Antwort auf: Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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herr-rossi
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tezukaAch so, es muss also wirklich Kunst real verhindert oder vernichtet werden das man es als Skandal empfindet dass man Personen das Recht absprechen möchte diese Kunst überhaupt zu machen? Ich habe vor nicht allzu langer Zeit einen Comic fertiggestellt in dem sämtliche handelnde Personen lesbische Frauen sind, eine davon jüdischen Glaubens, und ich würde es als einen persönlichen Angriff auf mich werten wenn man mir das Recht absprechen würde diesen Comic zu machen, weil ich weder homosexuell, noch weiblich, noch jüdisch bin. Da hilft es mir wenig wenn ich sowas aushalten muss – das mir das Recht abgesprochen würde überhaupt etwas zu schaffen muss ich nicht akzeptieren – mit allem anderen muss ich leben, kann mich aber auch dazu positionieren. Das selbe gilt für die Bilder mit denen ich vor einigen Jahren einige Ausstellungen in Hamburg machte und auf denen u.A. Afroamerikaner zu sehen waren.
Ich finde die Auswüchse in den USA bedrohlich, und finde deine Ausführungen dazu, Rossi, echt verharmlosend.

Nur damit wir erstmal eine gemeinsame Grundlage haben: Ich nehme mal an, Du bist kein Anhänger der biedermeierlichen „Kunst ist Kunst und Politik ist Politik“-These, die Pfingstlümmel hier präsentiert? Kunst ist Auseinandersetzung mit der Welt und den Menschen, die in ihr leben, richtig? Kunst sucht einen Dialog mit dem Betrachter, verlangt ihrerseits Auseinandersetzung, richtig?

Das bedeutet umgekehrt aber auch, dass Kunst kritisierbar sein muss. Auf Kunst müssen Menschen leidenschaftlich reagieren können, und dazu kann im Extremfall gehören, dass jemand sagt – dieses Bild verdient nicht, gezeigt zu werden. Man macht es sich ziemlich einfach, wenn man Hannah Blacks offenen Brief skandalisiert und ihre Argumente gar nicht erst hört. Hannah Black ist nicht irgendeiner anonymer Edgelord auf Twitter, sondern selbst Künstlerin. Und in ihrem offenen Brief hat sie dargelegt, warum sie genau dieses eine Bild nicht akzeptieren kann. Es ging ihr überhaupt nicht darum, dass kein weißer Künstler schwarze Menschen darstellen dürfe.

Also nochmal auch für die Leute in den hinteren Reihen: Es ging um genau dieses eine Bild! Man muss ihrer Argumentation nicht folgen, aber es ist eine Argumentation, und ehe man darüber den Stab bricht, sollte man sie mal gelesen haben:

https://conversations.e-flux.com/t/hannah-blacks-letter-to-the-whitney-biennials-curators-dana-schutz-painting-must-go/6287

Die Forderung, das Bild nicht nur abzuhängen, sondern zu zerstören, ist natürlich eine radikale Geste. Vermutlich bewusst radikal, um überhaupt Aufmerksamkeit zu schaffen. Aber geht es in der Kunst nicht oft um radikale Gesten? Hannah Black ist Künstlerin und man kann die Aufforderung, ein Bild zu zerstören, durchaus als künstlerische Performance betrachten.

Das ist aber etwas völlig anderes, als wenn etwa eine politische Partei XY die Forderung in ihr Programm aufnehmen würde, Werke bestimmter Künstler oder mit bestimmten Sujets aus öffentlichen Sammlungen zu entfernen und zu zerstören, und diese Forderung auch in Gesetze gießt, sobald sie dazu in der Lage ist. Das ist dann keine persönliche Auseinandersetzung mehr, keine invididuelle Intervention im Diskurs zwischen Kunstschaffenden und Kunstrezipienten, sondern da geht es um die Machtfrage. Darum, wer tatsächlich bestimmt, welche Bilder möglich sein dürfen und welche nicht. Und bei allen Befürchtungen: Bislang hat noch niemand auch nur ansatzweise die Möglichkeit, Dir oder irgendwem anderen ernsthaft bestimmte künstlerische Aktivitäten zu verbieten.

Bislang gibt es nur eine öffentliche Diskussion, die letztlich reflektiert, das Kunst (oder Musik oder Film usw.) offensichtlich noch nicht völlig egal ist, sondern Auseinandersetzung nicht nur einfordert, sondern auch auf sich zieht. Freut Euch darüber! Und ja, die Diskussionen müssen Künstler (und Musiker) dann aushalten, auch ungerechte, maßlose, aggressive Reaktionen. Sie können ja widersprechen, um ihr Werk streiten, was auch immer, sie müssen es nicht demütig akzeptieren. Aber aushalten. Genau dazu erklärt man sich nämlich in dem Moment bereit, in dem man sein Kunstwerk aus den eigenen vier Wänden holt und in den öffentlichen Raum stellt.

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