
@Prinz von Bel Air
Erstens: die Handlung
Die humoristische Konstellation dieser Sitcom ist, dass ein junger Farbiger, der sich unangepasst gibt, rhetorisch immer wieder mal radical chic zelebriert und Malcolm X beschwört, aber de facto immer wieder offenbart, dass er von schwarzer Bürgerrechtsgeschichte und den Kämpfen vorangegangener Generationen zwar viel profitiert, aber wenig weiß, auf einen vordergründig maximal assimilierten, bis in Redeweise, Dialekt und Sprachmelodie total an die Gepflogenheiten und Manierismen der weißen Oberschicht angepassten älteren Schwarzen trifft, der aber de facto eine Vergangenheit im Kampf um Bürgerrechte hat, die er in der Regel lieber nicht an die große Glocke hängt.
Beide Generationen gehen also auf spiegelbildlich verkehrte Weise mit dem schwarzen Erbe um. Das ergibt immer wieder interessante Momente: wenn zum Beispiel der Alte dem aufmüpfigen Jungen, der seinen Gastvater überangepasst findet, offenbart, dass er in Selma an MLKs Seite geschritten ist; oder wenn der Junge dem tatsächlich ja oft überangepassten Alten klar macht, dass er sich für sein armes, bäuerliches afroamerikansiches Elternhaus nicht schämen muss, sondern es bei einer Preisverleihungsrede sogar offensiv thematisieren sollte.
Die Serie verhandelt – natürlich komödiantisch zugerichtet, verkürzt und oft nur beiläufig, zwischen den Zeilen quasi – den Umgang zweier schwarzer Generationen mit dem Erbe der Unterdrückung, erzählt werden quasi zwei Emanzipationsgeschichten.
Zweitens: die Produktionsseite
Dass das im Kern eben kein weißes Projekt ist, das schwarze Klischees ausbeutet, sondern ein schwarzes, das schwarze Rollenmuster humoristisch reflektiert, erscheint mir nicht ganz unwichtig. Produzenten: Quincy Jones und Will Smith. Mitentwickler der Ausgangsidee (gemeinsam mit dem weißen Andy Borowitz): ebenfalls Will Smith. Realexistierende schwarze Unternehmerpersonen also – die sogar Nachnamen haben!
@Cosby-Show
Erstens: die Handlung
Die Show wurde, soweit ich weiß, für ihre herzige Ausgangskonstellation zwar schon seit der ersten Folge in den 80er-Jahren immer wieder kritisiert, und ich kann mir schon auch vorstellen, dass Cosby in den Augen mancher Schwarzen allzu sehr den harmlosen Onkel Tom gegeben mag – aber ich verstehe zumindest das Konzept: Hier wurde ein Role Model des gesellschaftlichen Aufstiegs präsentiert und auch propagiert, quasi eine Ermutigungsgeschichte erzählt, von Schwarzen für Schwarze (und Weiße).
Ob die Rechnung wirkungsgeschichtlich aufgegangen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Klar ist aber: Auch die Cosby-Show ist im komödiantischen Gewande zumindest teilweise ein schwarzes Selbstverständigungsprojekt. Auch in dieser Serie kam immer wieder als Subtext die Bürgerrechtsbewegung vor und der lange Weg, den Schwarze zurücklegen mussten, bis sie Gynäkologen wie Cliff Huxtable oder Anwältinnen wie Claire Huxtable werden konnten.
Ich erinnere mich an eine Folge, in der eines der Kinder einen Aufsatz über Selma oder den Marsch nach Washington schreiben musste und am Ende Eltern nebst Großeltern an dem großen Werk über MLK mitarbeiteten.
Zweitens: die Produktionsseite
Da gilt, zugespitzt auf den Kopf und Macher Cosby, ähnliches wie für den Prinzen von Bel Air.
@Uncle Ben
Nein, dazu schreibe ich nichts mehr. Wenn das, was ich dazu in meiner epischen Geschwätzigkeit abgelaicht habe, unverständlich geblieben sein sollte, dann sei es so. Wenn die fundamentalen Unterschiede zu Bel Air und Cosby nicht einsichtig geworden sein sollten, liegt es wohl an meiner didaktischen Unfähigkeit. Aber ich finde es halt, gelinde gesagt, unterkomplex, wenn man sich beim Vergleich darauf beschränkt, festzuhalten, dass im einen wie im anderen Falle
ein schwarzer Seriencharakter oder eine schwarze Werbefigur wirtschaftlich besser gestellt ist, als es das moralische Gewissen einer weißen Büßergemeinde erlaubt
Und sorry, wenn ich mit einer Klage ad personam schließe: Ich finde es beleidigend (und nicht sonderlich originell), mit solchen und ähnlichen Formulierungen als Moralhuber und sündenstolzer Superbüßer hingestellt zu werden. Aber wenn Du moralische Erwägungen und Gewissensfragen per se für verhöhnenswert und (selbst)kritische Reflexionen prinzipiell für bescheuerte Selbstkasteiung hältst – na gut, sei’s drum.
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