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go1Das sehe ich eben anders. Gray sagt, dass unter dem Label „cultural appropriation“ (Aneignung von Elementen einer kulturellen Praxis durch Angehörige einer anderen, dominanten Kulturgemeinschaft) eigentlich zwei verschiedene Probleme angesprochen werden: „cultural exploitation“ und „cultural disrespect“, Ausbeutung und Missachtung (oder Respektlosigkeit). An dem Label „cultural appropriation“ liegt mir übrigens nichts, aber diese beiden Aspekte halte ich schon für wichtig.
1) Das Beispiel für „cultural disrespect“: „Blues? Das ist doch keine Kunst: soundsoviel Takte Tonika, Subdominante, Dominante, das können wir auch“ – das beruht nicht auf Grays individuellem Geschmacksurteil, sondern auf einer Tatsache: Jede komplexe Kunstform braucht Jahre der Übung, um sie zu meistern – und wer in Clarksdale, Mississippi, umgeben von Bluesmusik aufgewachsen ist, hat dabei einen Vorsprung gegenüber Musikern aus Europa oder Asien. Wer meint, sich den Blues mal eben draufschaffen zu können, ist respektlos gegenüber dieser Kunstform und denen, die sie ausüben. Wer sich auskennt mit dem Genre, kann das dem Ergebnis anhören. Noch auffälliger ist es vielleicht beim Hip Hop: Da gibt es sogar Leute, die glauben, Rap sei gar keine Musik. Aber Rappen lernen ist ziemlich schwierig (vor allem, wenn man nicht schon als Kind damit angefangen hat), und wenn Leute, die wenig Ahnung haben, anfangen zu rappen, wirkt das mehr oder weniger peinlich – auf alle, die auch nur halbwegs vertraut sind mit Rappern, die es können (von Rakim bis Jay-Z, oder so). Das ist nicht alles bloß subjektiv (dem einen gefällt es halt, dem anderen nicht). Und es ist respektlos oder eine Missachtung, wenn man die Skills nicht würdigt, die man als Rapper oder Blueser oder was auch immer haben muss, um auf dem jeweiligen Feld gut zu sein – ebenso wie wenn man Klischees oder Stereotype weiterträgt.
Naja, da kommen wir in den Bereich Kunst=Können. Ein Punk-Musiker, der stolz darauf ist, nur vier Akkorde zu kennen, kann demnach keinen Blues spielen (eigentlich auch nichts anderes)? Wann ist ein Stil kopiert, wann nur entlehnt? Und wenn es nur ums „Würdigen“ geht: wie, wann und wie oft muss das passieren? Wir sind dann bei dem einem Beispiel eines Musikers, der auf die Frage nach seiner Musik antwortet „don’t know, don’t care“? Und Grey hat in ihrer Argumentation durchaus Werturteile.
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2) Und der andere Aspekt: Ausbeutung ist nicht dasselbe wie Klauen. Klar, es geht beides mal darum, sich die Früchte fremder Arbeit anzueignen. Aber es ist per se nicht verboten, sich an der Arbeit von Musikern zu bereichern, die dabei auf keinen grünen Zweig kommen, auf deren Kosten. Der Gesetzgeber zieht jeweils Grenzen (Plagiate sind nicht erlaubt und Verträge können als „sittenwidrig“ eingestuft werden), aber es bleibt ein weites Feld. Es geht auch um mehr als um individuelle (Geschäfts-)Praktiken, nämlich darum, wie das ganze Geschäftsfeld organisiert ist (und um die Gesellschaftsstruktur).One core issue that the “appropriation” idea tries to get at is economic exploitation. In an economic landscape where some groups get rewarded disproportionately to others, the people who make the culture are often not the ones who see the rewards from it, i.e. the problem is not that white men play the blues, it’s that white men who have played the blues have gotten rich from it, while the black people who invented the blues stayed poor. (…) Non-white cultural products have often been repackaged for white audiences, reaping tremendous profits, none of which accrue to those who actually originated the culture… the life stories of early 20th century black musicians are stories of poverty and exploitation by a predatory music industry that lifted their sounds and left them with nothing… we’re talking about a system of cultural production in which people of color produce certain sounds, which are then taken and imitated for profit.
Zu ungenau, vor allem zu ungenau für das ganze Feld (Gesellschaftsstruktur). Praktisch: Wenn weiße den Blues spielen, sollen Schwarze also etwas vom Kuchen abhaben (wobei ich bezweifele, dass die Übernahme schwarzer Musikstile durch Weiße und dderen Produktion einem Plan oder nur bewussten Absichten folgte). Wie sollte das de facto funktionieren? Dann doch wieder nur Würdigung (Worte statt Kohle)?
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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.