Antwort auf: Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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latho
No pretty face

Registriert seit: 04.05.2003

Beiträge: 36,937

Dazu ein paar Anmerkungen:

– „Cultural appropriation“ mag mal als feines Wort für ethnie-zentriertes „Klauen“ angefangen haben (oder zumindest so gemeint worden sein), inzwischen ist es Teil des „progressiven“ Arsenals Missfallen auszudrücken und kann vor allem bei öffentlich wirkenden Personen ernsthafte Schäden an Reputation und Geldbeutel bewirken (wer das nicht schlimm findet, sollte mir erklären, warum rechte Shitstorms gegen Linke so viel schlimmer sind). Zu sagen, „das war ursprünglich ganz anders gemeint“ reicht mir nicht. Man muss ich eben auch den Auswüchsen entgegenstellen, womit im Zeitalter der binären Kultur jede Seite ihre Probleme hat. Das passiert meineer Meinung nach eher weniger.

– Den Artikel habe ich gelesen: der Anfang gefiel mir, der Rest nicht mehr. Zu tief geht es in den Bereich „Meinung“. Der Begriff „cultural appropriation“ ist dann gerechtfertigt, wenn Unterdrückten etwas von Weißen „geklaut“ wird und diese dafür keine Kohle sehen? Zum einen ist das (wie üblich bei poststruktualistischen Auswüchsen) altbekannt, benannt und nicht besonders überraschend. Die Opfer von „Verbrechen“ sind zumeist die „Kleinen“, nicht die „Großen“. Um mal ein Beispiel aus der von den „Progressiven“ gerne übersehenen Volksgruppe zu bringen: der Traum vieler unter dem Antisemitismus leidenden Jugendlichen, der sich in den Schöpfungen von Siegel, Shuster oder Kane wiederfand, der wurde von den Verlegern geschluckt und zu viel Geld gemacht. Nur ist das Problem spätestens seit den 60ern bekannt. Cultural appropriation?
Es ist eben doch ein Element der identiy politics drin – zumal in dem Artikel fast ausschließlich Beispiele von unterlegenen Schwarzen geschildert wurden. Es ist ok, wenn Geld fließt (wenn Weiße Geld mit „angeeignetem“ Material verdienen) oder die Herkunft „respektiert“ wird (wie also bei Mardi Gras Indians – das der Begriff „Indians“ verwendet wird, schickt ja im Normalfall schon die Sprachwächter auf die Barrikaden). Für mich zweierlei Maß für ein (sehr) altes Problem.

– Artikel zum zweiten: „Schlecht gespielter Bluesrock“ ist also Appropriation, „guter“ nicht? Wieder mal Auge des Betrachters, was für mich eigentlich bedeutet, dass der Begriff untauglich, weil kaum definierbar ist. Und letzten Endes auf einem Fall basieren: billiger Federschmuck, der zu Parties getragen wird und despektierlich gegenüber Indianern sei. Öfters gesehen und auch gut vorstellbar, aber despektierlich ist nicht der Federschmuck, es ist die Karrikatur („hugh, ich habe gesprochen“), die dahinter steckt. Ich wette, Indianer sind dazu nicht gefragt worden, oder auch die, die den Federschmuck gar nicht in ihrer Tradition haben?

– Zu guter Letzt: Elvis kupfert von Big Mama Thornton ab? Zum einen ist es nicht so einfach, der Song wurde von zwei Weißen geschrieben, Leiber und Stoller. „Geklaut“ (immerhin gerichtsfest) von Rufus Thomas (und meinetwegen Sam Phillips) und dann halbwegs respektierlich von Elvis gecovert (dass Text-Zeilen geändert wurden, die für eine Sängerin geschrieben wurden, kann 1956 nicht wirklich überraschen). Die Aufnahme kam in die „schwarzen“ und „weißen“ Charts, Crossover also. Und leichtverträglicher „Pop“ wie die ahnungslose Schreiberin insinuiert, war das damals auch nicht. Ganz im Gegenteil, Elvis war Teil einer Revolution, die beispielsweise auch schwarzen Künstlern half.
Und letzten Endes ist die Version von Elvis um einige Klassen besser (und vor allem: anders) als Big Mama Thorntons. Herumgemeine allerorten.

zuletzt geändert von latho

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If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.