Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism … Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

#11199217  | PERMALINK

go1
Gang of One

Registriert seit: 03.11.2004

Beiträge: 5,644

go1
Nein. Aneignung ist beides, und dass manche Weiße schlechten Blues spielen, ist für die Autorin allenfalls Ausdruck von „disrespect“ – diese Leute haben es nicht für nötig gehalten, sich ordentlich in die Materie zu vertiefen.

“Cultural disrespect” also helps us appreciate good kinds of borrowing. When a person truly tries to study and pay tribute to a different culture, their use of it becomes less objectionable. The most cringeworthy white blues is played by those who least understand it, but when people have truly immersed themselves in another culture and done their research, the results can be moving.

lathoDas ist das, was ich mit „Herumgemeine“ meine: da sind Geschmacksurteile drin. Diese und diese Band spielt „schlechten“ Bluesrock, hat sich nicht erkennbar zu den Vorbildern geäußert, also steht das Urteil fest: CA! Das ist natürlich dermaßen weich und persönlich geprägt, wie mittlerweile Begriffe wie „Rassismus“ oder „Sexismus“.
Grundsätzlich finde ich die Idee des Artikels ja gut, „Aneignung“ im Wortsinn als Klauen, Nicht-Bezahlen zu bewerten. Bloß ist das a) ein bereits bekanntes Problem (und in Gesetze verpackt) und b) fällt die Autorin dann eben doch wieder auf „Meinen“ zurück, mein Geschmack als ausreichendes Kriterium für ernstzunehmende Anklagen.

Das sehe ich eben anders. Gray sagt, dass unter dem Label „cultural appropriation“ (Aneignung von Elementen einer kulturellen Praxis durch Angehörige einer anderen, dominanten Kulturgemeinschaft) eigentlich zwei verschiedene Probleme angesprochen werden: „cultural exploitation“ und „cultural disrespect“, Ausbeutung und Missachtung (oder Respektlosigkeit). An dem Label „cultural appropriation“ liegt mir übrigens nichts, aber diese beiden Aspekte halte ich schon für wichtig.

1) Das Beispiel für „cultural disrespect“: „Blues? Das ist doch keine Kunst: soundsoviel Takte Tonika, Subdominante, Dominante, das können wir auch“ – das beruht nicht auf Grays individuellem Geschmacksurteil, sondern auf einer Tatsache: Jede komplexe Kunstform braucht Jahre der Übung, um sie zu meistern – und wer in Clarksdale, Mississippi, umgeben von Bluesmusik aufgewachsen ist, hat dabei einen Vorsprung gegenüber Musikern aus Europa oder Asien. Wer meint, sich den Blues mal eben draufschaffen zu können, ist respektlos gegenüber dieser Kunstform und denen, die sie ausüben. Wer sich auskennt mit dem Genre, kann das dem Ergebnis anhören. Noch auffälliger ist es vielleicht beim Hip Hop: Da gibt es sogar Leute, die glauben, Rap sei gar keine Musik. Aber Rappen lernen ist ziemlich schwierig (vor allem, wenn man nicht schon als Kind damit angefangen hat), und wenn Leute, die wenig Ahnung haben, anfangen zu rappen, wirkt das mehr oder weniger peinlich – auf alle, die auch nur halbwegs vertraut sind mit Rappern, die es können (von Rakim bis Jay-Z, oder so). Das ist nicht alles bloß subjektiv (dem einen gefällt es halt, dem anderen nicht). Und es ist respektlos oder eine Missachtung, wenn man die Skills nicht würdigt, die man als Rapper oder Blueser oder was auch immer haben muss, um auf dem jeweiligen Feld gut zu sein – ebenso wie wenn man Klischees oder Stereotype weiterträgt.

2) Und der andere Aspekt: Ausbeutung ist nicht dasselbe wie Klauen. Klar, es geht beides mal darum, sich die Früchte fremder Arbeit anzueignen. Aber es ist per se nicht verboten, sich an der Arbeit von Musikern zu bereichern, die dabei auf keinen grünen Zweig kommen, auf deren Kosten. Der Gesetzgeber zieht jeweils Grenzen (Plagiate sind nicht erlaubt und Verträge können als „sittenwidrig“ eingestuft werden), aber es bleibt ein weites Feld. Es geht auch um mehr als um individuelle (Geschäfts-)Praktiken, nämlich darum, wie das ganze Geschäftsfeld organisiert ist (und um die Gesellschaftsstruktur).

One core issue that the “appropriation” idea tries to get at is economic exploitation. In an economic landscape where some groups get rewarded disproportionately to others, the people who make the culture are often not the ones who see the rewards from it, i.e. the problem is not that white men play the blues, it’s that white men who have played the blues have gotten rich from it, while the black people who invented the blues stayed poor. (…) Non-white cultural products have often been repackaged for white audiences, reaping tremendous profits, none of which accrue to those who actually originated the culture… the life stories of early 20th century black musicians are stories of poverty and exploitation by a predatory music industry that lifted their sounds and left them with nothing… we’re talking about a system of cultural production in which people of color produce certain sounds, which are then taken and imitated for profit.

--

To Hell with Poverty