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bullschuetz Mich befremdet auch die Vorgaukelung einer heilen Südstaatenwelt, in der jeder Schwarze sich wirtschaftlich wunderbar verwirklichen und glücklich werden kann. Mich befremdet es, weil das eben so ganz besonders krass daneben ist.
Mal weg vom Reis und geschenkt, dass der Spot in den 60er Jahren spielt und Begriff „Uncle“ nicht ok ist, als allgemeine Aussage kann ich das aber absolut nicht nachvollziehen. Auch nicht das Gerede von einem „weißen Konzern“, der bitteschön keine schwarzen Testimonial verwenden darf, finde ich haarsträubend. Was soll das überhaupt sein? Ab welcher Konstellation an Mitarbeitern, Vorstandmitgliedern und Kunden ist ein Konzern weiß oder nicht weiß? Und wie bereits nachgefragt, was wäre die Alternative? Rassentrennung mit anderen Vorzeichen? Werbung darf alles idealisieren, nur bitte die Lebenssituationen von Schwarzen nicht, die müssen immer noch als Opfer erkennbar bleiben und dürfen nur von nachweislich schwarzen Konzernen eingesetzt werden? Auch das ist doch ein Beleg dafür, wie krank die Debatte in den USA geführt wird. Übertragen auf Deutschland würde das ja im Prinzip bedeuten, Nelson Müller darf von der Bahn nicht als Testimonial eingesetzt werden, weil das Unternehmen a) „weiß“ ist und b) Nelson in die stereotype Rolle eines biodeutschen Bahnkunden gedrängt wird, ohne dass seine Einwanderung aus Ghana und seine Kindheit in Pflegefamilien thematisiert wird .
Auf „Roots“ habe ich hingewiesen, weil vor dem Hintergrund einer zwar fernsehgerecht populär aufbereiten, aber doch in groben Zügen historisch richtig dargestellten, Jahrhunderte überspannenden Unterdrückungsgeschichte ein Fernseh-Spot, der womöglich zur gleichen Zeit im deutschen TV lief und die Südstaaten als Idyll und Insel der Seligen zeichnete, wo Schwarze ein in goldenes Licht getauchtes Dasein als Reisplantagenbesitzer im Kreise ihrer Lieben führen, ganz besonders hirnrissig verlogen wirken musste.
Das ist in etwas so, als würde man Schindlers Liste und anschließend einen Obi-Spot mit Matthias Schweighöfer schauen, und sich über das unterschiedliche Bild der Deutschen wundern. Für wie dämlich hälst du denn die TV-Zuschauer der 80er/90er Jahre? Selbst wer sich nur über Mainstream-Schnulzen wie Fackeln im Sturm informiert hat, und das dürfte hierzulande so ziemlich jeder gewesen sein, war für die Problematik zumindest im Ansatz sensibilisiert. Klingt heute vielleicht irgendwie seltsam, aber man war offensichtlich noch in der Lage zwischen einem aktuellen Reis-Werbespot, einer fiktionalen TV-Mini-Serie und der Realität 130 Jahre zuvor zu differenzieren. Und, ich erwähnte es bereits, ganz verrückt – oder wie du es vielleicht nennen würdest, hirnrissig verlogen – wird es, wenn man sich wirklich mal anschaut, was sonst noch zeitgleich im TV lief. In der „Cosby Show“ waren die schwarzen Protagonisten Arzt und Anwältin, in „Prinz von Bel Air“ Richter mit Villa in einem Nobelviertel und in „Alle unter einem Dach“ eine recht konservative Mittelstandsfamilie in einem Vorort von Chicago. Und nein, das haben sich keine weißen Produzenten zur Belustigung eines weißen Publikums ausgedacht, sondern umgekehrt. Und die gut situierten Figuren waren auch kein Zufall. So hat sich Cosby ganz bewusst gegen „Blue Collar“-Jobs entschieden, weil er gerade nicht das Klischee des armen Schwarzen aus der Unterschicht bedienen wollte. Ein positiv konnotiertes Bild, was nicht die Alltagsrealität der meisten Afroamerikaner widerspiegelte, war also ausdrücklich erwünscht. Crazy.
zuletzt geändert von bullitt--