Antwort auf: Culture Wars, Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism …

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go1
Gang of One

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latho„Cultural appropriation“ (…) ist (…) Teil des „progressiven“ Arsenals Missfallen auszudrücken und kann vor allem bei öffentlich wirkenden Personen ernsthafte Schäden an Reputation und Geldbeutel bewirken (…). Zu sagen, „das war ursprünglich ganz anders gemeint“ reicht mir nicht. Man muss sich eben auch den Auswüchsen entgegenstellen…

Ja, eh. Wir können einander jetzt bestätigen, dass wir solche Auswüchse schlimmm finden, aber mir wär dabei ein bisserl fad – das versteht sich doch. Es ist klar, dass Vorstellungen eines „kulturellen Eigentums von Gruppen“ zu absurden Konsequenzen führen; dass manche Debatten nach dem Motto „Moral statt Verstand“ geführt worden sind; und dass es überhaupt ein Fehler ist, solche Fragen nach der Vorgabe „Der hat kein Recht darauf!“ vs. „Künstlerische Freiheit!“ zu führen. Wenn so diskutiert wird, entsteht viel Hitze, aber es geht niemandem ein Licht auf. Sich vor den Auswüchsen zu gruseln und über (folgenlose) Verbotsforderungen zu empören, ist auch nur eine Taktik, die eigentlichen Probleme zu vermeiden. Nach Briahna Joy Gray sind das Ausbeutung und Missachtung, die Beschaffenheit von Musikindustrie und Kulturbetrieb und der Rassismus in der jeweiligen Gesellschaft.

lathoDer Begriff „cultural appropriation“ ist dann gerechtfertigt, wenn Unterdrückten etwas von Weißen „geklaut“ wird und diese [lies:jene] dafür keine Kohle sehen? Zum einen ist das (…) altbekannt, benannt und nicht besonders überraschend.

Was es nicht besser macht. Ja, das war immer schon ein Teil des Problems (fehlende Anerkennung war der andere Teil). Dass dies heute wieder diskutiert wird, ist gut und nicht schlecht. Der Punkt ist: kulturelle Aneignung an sich ist weder gut noch schlecht, es kommt auf das WIE an – und da gibt es je nach Kontext auch mal was zu kritisieren. Die Aneignung vorhandenen Materials ist Teil jeder kulturellen Produktion, aber das heißt ja nicht, dass jede Form von Aneignung unter allen Umständen eine gute Sache ist.

However, “borrowing” becomes a problem when a piece of art is given preferential treatment because of preexisting racial hierarchies of value – causing the work of people of color to be devalued, and artists to be undercompensated for their innovation.

Wenn das Ergebnis so aussieht, dass weiße Adepten zu Stars werden, während schwarze Schöpfer arm und im Dunkeln bleiben, dann ist etwas faul.

lathoEs ist ok, wenn Geld fließt (wenn Weiße Geld mit „angeeignetem“ Material verdienen) oder die Herkunft „respektiert“ wird (…). Für mich zweierlei Maß für ein (sehr) altes Problem.

Was hat das mit dem Anlegen von „zweierlei Maß“ zu tun? Die Unterscheidungen, die Briahna Joy Gray trifft, folgen doch alle daraus, dass sie ihren eigenen, einen Maßstab dafür hat, was eine gute und was eine schlechte Art von kultureller Aneignung ist. Ihre Leitfragen habe ich ja schon zitiert:

A few simple questions can help us think about specific cases: (1) Is there a historic record of exploitation between the appropriator and the originating group? (2) Is the originating group and its culture being celebrated, appreciated, and respected, or are they being degraded, mocked and accessorized? (There’s a difference between Eminem’s genuine relationship to the environment of 8 Mile Road and his immersion in Detroit hip hop and, say, a person wearing a tacky, cruelly stereotypical, and cartoonish Mexican Halloween costume.) (3) Is the appropriator actually claiming to be the owner or innovator, or allowing the media to create a false origin narrative? (E.g. Elvis as the “King” or Miley Cyrus’s “invention” of twerking.) (4) Is differential economic enrichment occurring? Is the cultural product more valuable in the hands of the appropriator, and does that have wider financial or political consequences for certain groups?

Um „Geschmacksfragen“ geht es in dem Text nur nebenbei.

lathoArtikel zum zweiten: „Schlecht gespielter Bluesrock“ ist also Appropriation, „guter“ nicht?

Nein. Aneignung ist beides, und dass manche Weiße schlechten Blues spielen, ist für die Autorin allenfalls Ausdruck von „disrespect“ – diese Leute haben es nicht für nötig gehalten, sich ordentlich in die Materie zu vertiefen.

“Cultural disrespect” also helps us appreciate good kinds of borrowing. When a person truly tries to study and pay tribute to a different culture, their use of it becomes less objectionable. The most cringeworthy white blues is played by those who least understand it, but when people have truly immersed themselves in another culture and done their research, the results can be moving.

Ein Problem sieht sie dann, wenn Musikindustrie und Öffentlichkeit dem schlechten Bluesrock zu mehr Erfolg und Anerkennung verhelfen als der Musik der schwarzen Bluesleute, auf deren Schaffen er aufbaut. Es geht ihr um Strukturen und Institutionen, in denen die einen die Früchte der Arbeit anderer ernten können und für „Neuerungen“ gefeiert werden, die in Wahrheit andere hervorgebracht haben. Sie spricht von Umständen und Bedingungen, unter denen die Stimmen der einen gehört werden und die der anderen nicht. Und von einer Gesellschaft, in der kulturelle Praktiken bei Mitgliedern von Minderheiten abgewertet werden, während sie bei Angehörigen der Mehrheit okay gehen (oder sie erst akzeptabel werden, wenn „Weiße“ sie übernommen haben). Sie spricht eben nicht vom Fehlverhalten Einzelner, sondern vom gesellschaftlichen Kontext, in dem sich Fragen von Ausbeutung und Anerkennung stellen. Und diese Fragen sollte man eben nicht vergessen, wenn es wieder einmal heißt: „Someone is wrong on the internet!“

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