Antwort auf: Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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jackofh

Registriert seit: 27.06.2011

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Dass (auch) die Musikindustrie alles, was sich zu Geld machen lässt, willfährig für sich ausnutzt, sollte niemanden überraschen. Ich finde die Diskussion daher, soweit sie sich um Ausbeutung und Anerkennung bzw. Macht- und Diskriminierungsverhältnisse dreht, wichtig. Ob es dafür einen eigenen Begriff geben muss, sei jedoch dahingestellt (zumal, wenn sich damit ganz andere, identitäre Implikationen verbinden; das war ja hier auch schon Thema).

Zur Ausbeutung: Es ist wahrscheinlich so, dass in anderen Systemen abseits der Kultur das Regelwerk längst weiter entwickelt ist. Wer im Wissenschaftsbetrieb plagiiert oder Quellen nicht kenntlich macht, ist raus. Oder in der Wirtschaft: Da kann man sich durch Patente und andere rechtliche Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch absichern. Für Kulturschaffende ist dies natürlich schwieriger: Ein Patent auf Polyrhythmik kann es schwerlich geben. Plagiats-Klagen haben daher oft nur bei eindeutigem Diebstahl Aussicht auf Erfolg (richtigerweise).

Der zweite Aspekt ist für mich noch schwieriger. Ab wann gilt eine Aneignung als „disrespectful“? Bei den eingangs hier im Thread verlinkten Beispielen muss man darüber nicht streiten. Natürlich sind die offen rassistisch konnotiert. Mir wollte aber neulich auch eine glühende CA-Verfechterin weißmachen, dass ich meine Talking-Heads-Platten entsorgen soll, weil das alles nur von Fela Kuti geklaut sei und weiße Jungs so nicht spielen dürften. Da bin ich dann eben raus. Soweit ich weiß haben die Musiker aus ihren Inspirationsquellen nie ein Geheimnis gemacht – auch, wenn Geld keines nach Afrika geflossen ist (oder?). Ich zumindest kann und will nicht beurteilen, wie umfangreich und ehrlich sich die Band vor „Remain In Light“ mit Afrobeat beschäftigt hat, um das Ergebnis aus CA-Sicht als „gute“ Aneignung zu klassifizieren. Wer kann das denn und nach welchen Kriterien?

Letztlich glaube ich, so binär, wie es sich vielleicht anfühlt, sind die Meinungen zu dem Thema auf der inhaltlichen Ebene gar nicht. Im Grundsatz haben alle Diskutanten bislang doch eine gemeinsame Position: Natürlich darf und muss es in der Kunst Aneignungen geben! Vom Austausch lebt sie schließlich. Und selbstverständlich sollen die Quellen der Inspiration erwähnt, anerkannt und ggf. entlohnt werden.

Schwierig wird es erst bei der Beurteilung des CA-Konzepts an sich. CA-Bewürworter wittern bei jeder Kritik daran häufig sofort eine hidden agenda, dass also mit dem konkreten kritisierten Fall (wie etwa die Diskussion um Schutz‘ Gemälde) das gesamte Konzept desavouiert werden soll. Andersherum haben die CA-Kritiker wiederum das Gefühl, dass das Konzept in Wirklichkeit eine geheime ethno-reaktionäre Agenda beinhaltet (und Kritiker zudem schnell und pauschal als Backlasher/Rassisten hinstellt).

Deshalb ist es für mich fraglich, wie tragfähig oder besser: wie nötig der CA-Begriff ist, wenn darin wirklich Fragen nach „ownership“ und Reinheit ausgeklammert werden. Über eine jederzeit nötige, jedoch nicht kultur-spezifische Kapitalismus- und Rassismus-Kritik an der Mehrheitsgesellschaft geht er für mich dann jedenfalls nicht hinaus. (Ok, das hatte bullschuetz gestern bereits ähnlich formuliert.)

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